Auf der Fahrt zum Anleger zieht eine grauschwarze Wand auf. Schlagartig beginnt es zu regnen; ach was, zu gießen, zu schütten, zu schiffen, wie das nur in den Tropen geht; warm, exotisch, wunderbar. Ebenso abrupt das Ende, als hätte einer den Hahn abgedreht. Nahe der königlichen Sommerresidenz, am Pier von Bang Pa In, ist es trocken geblieben. Kein Tröpfchen auf dem geölten Teakdeck der Barke.
Das Boot, eines von drei annähernd identischen, ist ein 20 Meter langer umgebauter Reistransporter mit einer vierköpfigen Crew. Die Mekhala-Reederei, auf kurze Kreuzfahrten in Thailand spezialisiert, hat ihm gehobenen Komfort verpasst. Sechs Doppelkabinen mit Klimaanlage, Dusche und WC, Panoramadeck, Korbsessel, Bar, Bibliothek - so reist sich's auch in der feuchtheißen Regenzeit kommod. Wer in Bangkok etwas Zeit hat, aber kein Interesse an Massagesalons, gefälschten Rolex-Uhren und schlecht sitzenden Maßanzügen, sollte sich diesen Trip gönnen.
Pagoden vor bleiernen Wolkentürmen
Eine Fahrt auf dem Menam Chao Phraya, Thailands größtem Fluss, beginnt zum Beispiel in der Hauptstadt und endet tags darauf am Königspalast, 70 Kilometer flussaufwärts. Wir nehmen den umgekehrten Weg, um uns dem Moloch Bangkok sachte zu nähern. Als die Barke aus einem Seitenarm in den Menam einbiegt, liegt das Land flach und still und fruchtbar da wie vor 60 Jahren, als es noch Siam hieß und kaum jemand in Europa mit dem Namen mehr assoziierte als süße Miezekatzen.
Glitzernde Nassreisfelder scheinbar bis zum Horizont, die Ufer gesäumt von Palmen und Holzhäuschen. Kleine Werften, wo Männer an ihren Holzkähnen werkeln und sie mit bunten Farben bemalen. Und dann und wann die im Sonnenlicht golden glänzenden Pagodendächer einer Tempelanlage vor tief liegenden, bleiernen Wolkentürmen.
Highway einer bienenfleißigen Region
Mit der Stille ist es bald vorbei. Der Chao Phraya war immer und vor allem eine Straße. Sie beginnt im Nordwesten, wo Ping und Yom zusammentreffen. 370 Kilometer mäandert der Fluss, immer breiter werdend, durch die zentrale Tiefebene, die Reiskammer des Landes, um südlich von Bangkok in den Golf von Thailand zu münden. Er, seine Nebenflüsse und Kanäle sind es, die das agrarische Herzstück wässern und fluten, Grundlage für allzeit reiche Ernten.
Über den Chao Phraya, übersetzt etwa "General", fließen seit Jahrhunderten die Warenströme. Reis für den Export in alle Himmelsrichtungen, Porzellan und Tee aus China, Holz aus Myanmar. Er ist der Highway einer bienenfleißigen Region, und weder Lastwagen noch Frachtflugzeuge haben seine Bedeutung schmälern können.
Tipps und Adressen
Bye-bye, Bangkok
Keine Lust auf gefälschte Rolex-Uhren und miese Maßanzüge? Ein Ausflug auf dem Wasser vor die Tore der Stadt bietet Einblicke ins echte Leben der Thais
Flusskreuzfahrt
Die Tour auf einer Mekhala-Barke ist zu buchen z. B. über Gebeco, Holzkoppelweg 19 in 24118 Kiel. Tel.: 0431/5446-0, Fax: -111, www.gebeco.de.
Komfortabler kann man dieselbe Strecke mit der Barke "Manohra Song" fahren. Sie hat nur vier luxuriös ausgestattete Kabinen (Preise und Termine über www.manohracruises.com).
Eine dreitägige Ayutthaya-Fahrt (2 Übernachtungen/Vollpension) auf einer Barke mit Besuch einer bewohnten Flussinsel, Fahrradtouren zu Tempeln usw. gibt es für rund 180 Euro bei www.asia-planet. com/thailand/ packagetours/chao-phraya-a.htm.
Eintägige Fahrten vom Bangkoker Hotel Shangri-La nach Ayutthaya (hin mit dem Bus, zurück mit dem hoteleigenen Ausflugsboot "Horizon") kosten inklusive Mittagsbüfetts rund 50 Euro. Buchungen über Shangri-La Hotel, Tel.: 00662/236/77 77, Fax: -85 79, www.shangri-la.com/bangkok.
Zähes Zugtier kentert fast
Konvois mit mächtigen, bis zu sieben aneinandergeketteten Metallbarken, gezogen von kleinen, 500 PS starken Schleppern - sie sind die Monstertrucks des Flusses. Manchmal scheint es, als würde das zähe Zugtier von der widerspenstigen Last zum Kentern gebracht. Wie schafft der Steuermann das bloß, einen Hunderte von Metern langen Zug mit nur zwei Seilen zu manövrieren? In engen Flusskurven wird der Konvoi durch einen Heckschlepper abgesichert. Immer wieder spannend: Schafft er's, oder driftet er ins Lehmufer?
