Follow Me Gegen den Trend: Warum der Flugverkehr in Deutschland zurückgeht

Ein Ferienflieger von Condor rollt zu einem Gate am Hamburger Flughafen
Ein Ferienflieger von Condor rollt zu einem Gate am Hamburger Flughafen
© Till Bartels
Im Vergleich zu anderen Ländern Europas hinkt die Erholung der Luftfahrt In Deutschland hinterher. Eine Studie vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt benennt die Gründe und analysiert die besondere Rolle der Billigflieger.

Trotz so mancher Krise wie 9/11 galt der globale Luftverkehr über Jahrzehnte als Wachstumsmarkt. Im Jahre 2019 wurden weltweit 4,5 Milliarden Passagiere gezählt. Mit Ausbruch der Pandemie kam es ein Jahr später zu einem massiven Einbruch von 60 Prozent, der zu Flugzeugstilllegungen und Abwanderung des Personals in andere Branchen führte.

Mit der Aufhebung der Reisebeschränkungen hat sich die Luftfahrt in den vergangenen zwei Jahren wieder erholt. Teilweise übersteigt die Nachfrage sogar das Angebot, was zu höheren Ticketpreisen geführt hat. In den ersten acht Monaten diesen Jahres liegt die Zahl aller Fluggäste nur noch sechs Prozent unter dem Vor-Covid-19-Niveau, wie eine Studie des Instituts für Luftverkehr zeigt. Die Wissenschaftler der jüngsten Einrichtung vom Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) untersuchen die Entwicklung der nationalen und internationalen Flugbewegungen auf Basis der Flugplandaten.

Deutschland fliegt hinterher

In Deutschland dagegen ist der Luftverkehr von den Verkehrszahlen des Jahres 2019 noch weit entfernt. "Die Aufkommensentwicklung ist schwach", sagte Sven Maertens vom DLR bei der Vorstellung der Analyse auf dem Jahrestreffen des Luftfahrt-Presse-Clubs in Nürnberg. Das Minus der beförderten Passagiere in den Monaten Januar bis einschließlich August 2023 betrug im Vergleich zum Jahr vor der Pandemie minus 24 Prozent. In der Europäischen Union sind die Passagierzahlen nur um acht Prozent rückläufig.  

Betrachtet man nur die Flugbewegungen sieht die Erholung europaweit noch besser aus. Im Sommer 2023 stieg die Anzahl der Starts und Landungen soweit, dass 95 Prozent der Flugintensität von 2019 erreicht wurde – in Deutschland waren es nur 78 Prozent. "Die Zahl der Flugbewegungen wächst dynamischer in Europa als in Deutschland", resümiert Sven Maerten.

Teure Flughafenentgelte am Standort Deutschland

Noch stärker geht die Schere beim Blick auf das Segment der Low-Cost-Anbieter auseinander. Airlines wie Easyjet und Ryanair flogen in den ersten acht Monaten diesen Jahres innerhalb Europas nur vier Prozent unter den Passagierzahlen von 2019. Von und nach Deutschland transportierten die Billigflieger dagegen 42 Prozent weniger Passagiere. 

Auf dem Rückzug: Billigflieger ziehen ihre Jets aus Deutschland ab
Auf dem Rückzug: Billigflieger ziehen ihre Jets aus Deutschland ab
© DLR/Institut für Luftverkehr

Für letztere Entwicklung ist der Teilrückzug der Low Coster aus dem deutschen Markt verantwortlich. So hatte die britische Easyjet nach der Pleite von Air Berlin 34 Jets an den Flughäfen Tegel und Schönefeld stationiert. Doch schon im vergangenen Winter schrumpfte die Flotte auf heute elf Flugzeuge. Aus dem innerdeutschen Flugverkehr hatte sich Easyjet schon längst zurückgezogen, ebenso Ryanair. Die Iren flogen früher mehrmals am Tag zwischen Berlin und Köln/Bonn hin und her. 

Unisono kritisieren nicht nur die Billigflieger die hohen Flughafengebühren und Luftsicherheitskosten in Deutschland. Daher haben sie ihre Maschinen abgezogen und setzen sie auf anderen europäischen Routen ein, die höhere Gewinne versprechen.

