Erschreckend viele Menschen sind in der letzten Zeit beim Baden in der Ostsee ertrunken. Allein in Mecklenburg-Vorpommern waren es am vergangenen Wochenende sechs. Problematisch ist der Wind, der zu starkem Wellengang führt. Auch die Unterströmung macht das Gewässer gefährlich - vor allem für Kinder und unerfahrene Schwimmer. Bis zu 400 Menschen ertrinken laut Website Ostsee24.de jedes Jahr in Deutschland, obwohl häufig andere Badegäste in der Nähe sind.
Einen Ertrinkenden zu erkennen, ist allerdings gar nicht so einfach. Auf welche Zeichen Sie achten sollten, erklärt der US-Rettungsschwimmer und Coast-Guard Mario Vittone auf seinem Blog. Den Original-Eintrag finden Sie hier.
Als der Kapitän voll bekleidet von Bord sprang und durch das Wasser lief, waren die anderen Badegäste, die im Wasser schwammen, zunächst irritiert. "Ich glaube, er denkt, du seiest am Ertrinken", sagte der Mann zu seiner Frau. Kurze Zeit zuvor hatten sie einander mit Wasser bespritzt und geschrien. "Uns geht es doch gut, was macht er denn da?!", fragte die Frau leicht genervt ihren Mann. "Es geht uns gut!", rief der Mann dem Kapitän zu. Aber der Kapitän ließ sich nicht aufhalten. Er schwamm unbeirrt an dem Pärchen vorbei und schrie nur kurz "Weg da!". Denn direkt hinter ihnen, nur wenige Meter entfernt, war die neunjährige Tochter gerade dabei zu ertrinken. Der Kapitän kam in allerletzter Sekunde. Das Mädchen fing an zu weinen und schluchzte: "Papa!".
Warum wusste der Kapitän aus rund 15 Metern Entfernung, was der Mann aus weniger als drei Metern nicht erkennen konnte: dass die Tochter gerade ertrank? Der Kapitän ist ein ehemaliger Rettungsschwimmer der Küstenwache und hat durch eine fachliche Ausbildung gelernt, die Gefahren des Ertrinkens rechtzeitig zu erkennen. Auch ich war Rettungsschwimmer, und mich überrascht diese Geschichte überhaupt nicht. Denn wenn jemand ertrinkt, dann wird nicht - wie es oft im Fernsehen gezeigt wird - wild geschrien und gewunken. Das Ertrinken ist fast immer ein ruhiger und wortloser Vorgang. Bis die neunjährige Tochter mit letzter Kraft "Papa" sagte, hatte sie nicht einen Ton von sich gegeben. Darum sollten Sie sicherstellen, dass Sie die Anzeichen des Ertrinkens erkennen.
Das, was Menschen tun, um tatsächliches oder vermeintliches Ertrinken zu verhindern, hat Dr. Francesco A. Pia die instinktive Reaktion (The Instinctive Drowning Response) genannt. Es gibt kein Geschrei, kein Gespritze und kein Gewinke. Bedenken Sie Folgendes: Der Tod durch Ertrinken ist der zweithäufigste Unfalltod (nach Verkehrsunfällen) bei Kindern unter 15 Jahren. Auch in der nächsten Schwimmsaison werden wieder Kinder ertrinken. Bei etwa der Hälfte wird das in einer Entfernung von nicht mehr als 20 Metern von einem Elternteil passieren. Und in zehn Prozent dieser Fälle wird ein Erwachsener sogar zusehen und keine Ahnung davon haben, was da gerade geschieht. Ertrinken sieht nicht aus wie Ertrinken!
Worauf Sie achten sollten
Achten Sie beim Baden auf folgende Anzeichen, die Dr. Pia in einem Artikel im "Coast Guard's On Scene Magazine" erläutert:
1. In den meisten Fällen sind ertrinkende Menschen physiologisch nicht dazu fähig, Hilfe zu rufen. Da das Atmungssystem auf das Atmen ausgelegt ist, und die Sprache die zweite/überlagerte Funktion darstellt, muss zunächst die Atmung sichergestellt werden, bevor die Sprachfunktion stattfinden kann.
2. Da sich der Mund beim Ertrinken unter der Wasseroberfläche befindet und nur kurzeitig wieder aus dem Wasser auftaucht, ist die Zeit für das Ausatmen, Einatmen und für einen Hilferuf zu kurz. Sobald sich der Mund einer ertrinkenden Person über der Wasseroberfläche befindet, wird schnell ausgeatmet und wieder eingeatmet, bevor der Kopf wieder unter Wasser abtaucht.
3. Der Ertrinkende kann Sie nicht herbeiwinken. Er wird seine Arme instinktiv seitlich ausstrecken und von oben auf die Wasseroberfläche drücken. Diese Schutzfunktion soll den Körper über der Wasseroberfläche halten, um weiter atmen zu können.
4. Eine bewusste Steuerung der Arme ist bei einer instinktiven Reaktion auf das Ertrinken ebenfalls nicht möglich. Ertrinkende Menschen sind körperlich nicht dazu fähig, das Ertrinken durch bewusste und gesteuerte Bewegungen abzuwenden.
5. Während der Dauer des Ertrinkens befindet sich der Körper aufrecht im Wasser.
Reagieren Sie schnell
In der Regel können sich Ertrinkende nur 20 bis 60 Sekunden an der Wasseroberfläche halten, bevor sie untergehen - nicht viel Zeit für einen Rettungsschwimmer. Selbstverständlich befindet sich eine Person, die schreiend und winkend um Hilfe ruft, in einer ernsthaften Situation. Anders als beim tatsächlichen Ertrinken, können sich die betroffenen Personen an ihrer eigenen Rettung beteiligen und etwa nach Rettungsleinen oder -ringen greifen. Dieser Zustand wird als Wassernotsituation bezeichnet. Eine Wassernotsituation muss nicht zwangsläufig vor einer instinktiven Reaktion auf das Ertrinken auftreten.
Weitere wichtige Anzeichen des Ertrinkens:
- Der Kopf ist nach hinten geneigt und unter Wasser. Der Mund befindet sich auf einer Höhe mit der Wasseroberfläche.
- Die Augen sind glasig und leer oder geschlossen.
- Die Haare bedecken die Stirn und/oder die Augen.
- Der Körper befindet sich vertikal im Wasser – die Beine werden nicht bewegt.
- Der Ertrinkende beschleunigt die Atmung und kämpft nach Luft.
- Die Person unternimmt den Versuch zu schwimmen, kommt aber nicht voran.
- Der Ertrinkende versucht, sich auf den Rücken zu drehen.
Wenn Sie sichergehen wollen, dann fragen Sie die betreffende Person: "Geht es dir gut? Brauchst du Hilfe?". Erhalten Sie eine Antwort, dann scheint es der Person wirklich gut zu gehen. Wenn nicht, dann bleiben Ihnen nur wenige Sekunden, um sie zu retten. Und noch ein Hinweis für alle Eltern: Kinder, die im Wasser spielen, sind laut und machen Lärm. Sollte es still werden, dann sollten Sie nachschauen, warum das der Fall ist.