Am Memorial Day werden überall in den USA die Feuerwehrautos auf Hochglanz poliert. So herausgeputzt rücken sie zu Paraden aus. Auch Sportvereine oder Pfadfindergruppen schließen sich den flaggenschwingenden Veteranen an. Traktorgespanne, knatternde Oldtimer, schwere Harleys fahren auf - alles, was die Nation bewegt. In New York beleben seit heute 6000 Fahrräder in leuchtendem Blau das Stadtbild. Denn der Memorial Day ist nicht nur Heldengedenktag, sondern markiert auch den Beginn der Sommersaison. Und in der größten Stadt des Landes startet an 330 Stationen das Leih-Fahrrad-Programm "Citi Bikes".
Für New York ist das Bekenntnis zum Fahrrad als Transportmittel eine kleine Revolution. Die Straßenschluchten von Manhattan und Brooklyn galten jahrzehntelang als Kampfzonen, nur in schweren Limousinen und SUVs schien ein Überleben möglich. Vereinzelte Radler hatten den Nimbus von Harakiri-Piloten. Doch Bürgermeister Bloomberg ließ in den vergangenen fünf Jahren mehr als 500 Kilometer Fahrradwege anlegen. Parkstreifen entlang des Hudson und des East River machen das Radeln dort zum Freiluftvergnügen.
Die erste Innovation im Nahverkehr seit 50 Jahren
Der Fahrradverkehr nahm 2009 um 26 Prozent zu, 2010 um 13 Prozent, 2011 aber nur noch um acht Prozent. Das Bike-Sharing-Programm sollte bereits im vergangenen Jahr starten und Bloombergs Fahrradpolitik neuen Schwung verleihen. Manche New Yorker Offizielle werteten die "Citi Bikes" schon als "erste großangelegte Neuerung im öffentlichen Nahverkehr seit mehr als einem halben Jahrhundert".
Doch dann machte erst die Software Probleme, schließlich setzte die Flutwelle des Sturms Sandy ein Ausrüstungslager unter Wasser. Mit einem Jahr Verspätung sollen nun die blauen Räder rollen. Noch immer sind nicht alle Hürden beseitigt. Trotz Hunderter Bürger-Informationsveranstaltungen und Treffen mit Nachbarschaftsgruppen gibt es noch vereinzelte Widerstandsnester. Investoren und Hausbesitzer in Greenwich Village mit seinen astronomischen Immobilienpreisen klagen gegen drohenden Wertverfall ihrer Backstein-Schätzchen. Und am Petrosino Square in SoHo demonstrierten Künstler und Galeristen gegen die Verdrahteselung des kleinen Platzes.
Tagespass für 9,95 US-Dollar
Anderen Städten, die "kulturell schon etwas weiter" sind, seien solche Proteste fremd, lästerte die "Washington Post" und verwies auf das längst etablierte Fahrrad-Leih-System in der Hauptstadt. Aber die New Yorker nähmen sich ja immer sooo wichtig, und auch im Fall der Rad-Verächter sei das Geschrei größer als der Grund dafür. Auch für den "Villager", die New Yorks Lokalzeitung für SoHo, West und East Village, stehen nach der Aufregung um einzelne Leihstationen längst die praktischen Fragen im Vordergrund. Die Bike-Testerin des Blattes bemängelt vor allem, dass die Räder mit 45 Pfund (20 Kilogramm) ziemlich schwer sind und dass sie nur drei etwas ungünstig abgestufte Gänge haben.
Touristen dürfte enttäuschen, dass das Tarifsystem der Citi Bikes nicht zum gemütlichen Stadtbummel einlädt, sondern auf Pendler-Bedürfnisse ausgelegt ist. Wer sich für 9,95 US-Dollar einen Tagespass oder für 25 US-Dollar einen Wochenpass kauft, kann ein Rad 30 Minuten lang ohne Aufpreis nutzen. Dann muss er es in einer Docking-Station abstellen. Nach einigen Minuten kann er das nächste Rad nutzen, wieder ohne Aufpreis. Und so weiter. Wer eine längere Tour am Stück machen möchte, muss nachzahlen: Für die erste halbe Stunde sind noch moderate 2,50 US-Dollar fällig, für die nächste 6,50 US-Dollar, für jede weitere halbe Stunde 9 US-Dollar. Nur wer das Citi Bike immer wieder eindockt, fährt wirklich günstig.
Freifahrt für Inhaber von Jahrespässen
Diese Tarife gelten ab dem 2. Juni. Bis dahin sind die Citi Bikes den Inhabern von Jahrespässen vorbehalten. Die Jahreskarte ist für eine Grundgebühr von 95 US-Dollar zu haben und berechtigt ohne Aufpreis zu Nutzungsintervallen von 45 Minuten.
Mein letztes Leihrad in New York hatte ich vergangene Woche beim Midtown Bike Shop gemietet (37. Straße zwischen Avenue 8 und 9). Es sollte 40 US-Dollar pro Tag kosten. Da ich es für sechs Tage mieten wollte, ließ der Chef des Ladens mit sich handeln. Wir einigten uns auf einen Festpreis von 160 US-Dollar, im Voraus, in bar. Das wären pro Tag knapp 27 US-Dollar gewesen, für Manhattan kein ganz schlechter Preis.
Doch das Rad wurde mir nach zwei Tagen geklaut. Als ich mit dem durchgezwickten Kabelschloss in den Shop kam, zuckte der Betreiber lächelnd mit den Augenbrauen: "That's New York."