Zur Nacht legt das Boot am Wat-Kai-Tia-Tempel an. Nach Einbruch der Dunkelheit ruht der Flussverkehr. Nur ein paar Ortskundige knattern dann noch mit ihren Longtailbooten herum. Auf Deck gibt es bei Kerzenschein thailändisches Abendessen aus Dutzenden von Schälchen; scharf, frisch, authentisch. Und dazu schwingen die Klostermönche den Glockenklöppel, dass es weithin schallt.
Anders als sämtliche Nachbarn
Vormittags hatten wir Ayutthaya bestaunt, die alte Hauptstadt von Siam. 400 Jahre regierten die Könige von dort, wo zur Blütezeit eine Million Einwohner lebten. Darunter eine separate Siedlung von Europäern und Japanern, die hier Geschäfte abwickeln durften und sich ansonsten zu fügen hatten. Thailand, "Land der Freien", war niemals Kolonie der Weißen, anders als sämtliche Nachbarn.
1767 wurde Ayutthaya von den Birmesen plattgemacht. Siams neue Hauptstadt hieß Krung Thep, heute Bangkok. Die alte blieb nahezu vergessen, bis vor 60 Jahren Bumiphol den Thron bestieg. Er verpasste dem Ruinenfeld eine Reha-Kur, die bis heute andauert, teils befördert von Geldern des Unesco-Weltkulturerbes. Inzwischen verströmt der Ort einen morbiden Charme. Bröckelnde Backsteinmauern, regengefleckte Stupas, Regimenter von Buddha-Statuen, viele in gelbes Tuch gewandet. Puristen mögen monieren, dass nur zehn Prozent davon Sandsteinbauten aus der Zeit vor 1767 sind. Aber auch das "Neue", Renovierte, befindet sich dank des ruinösen Klimas bereits wieder im Verfall, der mühsam aufgehalten werden muss. Sisyphos auf Siamesisch, eine Fortsetzungsgeschichte der Vergänglichkeit.
Morgens am besten am Fluss
Der Buddha-Kopf im Baumwurzelgeflecht am Wat Phra Mahathat stammt aus dem 14. Jahrhundert, hübsches Substitut für alle, denen ein Besuch der gewaltigen Tempelanlagen von Angkor zu mühsam ist. Ayutthaya ist ein Erlebnispark. Bei jedem Besuch entdeckt man neue Attraktionen. Und immer grüßt Indiana Jones.
Gegen sechs Uhr früh werden wir vom Bootsmotor geweckt. Der Morgen ist die beste Zeit am Fluss. Kinder plantschen im Wasser, die Eltern putzen sich die Zähne mit Chao-Phraya-Wasser, gemütliche Fähren tuckern, schnelle Fluss-Busse überholen. Der Duft der Garküchen weht von den Anlegestellen übers Wasser. Holzlager, Werften, Bananenplantagen, Schulen, Pfahlbauten. Alles lebt mit und vom Fluss. Tempel, Tempel, Tempel. 30 000 stehen in Thailand, 400 allein in Bangkok.
Böse Kehrseite
Ja, so sieht entspanntes Reisen aus! Stundenlang an Deck sitzen, gekühlt vom leichten Fahrtwind, sich mit Kapitän Jamras unterhalten und den Fluss der Dinge betrachten. Die Barkenzüge, auf denen Mutti die Wäsche schrubbt, Vati den Rumpf anstreicht und die Kinder Verstecken spielen. Den grünen Teppich der Schwimmpflanzen auf dem Wasser. Abgasschwaden aus uralten Fabriken, die böse Kehrseite des thailändischen Wirtschaftswunders.
Nahe Bangkok grüßt die eine oder andere Hochhausruine - es war einmal ein Crash, der auch den Tiger-Staat Thailand zum Bettvorleger degradierte. Aber die neue, futuristische Hängebrücke Rama VIII zeigt an: Wir sind wieder zurück auf dem Parkett der Globalisierungsgewinner. Life is a river.
Nützlich und nicht zu erschüttern
Südlich der Brücke explodiert der Flussverkehr. Flotten von Fähren und Sightseeing-Dampfern kreuzen auf. Das Durcheinander entzückte schon die A-Riege der Abenteuerliteratur - darunter James Michener, Graham Greene und John le Carré -, die gern im Hotel Oriental abstieg. 1876 wurde es als Klitsche am linken Flussufer eröffnet. Unter den ersten Kunden war ein Seemann, den seine Kumpel den "polnischen Joe" zu nennen pflegten. Er selbst nannte sich Joseph Conrad. Somerset Maugham, der Chronist des bröckelnden britischen Empire, lag 1922 tagelang auf der Veranda seines Hotelzimmers, Blick auf den Fluss. Er erholte sich von einem schweren Malariaanfall. "Die Sampans waren kaum zu zählen. Große Dampfer und Segelschiffe kamen den Fluss hoch, sodass er den Eindruck eines geschäftigen Hafens machte."
Unser letzter Blick auf den Chao Phraya geht vom 17. Stock des Millennium Hilton Hotels auf die Stadt. Unten liegt eine gelbe Schlange im Asphaltdschungel. Stahl und Spiegelglas, eine Kakofonie in Beton. Jahr für Jahr verändert Bangkok sein Gesicht. Nur Ol' Man River bleibt sich gleich; träge, nützlich und unerschütterbar.