Fast leere Gassen in der Altstadt von Marrakesch: Nur wenige Touristen besuchen nach dem verheerenden Erdbeben noch die von Trümmern übersäte Medina. Sie sind entschlossen, ihren Urlaub auch nach der Katastrophe fortzusetzen.
Tourismus ist das Lebenselixier der Wirtschaft des nordafrikanischen Landes - und Marrakesch die Hauptattraktion. Nach dem tödlichen Erdbeben werden Ängste wach, der tiefe Absturz in der Coronapandemie könnte sich wiederholen. Dass sie ihren Urlaub nicht abbrechen, sehen die wenigen Touristen in Marrakeschs Altstadt auch als Solidaritätsbeitrag an.
"Wir lassen es nicht zu, dass das Erdbeben alles ruiniert", sagt eine 35-jährige Deutsche, während sie an einer Führung durch die Medina teilnimmt. "Es gab keine Warnungen vor einem neuen großen Risiko, also sind wir bei unseren Plänen geblieben."
Fast 2500 Todesopfer nach Erdbeben
Die 35-Jährige ist eine von vier Teilnehmern an der Gruppenführung. Alle von ihnen hatten Freitagnacht ihre Hotelzimmer verlassen müssen, als das Erdbeben der Stärke 6,8 das Land traf. Ganze Dörfer wurden zerstört, bis Montagmittag registrierten die Behörden fast 2500 Todesopfer und über 2470 Verletzte.
"Wir zögern noch, ob wir abreisen sollen oder nicht, aber es scheint relativ sicher", sagt der 26-jährige Tourist Dominik Huber. "Und wenn wir bleiben, tragen wir auch einen kleinen Teil dazu bei, die Marokkaner zu unterstützen."
Die kleine Gruppe steht vor dem imposanten Holztor des nun verschlossenen Bahia-Palasts. Der in den 1860ern gebaute Palast in maurischem Stil erlitt einige Schäden durch den Erdstoß, auf dem Boden liegen zerschmetterte, grün glasierte Terrakottafliesen.
Risse durchziehen die rosafarbenen Wände der Gebäude in den Straßen ringsum. Manche Häuser sind nur noch Trümmerberge. Der Großteil der Führung durch die vor fast 1000 Jahren gegründete Altstadt sei trotz der Schäden machbar, versichert der Stadtführer seiner kleinen Gruppe.
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Die Stadt hat sich verändert
Nicht weit entfernt erkundigen sich drei Italiener bei Polizisten, ob Marrakeschs Sehenswürdigkeiten für Touristen geöffnet seien. Ein weiteres Paar hat sich ebenfalls zum Bleiben entschieden und trinkt nun auf einer gefliesten Terrasse im Schatten Tee. In einem der wenigen geöffneten Läden feilscht unterdessen eine Frau in Flipflops und Strohhut um den Preis für eine Ledertasche.
Auf dem berühmten Dschemaa-el-Fna-Platz haben die Bewohner der zerstörten Häuser, die zuvor die Nacht im Freien verbrachten, den üblichen Parfüm- und Fruchtsafthändler Platz gemacht. Doch die Stadt hat sich verändert, von der sonst so geschäftigen Atmosphäre ist nichts mehr übrig.
Laut der regierungsunabhängigen Beobachtungsstelle für den Tourismus kamen in der ersten Jahreshälfte etwa 6,5 Millionen Touristen nach Marokko, die meisten von ihnen aus Europa oder den USA. Dies ist nach ihren Angaben ein Anstieg um 92 verglichen zum gleichen Vorjahreszeitraum. Die Beobachtungsstelle befürchtet aber, dass die negativen Auswirkungen des Bebens den positiven Trend wieder zunichte macht.
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Effekt für Geschäft schon spürbar
Marrakesch ist den Angaben nach mit mehr als 4,3 Millionen Besuchern der größte Touristenmagnet des Landes. Einige Geschäftsleute spüren den Effekt des Bebens jetzt schon. "Ganze Reisegruppen haben bereits aus Angst vor Nachbeben storniert", sagt der 56-jährige Dahman Siani, der ein Hamman betreibt.
"Die Medina ist die Seele Marrakeschs, unser Stolz. Der Tourismus macht 99 Prozent unseres Einkommens aus", fährt er fort. "Wenn das stirbt, ist alles zu Ende", sagt er. Siani erinnert an den Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020, als Marokko einen strengen Lockdown verfügte. Damals kam die gesamte Reisebranche zum Erliegen. "Wir können jetzt nur die Daumen drücken und hoffen, dass sich so eine katastrophale Zeit nicht wiederholt", sagt er.