Zum schönsten Ort in Marrakesch geht's ganz einfach. Verspricht Gabriele Noack-Späth, seine Besitzerin. Vom Hauptplatz rechts durch die Rue des Banques, dann links, wieder rechts durch einen Basar, bei einem Telefonmast rechts, die Gasse entlang, schließlich links, nochmals links, und schon sei man da. Schon? Also gut: brav versucht, der Beschreibung zu folgen - und? Keine Tür, wie versprochen, kein Fenster, kein Mensch! Nur ein paar Knirpse. "Riad Noga?", schreien sie strahlend und fuchteln mit den Armen. "Vous cherchez Riad Noga? Suivez! Kommt mit!"
Also den Jungs hinterher. Eine Gasse zurück, in andere hinein, der Weg führt durch Tunnel, kaum noch Touristen, dafür Männer auf knatternden Mofas und verschleierte Frauen. Dann, am Ende einer Sackgasse, eine schwere Holztür. Und dahinter: eine Fata Morgana? Hier, mitten in der Medina, wo der Stadtplan nur ein Spinnennetz dünner Striche zeigt, ohne Platz für Straßennamen, ausgerechnet da: plötzliche Ruhe. Gibt es einen kleinen Pool. Tische und Liegestühle, Palmen, Pflanzen, leuchtende Blumen. Und sieben Zimmer, die sich auf mehreren Etagen um zwei Innenhöfe gruppieren: Da ist das Hotel Riad Noga.
Mehr als ein Name - Sehnsucht pur
Marrakesch, mehr als ein Name: Sehnsucht pur. Einst für die Karawanen, die von Timbuktu kommend die Sahara durchquerten und hier nach zweimonatiger Tortur endlich frisches Wasser bekamen. Heute für orientverzauberte Urlauber. Bestaunten noch vor 15 Jahren nur wenige Rucksacktouristen und Bildungsbeflissene die Straßen und Paläste der marrokanischen Königsstadt, ist Marrakesch mittlerweile ein gefragtes Ziel selbst für Kurzurlauber.
Besonders, seit Investoren begonnen haben, verfallene Altstadthäuser zu kleinen Hotels umzubauen, eben jenen Riads. Über 100 davon gibt es, manche schlicht, andere prunkvoll, aber allesamt Oasen der Ruhe im Gassen- und Menschengewirr des Orients.
Losziehen ins Abenteuer Medina
Gabriele Noack-Späth gehörte vor zehn Jahren zu den ersten Ausländern, die ein Haus in Marrakesch kauften. 45 war sie damals, arbeitete in der Entwicklungshilfe in Afrika. "Eigentlich sollte es nur mein Alterswohnsitz werden", erzählt sie bei einem Minztee im schattigen Innenhof ihres Riads. Es ist Anfang Mai, die Luft hat angenehm trockene 30 Grad, Vögel zwitschern, dazu imitiert Graupapagei Kleini den Pfeifton der Mikrowelle. Ab und zu weht ein Lufthauch eines der violetten Blütenblätter der großen Bougainvilleen in den Pool.
Aber das Projekt Zweitwohnsitz zerschlug sich schnell - "solch ein Haus kann doch nicht ständig leer stehen", sagt sie. Also ein Hotel. 14 Monate lang ließ sie das Gebäude sanieren. Ließ Wände einziehen, Pflanzen setzen, neue Technik einbauen. Und schuf so ein Kleinod für 14 Gäste. Die können nun in den schattigen Höfen lesen und auf der Dachterrasse den unglaublichen Blick genießen, über die Altstadt bis hin zu den schneebedeckten Gipfeln des Hohen Altas. Oder losziehen, ins Abenteuer Medina.
Labyrinth aus Plätzen, Gassen, Märkten
Denn so sehr die Riads zum sinnfreien Rumlümmeln einladen: Höhepunkt Marrakeschs bleibt der historische Stadtkern, dieses Labyrinth aus Plätzen, Gassen und Märkten, umschlossen von einer neun Kilometer langen Mauer, die schon vor 800 Jahren der Dynastie der Almohaden als Schutzwall diente. Damals, als "Mraksch" noch Hauptstadt eines Reiches war, das vom Atlantik bis nach Tunesien reichte und sogar den Großteil der iberischen Halbinsel umfasste.
Im 13. Jahrhundert verlegten zwar die Herrscher den Regierungssitz nach Fès und die Route für die großen Transsahara-Karawanen weiter nach Osten. Die Schönheit aber, die Mauern und Paläste, die blieben ihr, so wie ihr Zentrum: die "Djamâa el Fna", der Platz der Geköpften. Hier wurden früher die Häupter der Hingerichteten auf Stangen gespießt und aufgestellt.
1001 Daily Soaps
Heute locken hier unblutigere Attraktionen. Abends, wenn der Wind die Hitze vertreibt, eilen sie herbei, die Schlangenbeschwörer, die Akrobaten, die Musiker, die Wahrsager, die Maler, die Orangen- und Wasserverkäufer. Köche bauen ihre Stände auf, einen Holzgrill, ein paar Bänke, garen Couscous, braten Kebab-Spieße über dem Feuer, und bald wabert Rauch über die Köpfe der Tausende, die hier essen, flanieren, schauen.
