Südafrika Wo Mandelas Wiege stand

Rau ist Südafrikas Ostküste, mild das Hinterland. Hier wurde der legendäre Präsident des Landes geboren. An der Wild Coast finden Besucher vor allem eines: ursprüngliches Afrika - das traditionsreiche Land der Bantu.

In den schweren Winterstürmen des Jahres 1552 zerschellte die portugiesische Karavelle São João an der südafrikanischen Ostküste. Der Segler, beladen mit Gewürzen und Ming-Porzellan, war das größte Schiff seiner Zeit, so etwas wie die "Titanic" des Handels mit Indien. Etwa hundert Menschen ertranken; die 440 Überlebenden machten sich auf einen mörderischen Weg durch Dschungel und Seuchenland. Ihr Ziel: die über 2000 Kilometer nördlich liegende portugiesische Handelsstation auf der Ilha de Moçambique. Nur acht Mann überlebten den Horrormarsch, die anderen starben unterwegs an Erschöpfung, Krankheit oder wurden Opfer wilder Tiere.

Wie sich die Zeiten ändern: Wo einst die Schiffbrüchigen um ihr Leben kämpften, wandern heute Touristen aus aller Welt mit schweren Rucksäcken und perfektem Outdoor-Equipment einher und berauschen sich an der wilden Schönheit des "Wild Coast Hiking Trails". Wer will, kann drei Wochen am Stück wandern zwischen Kei River und Port Edward, mit minimalem Zivilisationskontakt und garantierter Adler-, Kranich-, Wal- und Delfinsichtung. Ach ja, und Mücken - die hier recht lästig sind, aber noch keine Malaria übertragen.

Betty Madlalisa freut sich über jeden einzelnen Wanderer, der in ihren Heimatort Coffee Bay gelangt. Ein Tourismusexperte hat ausgerechnet, dass in Südafrika auf jeden achten Touristen ein neuer Arbeitsplatz kommt. Noch nicht dabei berücksichtigt sind wohl jene Kinder, die hier vorbeiziehenden Wanderern aus Lehm gebrannte Handys andrehen wollen. Betty ist eine beeindruckende ANC-Veteranin. Sie hat am Ortseingang das Masizame Women's Project aufgebaut. Dort wird traditionelles Xhosa-Kunsthandwerk verkauft, hergestellt von den Witwen des Ortes. "Tourismus ist hier in der Transkei die einzige Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen. Und wir Xhosa haben den Besuchern mit unserer reichen Tradition viel zu bieten." Für die Witwen ist es fast lebensrettend - wer seinen Mann verliert, heiratet bei den Xhosa kein zweites Mal.

Betty redet nebenher mit einigen der bleich geschminkten Korbflechterinnen in der Xhosa-Sprache mit ihren vielen Schnalz- und Klicklauten. Das klingt für Besucher lustig - zugleich sorgt jeder Fremde, der versucht, die Sprache nachzuahmen, bei den Einheimischen für noch mehr ungebrochene Heiterkeit. Wer mehr über ihr Volk erfahren will, kann nach Voranmeldung mit Betty einheimische Familien besuchen und dort "Ubuntu" genießen, die ureigene afrikanische Form der Gastfreundschaft bei kokelndem Holzfeuer, auf dem Maisbrei mit Gemüse gekocht wird, inmitten neugieriger Großfamilien.

