Die Lage sei ungewöhnlich ernst. Die Fahndung nach dem Komplizen des am Samstagmorgen festgenommenen 21- jährigen Libanesen lief am Sonntag auf Hochtouren. Die beiden sollen vor drei Wochen versucht haben, Regionalzüge nach Koblenz und Hamm mit Kofferbomben in die Luft zu sprengen. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs erließ am Sonntag Haftbefehl gegen den Festgenommenen.Als Konsequenz aus den misslungenen Anschlägen forderte die Union eine Ausweitung der Videoüberwachung und die rasche Einführung der Anti-Terror-Datei. Auch der Koalitionspartner SPD und die Opposition befürworteten erweiterte Sicherheitsmaßnahmen, mahnten aber zur Verhältnismäßigkeit. Umstritten ist, wie weit die staatliche Überwachung gehen darf. Generalbundesanwältin Monika Harms äußerte den Verdacht, dass ein unbekanntes Netzwerk schwere Gewalttaten in der Bundesrepublik plane.Der Ermittlungsrichter begründete den Haftbefehl gegen den am Samstag um 3.40 Uhr auf dem Hauptbahnhof in Kiel überwältigten Libanesen mit den Vornamen Youssef Mohamad unter anderem mit dem Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Ihm wird zudem «versuchter Mord mit gemeingefährlichen Mitteln in einer Vielzahl von Fällen» und «versuchtes Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion» vorgeworfen. Der Tatverdacht ergebe sich aus der Auswertung von Videoaufzeichnungen verschiedener im Hauptbahnhof Köln angebrachter Überwachungskameras, teilte der Ermittlungsrichter mit. «Darüber hinaus können in den "Bombentrolleys" sichergestellte DNA-Spuren dem Beschuldigten zugeordnet werden.»Bei ihren Ermittlungen war die Polizei auf Spuren in den Libanon gestoßen. In den nicht explodierten Koffern hatten sich ein arabisch beschriebener Zettel mit einer Telefonnummer im Libanon und Speisestärketüten eines libanesischen Herstellers gefunden. Der libanesische Student der Mechatronik sei «definitiv» einer der Täter, sagte Harms am Samstag in Karlsruhe. Er habe sich aus seinem Wohnort Kiel absetzen wollen. Für islamistische Hintergründe gibt es derzeit nach Worten des Präsidenten des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, noch keine belastbaren Erkenntnisse.Der Student ist laut Harms im September 2004 nach Deutschland eingereist und seit Februar 2005 in Kiel gemeldet. Im Zuge der Festnahme hatte die Polizei am Samstag den Kieler Hauptbahnhof für rund fünf Stunden gesperrt. Die Täter waren öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben worden. Das BKA verbreitete am Freitag im Kölner Hauptbahnhof aufgenommene Videoaufnahmen.Laut Schäuble ist völlig unklar, wie viele potenzielle Terroristen in Deutschland leben. «Wir wissen gar nicht, wen wir hier alles noch haben», sagte er am Samstagabend im ZDF. Der zweite mutmaßliche Bombenleger kommt laut Ziercke nicht aus Kiel. Der BKA-Chef warnte davor, in der Wachsamkeit nachzulassen. Schäuble forderte schärfere Sicherheitsbestimmungen. «Wir müssen jetzt die Anti-Terror-Datei zu Stande bringen.» Erneut verlangte er eine Ausweitung der Videoüberwachung.Die Deutsche Bahn AG kündigte am Sonntag an, die Videoüberwachung zu verstärken. Bundesweit gibt es laut Bahn mehrere tausend Videokameras auf den 5700 Bahnhöfen. Welche Bahnhöfe überwacht werden, sagt das Unternehmen nicht.Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz unterstützte Schäubles Pläne. Auch der SPD-Vorsitzende Kurt Beck befürwortete eine verstärkte Überwachung besonders gefährdeter Orte, forderte aber zu Augenmaß auf und warnte vor Schnellschüssen. «Eine Totalüberwachung lehne ich ab.» Alles sei eine Frage von Maß und Ziel.Die Opposition aus FDP, Linkspartei und Grüne stimmte einer Videoüberwachung an Brennpunkten zu, lehnte aber eine flächendeckende Überwachung ab. Der Sicherheitsexperte der Grünen, Wolfgang Wieland, sagte: «Der Kern unseres freiheitlichen Rechtsstaates darf nicht auf diesem Weg selbst zum Opfer des Terrorismus werden.»Zu der jahrelangen Debatte um eine von Polizei und Geheimdiensten zu nutzende Anti-Terror-Datei sagte Schäuble, er sei sich sicher, dass die Einführung im September beschlossen werde. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) kritisierte im Magazin «Focus» den Schäuble-Entwurf als «noch nicht optimal» und praxisgerecht. Bayern will auch Daten über Beruf, Religion und frühere Auslandsaufenthalte aufnehmen.Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, trat ebenfalls für die Anti-Terror-Datei ein, bestand aber auf einer klaren Trennung von Polizei und Geheimdiensten. Wie auch die frühere FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger befürwortete er eine Indexdatei, die eine Übersicht über vorhandene Datenbestände enthält. Eine Volltextdatei lehnt er ab.
Eilmeldung Regierung fürchtet nach Festnahme neue Anschläge
Karlsruhe/Kiel/Berlin (dpa) - Nach der spektakulären Festnahme eines mutmaßlichen Bombenlegers in Kiel befürchten Bundesregierung und Sicherheitsbehörden weitere Terroranschläge in Deutschland. «So nah war die Bedrohung noch nie», sagte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Wochenende.