Sicher, ein Spektakel vor allem für Touristen, aber es gibt immer noch die, um derentwillen die Marokkaner auf den Platz strömen: die Geschichtenerzähler, um die sich - heute kaum anders als vor mehreren Jahrhunderten - Kreise von Menschen bilden, die gebannt der beschwörenden Stimme des Erzählers lauschen, seinen 1001 Daily Soaps von Kampf und Tod, von Eifersucht und Liebe.
"Herein in meinen Palast"
Kreise, so beeindruckend als geometrische Form aus Menschen, dass ihnen ein anderer Deutscher in Marrakesch sein ganzes Werk gewidmet hat. Um ihn, Hans-Werner Geerdts, zu finden, helfen erneut weder Wegbeschreibung noch Stadtplan. Wieder führen ein paar Jungs hinein in eine schmale Gasse, die sich ein paarmal gabelt, bis schließlich über einer kleinen Tür "Geerdts" steht. Der Hausherr öffnet und lugt heraus, ein älterer Mann mit weißem schütteren Haar, und sagt freundlich: "Herein in meinen Palast."
Geerdts' Palast ist ein kleines Haus, einfacher als die Hotels, aber mit nicht weniger Charme. Die Wände weiß, Türen und Fenster blau, ein Innenhof, drumherum Esszimmer, Schlafzimmer, Wohnzimmer und natürlich die Stätten der Arbeit: Atelier und Galerie. Geerdts ist Maler, heute 80, und kam vor 40 Jahren über Bagdad, Beirut und Casablanca nach Marrakesch. Seitdem malt er hier, die Stadt, und vor allem die Kreise aus Menschen auf der Djamâa el Fna.
"Ich war sofort fasziniert von diesem Platz, von so viel Leben auf einmal", sagt Geerdts. So sehr, dass er ein Haus erstand. "Ich bin ja für vollkommen verrückt erklärt worden, weil ich mir ein Haus mitten in der Medina gekauft habe", sagt er und setzt grinsend hinzu: "Heute zieht's alle hinein."
Kunstwerk aus Gräsern und Brunnen
Ein bisschen verrückt wirkt er tatsächlich, dieser Hans-Werner Geerdts, wenn er dem Gast tief in die Augen schaut und sein eigenes Werk anpreist, irgendwo auf dem Grat zwischen Selbstinszenierung und Selbstironie. Langweillig aber ist's auf keinen Fall, und Kunstfreunde sollten einen Blick in seine Galerie nicht versäumen.
Wie Geerdts und Gabriele Noack-Späth hat auch der Edelschneider Yves Saint Laurent schon vor langer Zeit die Magie von Marrakesch entdeckt. Einen Teil seines Gartens, der "Jardin Majorelle", hat er für Besucher geöffnet: ein Gesamtkunstwerk aus grünen Gräsern, blauen Brunnen und Blüten in allen restlichen Farben.
Die meisten Neu-Marrakschis sind allerdings erst in jüngster Zeit in die Stadt gekommen. Seit der liberale Mohammed VI. seinem Vater Hassan II. 1999 auf den marokkanischen Thron folgte, boomt die Stadt. Da werden Straßen bis in die äußersten Bezirke gepflastert, wachsen Alleen im bewässerten Wüstensand, sind vor den Mauern der Altstadt Technotempel wie das "Pacha" entstanden, in denen die Jeunesse dorée der Golfstaaten das Öl-Geld ihrer Väter verprasst.
Touristen-Trecks in den Souks
Wie Yves Saint Laurent haben sich nun weitere Prominente, so etwa Mick Jagger und Jean-Paul Gaultier, opulente Winterrefugien eingerichtet. Für einkommensschwächere Orient-Fans bieten Makler schlüsselfertige Häuser in der Medina ab 100.000 Euro an.
Prominente, Discos, Riads - Marrakesch auf dem Weg zum Orient light? Zwar häufen sich im Frühjahr und Herbst, der Hochsaison, mittlerweile die Touristen-Trecks in den Souks. Doch wer morgens oder spätnachmittags das Gassengewirr erkundet, ist häufig der einzige Ausländer unter den Kunstschmieden und Holzschnitzern, Lampenmachern, Lederschneidern, Obsthändlern, Teppichknüpfern.
Mixtur aus Tierknochen und Magie
Und natürlich den "Herborists", jenen Kräuterdoktoren, die für so ziemlich jedes Leiden, von Leberschaden bis Liebeskummer, die passende Mixtur aus gemahlenen Tierknochen, Kräutern und einem Schuss Magie bereithalten. Das Viagra des Morgenlands etwa besteht aus einer Mischung von Ginseng, schwarzem Pfeffer und Zimt.
Einige Gegenden, die Mellah zum Beispiel, das ehemals jüdische Viertel mit Friedhof und Synagoge, scheinen vom Touristenstrom überhaupt nichts abzubekommen. Also: Weg mit dem Stadtführer und seinen Spaziergang-Diktaten, ein paar Dirham für die Tipps von Straßenjungs ausgeben und dem Instinkt folgen zu den verborgensten Gassen, der Nase nach zu den exotischsten Gerüchen. Spätestens nach ein paar Kilometern landet man ohnehin immer an der Stadtmauer und findet zurück. Zwischendurch verlaufen, versprochen, wird man sich sowieso.