Pinguine Könige der Kälte

Von Rüdger Braun
Die drolligen Frackträger sind zu Recht die Stars der Antarktis. Kaum eine Kreatur ist so hart im Nehmen - und vollbringt solche Heldentaten für den Nachwuchs wie Pinguine.

Ende März, kurz bevor das Wasser zwischen den Eisbergen und Packeisschollen für Monate zufriert, schießen sie wie Torpedos aus der Tiefe des Meeres hervor. Sie sind die größten und schönsten der Pinguine, mit schneeweißem Bauch, tiefschwarzem Rücken und leuchtend gelb-orangefarbenen Wangenflecken - die Kaiser im Eis. Wenn der Südhalbkugel-Sommer sich dem Ende zuneigt und die meisten anderen Bewohner des Eismeers Schutz in wärmeren Gefilden suchen, schwimmen sie unbeirrt auf die lebensfeindliche weiße Wüste zu, versammeln sich in riesigen Schwärmen an der Schelfeisküste rund um den antarktischen Kontinent - und klatschen dann im Sekundentakt bäuchlings aufs harte Eis.

Kaum an Land, setzen die Tiere sich in Bewegung, angetrieben von ihrem Instinkt. Sie watscheln aufrecht auf kurzen Hinterbeinen oder schubsen sich auf den Bäuchen liegend über glatte Eisflächen. Alle in kilometerlangen Karawanen, die von Ferne aussehen, als würden Tausende von Pilgern oder Konzertbesuchern einer Versammlung zustreben, feierlich gekleidet in schwarzen Fräcken. Oft müssen die Meeresvögel mehr als 100 Kilometer unwegsames Gelände überwinden, bis sie eine Ebene erreichen, über die der Wind nicht ganz so unerbittlich pfeift und auf der sich im Eis keine abgrundtiefe Risse auftun. Und dabei ist der lange Marsch zum Hochzeitsplatz nur der Auftakt zum entbehrungsreichen und gefahrenvollen Vermehrungskampf der Kaiserpinguine, einem jährlich wiederkehrenden Naturschauspiel.

Pinguine haben das Fliegen aufgegeben

Pinguine sind halb Land-, halb Seebewohner, die einzige Familie in der Klasse der Vögel, in der alle 17 Arten das Fliegen aufgegeben haben und ins Meer zurückgekehrt sind. Ihre Flügel sind wie Flossen, ihr Körper ist stromlinienförmig wie ein Geschoss. Bis zu 36 Stundenkilometer schnell können sie durchs Wasser flitzen. Sie sind gute Jäger und erlegen vor allem Krill, kleine Fische und Tintenfische. Ihre Knochen haben keine Luftkammern wie die flugfähiger Vögel und sind deshalb wesentlich schwerer. Das hilft beim Abtauchen und vermindert unter Wasser den störenden Auftrieb. Besonders Kaiserpinguine sind hervorragende Taucher; die gemessene Rekordtiefe liegt bei 535 Metern.

Selbst wenn die Temperaturen unter minus 20 Grad Celsius sinken, können die Vögel ihre konstante Körpertemperatur von 39 Grad halten. "Wofür ich zehn Kilogramm High-Tech-Klamotten brauche", sagt der australische Polarforscher Graham Robertson bewundernd, "das schaffen Pinguine mit ihrem leichten Federkleid." Das gelingt ihnen durch eine Reihe Anpassungen, die sie im Lauf der Evolution entwickelt haben: Sie scheiden ein Öl aus, das sie mit dem Schnabel über ihr fellartiges Federkleid verteilen. Dadurch wird im Gefieder Luft eingeschlossen, die als Isolationsschicht wirkt. Zudem polstern sich die Frackträger mit einer dicken Speckschicht.

Dass Pinguine auf dem Eis stehen können, ohne den Grund unter sich zum Schmelzen zu bringen oder festzufrieren, verdanken sie einem raffinierten Wärmeaustauschsystem in ihren Beinen: Das vom Herzen kommende warme Blut heizt im Gegenstromprinzip das kalte, zurückfließende Blut auf und verliert dabei selbst an Temperatur. Zusätzlich kann der Blutfluss in Füße und Flügel muskulär reduziert werden, wenn es zu kalt wird. Die Extremitäten sind deshalb häufig nicht viel wärmer als die Umgebungstemperatur.

