Zur Stunde sitzen in China viele Millionen Chinesen gespannt vor ihrem Fernseher, weil sie einen großen, blonden Deutschen sehen wollen. Oliver Kahn startet im Reich der Mitte seine TV-Karriere. Am Abend wird die erste von zehn Folgen seiner Casting-Show "Kahn – Das Treffen am Drachentor" ausgestrahlt. Es geht – natürlich - darum, unter zehn Kandidaten den talentiertesten Nachwuchs-Torwart auszuwählen. Dem Gewinner winkt ein Torwarttraining in Deutschland. Der Titan höchst persönlich wird das Training leiten. Das Motto der Show lautet "I never give up (Ich gebe niemals auf)". Was Kahn über Jahre hinweg in deutsche Reportermikrofone diktiert hat, will der ehemalige Bayern-Star jetzt einem Milliarden-Publikum im Reich der Mitte als erfolgversprechende Lebensphilosophie verkaufen.
Offensichtlich rechnet nicht nur der Sender Heilongjiang TV mit einem gewaltigen Erfolg der Kahn-Show. Auch die chinesischen Behörden bekamen kurz vor dem ursprünglich geplanten Start vor zwei Wochen kalte Füße und kippten die Show nur wenige Stunden vor der Ausstrahlung aus dem Programm. Seit dem überwältigenden Erfolg der Castingshow "Supergirls" vor ein paar Jahren, an der sich 280 Millionen Zuschauer per SMS beteiligten, ist die alleinherrschende kommunistische Partei aufgeschreckt. Heilongjiang TV warb mit gewaltigem Aufwand für die Kahn-Show. Als dann die Zeitung "China Daily" ihre Leser aufforderte: "Rückt zur Seite, Supergirls", wurde es den Behörden zu bunt: Sie setzten die Zensurschere an, weil sie fürchten, dass Kahns Keeper-Casting ähnlich erfolgreich einschlägt, berichtet die "Süddeutsche Zeitung".
Kahn doziert Lebensweisheiten
Kahns harmlose Talente-Show musste zurück ins Studio und wurde um einige Szenen gekürzt. Die Kandidaten dürfen sich seltener äußern, dafür doziert Kahn nach jedem Schuss auf das Tor der Möchtegern-Keeper über seine Lebensphilosophie und vermutlich darüber, wie man es schafft, Champions-League- und Uefa-Pokalsieger, achtmal Deutscher Meister und sechsmal DFB-Pokalsieger zu werden. Und wie man schwere Niederlagen wie im WM-Finale 2002 wegsteckt, als die Deutschen durch einen Fehler Kahns als Verlierer vom Platz gingen.
Vielleicht wird die Zensur-Maßnahme den Erfolg der Show vergrößern, weil der blonde Hüne noch päsenter ist. Schließlich ist Kahn in ganz Asien seit der WM in Japan und Südkorea ein echter Superstar. Seine Popularität wird ihm bei seiner Arbeit als chinesischer Dieter Bohlen behilflich sein. In China hat er eine eigene Internetseite. Anfang Mai schloss ein Pharmaunternehmen mit Kahn einen Zweijahresvertrag für den japanischen Markt, auf dem er auch schon für Autoreifen Reklame gemacht hat.
Maximaler Erfolg
Auf der Asienreise der Nationalmannschaft war die ehemalige Nummer 1 dabei und rührte kräftig die Werbetrommel - und gibt sich als sportlicher Entwicklungshelfer aus: "Bei Besuchen in China, Japan oder Korea habe ich festgestellt, dass es Interesse und unheimlichen Nachholbedarf gibt, was das Torwartspiel angeht". China soll erst der Anfang sein. Seine Agenten verhandeln in Südkorea, Indonesien, Japan und Dubai über ähnliche TV-Formate. Kahn will, wie es seine Art ist, maximalen Erfolg.