Innerhalb der letzten drei Jahre wurden die Luftsicherheitsgebühren mehr als verdoppelt, beklagt auch das Board of Airline Representatives in Germany (Barig). Jüngst hat das Bundeskabinett beschlossen, die maximale Gebühr für Passagier- und Gepäckkontrollen von 10 auf 15 Euro anzuheben. Die Erhöhung "würde nicht nur deutlich höhere Kosten für die Fluggesellschaften und die Passagiere bedeuten, sondern auch die ohnehin hohe Gebührenlast für den Luftverkehr weiter intensivieren und damit der Erholung und Entwicklung des Luftverkehrsstandortes Deutschland insgesamt sehr schaden", beklagte Barig-Chairman Michael Hoppe im November.

Hohe Abgabelast für Airlines an deutschen Flughäfen im Vergleich zu Europa
Hohe Abgabelast für Airlines an deutschen Flughäfen im Vergleich zu Europa
© DLR/Institut für Luftverkehr

Verlagerung des Verkehrs: seltener fliegen 

Innerdeutsch dominieren Eurowings sowie die Lufthansa mit ihren Zubringerflügen zu den Drehkreuzen Frankfurt und München das Angebot. Hier gibt es laut der DLR-Studie den stärksten Einbruch: Das Passagieraufkommen liegt in den ersten acht Monaten diesen Jahres 52 Prozent unter dem Pre-Corona-Niveau. Damit ist Deutschland Schlusslicht in der Entwicklung der Inlandsmärkte – im Gegensatz zu den Ländern Spanien und Italien mit dem meisten Inlandsverkehren, die 2023 um jeweils sieben Prozent zugelegt haben.

Das sind gute Nachrichten für alle, die aus Umweltschutzgründen eine Einstellung des Inlandsflugverkehrs fordern.

Am heftigsten sind die Einbrüche im Berlin-Verkehr nach der Schließung des citynahen Flughafens Tegel. Der neue Hauptstadtflughafen verzeichnet ein Minus von 67 Prozent im innerdeutschen Flugverkehr im Vergleich zu Tegel und Schönefeld im Jahre 2019, gefolgt von München (-44 Prozent) und Frankfurt (-32 Prozent). Als einen der Gründe nennt das DLR die wesentliche bessere Erreichbarkeit Berlins mit dem Schienenverkehr. So benötigen die Sprinter-Züge der Deutschen Bahn laut Winterfahrplan 2023/24 für die Strecke München-Berlin nur noch 3:45 Stunden, mit nur einem Halt in Nürnberg.

Flugzeuge am Albrecht-Dürer-Airport in Nürnberg: Austrian und Swiss haben ihre Flüge nach Nürnberg zum Winterflugplan 2023 komplett eingestellt und British Airways ab Anfang Februar 2024
Flugzeuge am Albrecht-Dürer-Airport in Nürnberg: Austrian und Swiss haben ihre Flüge nach Nürnberg zum Winterflugplan 2023 komplett eingestellt und British Airways ab Anfang Februar 2024
© Till Bartels

Die Nachrichten von langen Warteschlangen an Check-in-Schaltern und vor den Sicherheitskontrollen, die gestapelten Kofferberge, Flugstreichungen und Verspätungen sowie Streiks haben im "Chaos-Jahr 2022", so die Studie, das Fliegen in Deutschland zunehmend unattraktiv gemacht. Auch die bereits vor der Pandemie begonnene Diskussion um Flugscham scheint die Einstellung zum Fliegen in Deutschland mehr als anderswo in Europa verändert zu haben. 

Anders als in Frankreich kann Deutschland auf Inlandsflüge in absehbarer Zeit nicht verzichten. Im Nachbarland hat das eigene Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn dazu geführt, dass Kurzstreckenflüge zwischen Städten, die in weniger als 2,5 Stunden mit TGV-Verbindungen zu erreichen sind, eingestellt wurden.

 

In Deutschland ist selbst die Bahn auf das Flugzeug angewiesen. Das erfuhr Arno Luik 2020 von Mitarbeitern der Deutschen Bahn, wie er im Vorwort zur Taschenbuchausgabe seines Buches „Schaden in der Oberleitung" schreibt. "Fast jeden Tag, kein Witz, flog die Bahn damals Lokomotivführer hin und her hoch über Deutschland, von Hamburg nach München ... Sie wurden durch die Luft geschickt, um die Bahn am Boden am Laufen zu halten, um für fehlende Lokführer einzuspringen, gestrandete Züge irgendwie ans Ziel zu bringen. Ökologie ade." Die  Personalknappheit hat sich seitdem eher noch verstärkt.

Weltweit betrachtet stehen die Zeichen des globalen Luftverkehrs weiterhin für ein ungebremstes Wachstum. Am Ende prognostiziert die DLR-Analyse für die Zukunft: "Die Anzahl der Passagiere verdreifacht sich bis 2050."

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