Kaiserpinguine sind die schrägsten

Allerdings sind nicht alle Pinguinarten Kältespezialisten. Der Galápagospinguin bevorzugt tropisches Inselklima in Äquatornähe. Relativ warm mag es auch der südafrikanische Brillenpinguin. Vor allem zwei Arten haben den kalten, unwirtlichen antarktischen Kontinent als Brutplatz erobert: der Adelie- und der Kaiserpinguin. Der große Rest verteilt sich auf die subantarktischen Inseln und die südlichen Regionen von Südamerika, Australien und Neuseeland.

Unter den schrägen Vögeln sind Kaiserpinguine mit Abstand die schrägsten. "Verglichen mit anderen Vögeln ist bei ihnen vieles verkehrt herum", sagt die Pinguinforscherin Ann Bowles vom Hubbs-Sea-World-Forschungsinstitut in San Diego. "Sie brüten im Winter, Weibchen konkurrieren um die Männchen und sind notorisch untreu. Es sind die bizarrsten Vögel, die ich je getroffen habe."

Nach wochenlangen Paarungstänzen und -gesängen im April und Mai legt das Kaiserpinguin-Weibchen ein gut tennisballgroßes Ei und übergibt es unverzüglich an ihr Männchen, welches die Kostbarkeit kältegeschützt in einer Bruttasche zwischen Füßen und Bauch balanciert. Dann brechen die Weibchen auf, um sich im Meer über zwei Monate lang den Bauch vollzuschlagen. Ei und Partner lassen sie im schlimmsten polaren Winter zurück, in wochenlanger Dunkelheit, ohne Futter. Mehr als 110 Tage kann das Fasten der Männchen dauern. Bei heulendem Wind und lebensbedrohlicher Kälte pressen sie sich dicht aneinander, um Energie zu sparen. Die Pinguine am Rand der Gruppe stehen mit dem Rücken zum Wind. Doch ein kameradschaftliches Rotationsprinzip sorgt dafür, dass jeder für eine Weile Schutz im Innern des Pulks findet.

Heldentaten für den Nachwuchs

Trotz der widrigen Bedingungen ist dies die Zeit, in der die Küken schlüpfen. Um sie am Leben zu halten, bis ihre Mütter mit reichlich Nahrung zurückkehren, pressen die Väter nach Wochen des Fastens eine letzte Notration aus ihren Mägen. Der Pinguinexperte Yvon Le Maho fand kürzlich gemeinsam mit Kollegen vom Straßburger Zentrum für Ökologie und Energetische Physiologie heraus, dass ein spezielles Protein den Speisebrei vor dem Verrotten schützt: "Wir konnten bei Untersuchungen an Königspinguinen ein Molekül identifizieren, das wir in Anlehnung an den lateinischen Namen der Pinguine Spheniscin genannt haben. Es tötet Bakterien und Pilze ab. Da alle Pinguine ihre Jungen auch noch nach langen Fastenzeiten füttern können, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie alle ähnliche Proteine besitzen."

Wenn das Muttertier bei der Futterbeschaffung jedoch zu lange braucht, droht dem Jungtier der Hungertod. Das kann etwa passieren, wenn riesige Eisflächen herantreiben und den Weg der Tiere zum Wasser verlängern. Oder wenn einfach zu wenig Beute da ist. Dies haben Forscher in den vergangenen Jahren bei mehreren Pinguinarten beobachtet. Denn während in der Zentral-Antarktis die Eismassen sogar noch zunehmen, schmilzt inzwischen in einigen Randzonen das Schelfeis ab. Das führt zu einem Rückgang bestimmter Algenarten, die wiederum Nahrungsgrundlage des Krill sind, von dem sich Pinguine ernähren. Nichts müssen die Kaiser der Kälte also mehr fürchten als zu viel Wärme.

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