Am Nachmittag will uns Betty ihre Tanzgruppe vorführen. Wir treffen sie auf einer Klippe an der steilen Küste. Sie hat acht junge Mädchen mitgebracht, die sich überraschenderweise ausziehen und eine sehr leichte Tanzkleidung anlegen. Zu wildem Trommeln tanzen und singen sie so entschieden und begeistert, dass sich bei den Zuschauern aus Europa die leichte Verkrampfung angesichts der überraschend dargebotenen Nacktheit schnell löst. Mit dem Verdienst für ihre Auftritte abends in den beiden kleinen Hotels von Coffee Bay können sie ihre Familien ernähren. Die "Wild Coast" zwischen East London und Port Edward ist Südafrikas naturbelassenste Ecke, wild, verführerisch, schön: smaragdgrünes Meer mit Stränden, die nicht mal Hollywood inszenieren könnte, Dünenlandschaften à la Sylt, felsige Kaps, Lagunen und eine überbordende, manchmal dschungelhafte Vegetation. Wem Südafrikas Garden Route, Kapstadt, die Weinregion und die Kleine Karoo zu europäisch sind, wer das ursprünglichere Afrika sucht, ist hier in der Transkei richtig.

Es ist die Heimat Nelson Mandelas. 1918 kam er als Sohn eines Häuptlings im Qunu-Distrikt zur Welt. In der Nähe seines Geburtsortes an der Nationalstraße 2 ließ sich der Friedensnobelpreisträger sein erstes Domizil nach seiner Haft bauen, eine exakte Kopie des Hauses, in dem er die letzte Zeit seiner 27 Jahre dauernden Haft eingesperrt war. Im 30 Kilometer entfernten Nelson-Mandela-Museum in Umtata wird das Leben des Nationalhelden liebevoll dokumentiert - und kann man darüber staunen, was einem Präsidenten so alles geschenkt und verliehen wird. Egal, ob gebastelte Kindergeschenke, geschmacklose Schnitzereien, goldene Vorlegegabeln oder die Urkunde des Friedensnobelpreises: Alles hat seinen Weg in die Vitrinen gefunden.

Port St. Johns ist ein afrikanisches Städtchen im Dornröschenschlaf. Der Hafen ist seit 50 Jahren versandet, ab und zu schafft nur noch ein Hai die Passage vom Meer in den breiten, braunen Umzimvubu-Fluss. Nur zum Jahresende brummt die Stadt, wenn Zehntausende südafrikanische Jugendliche mit Schlafsack anrücken, um am Second Beach, dem schönsten Strand Südafrikas, Silvesterparty zu machen. Ben Dekker hat 1980 gleich um die Ecke Anker geworfen, nachdem er seine Schauspielerkarriere aufgegeben hatte. "Drama", sagt er heute, "gab es für mich auch in Port St. Johns genug." Er baute eine Höhle am Meer aus, wo er ein Leben zwischen Einsiedelei und Dauerparty führte. "Manchmal", erzählt er, "stehen heute die Wale bei mir im Wohnzimmer, manchmal leider auch die Touristen." Bens Höhle, immer noch ohne Strom und Telefon, ist inzwischen eine architektonische Sehenswürdigkeit und er selbst so etwas wie das Orakel von Port St. Johns. Jeden Tag hält er Hof bei einem Glas Rotwein auf der Terrasse von Lily's Lodge hoch über dem Strand. Wie Robinson Crusoe, der ein Gläschen zu viel hatte, sieht er aus. Jahrelanges Whale-Watching vom "Wohnzimmer" aus hat ihn zum Experten gemacht - auf vielen Artenschutzkonferenzen der UN ist er als Fachmann willkommen.

Ben wurde Berater bei der Ausbildung von Naturpark-Rangern, hat einen kleinen Wanderführer herausgebracht und ist mit seiner monatlichen Kolumne im "Wild Coast Herald" so etwas wie das schlechte Gewissen der Küste geworden. "Komisch", sagt er, "mich hat die wilde Küste ganz ruhig gemacht." Und dann erzählt Ben die Geschichte von einem Überlebenden der "Sao Joao", der sich 2000 Kilometer nach Norden durchschlug. Als der Mann zwei Jahre später an derselben Stelle mit der "Sao Bento" abermals Schiffbruch erlitt, soll er vor Verzweiflung angesichts eines zweiten Gewaltmarsches gestorben sein. "Warum", fragt Ben, "warum nur ist der doofe Kerl nicht einfach geblieben?"

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Peter Pursche

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