Fremde, die zu Jack Warner wollen, spüren seine Macht schon am Ortseingang von Arouca. Die Straßen sind verwinkelt, also fragen wir den Tankwart. Der tut aber so, als ob er den Namen Jack Warner noch nie gehört hat. Der örtliche Polizist, der an einer Kreuzung den Verkehr regelt, zuckt mit den Schultern und lächelt sehr freundlich. Nein, den Weg zu Jack Warner könne er nicht weisen. Ein Rentner, der seinen Garten wässert, erklärt die grassierende Ahnungslosigkeit wenigstens: "Wissen Sie, wir mögen Jack. Wir wollen, dass er sich hier wohl fühlt. Deshalb beschützen wir Jack und sagen Fremden nie wo er wohnt." Oft schicken sie Neugierige dann einfach in die falsche Richtung. "Nach rechts, am Hindu Tempel vorbei, nach links und geradeaus." Und schon steht man am Ortsausgang. Zum internationalen Flughafen von Trinidad und Tobago sind es nur ein paar Fahrminuten.

Jack Warner, 72, gilt als Wohltäter im Karibikstaat Trinidad und Tobago. Er greift ein, wenn einem talentierten Fußballer die Bank den neuen BMW pfändet, weil das junge Talent dann doch nicht so flüssig ist. Jack bürgt für ihn und die Bank schickt einen Boten, der die Schlüssel zurückbringt.
Jack zahlt, wenn sich die Schönheitskönigin von Trinidad und Tobago das Flugticket zur Kür der Miss Universe auf Hawaii nicht leisten kann. Wenn in der Nachbarschaft einer in Geldnot steckt, lässt Jack einen Umschlag vorbeibringen. 25.000 Dollar pro Monat bringe er so recht regelmäßig unters Volk. Hier ein Schein, da ein Schein. Das ist Jacks Masche. So kauft er sich Dankbarkeit, Gefolgschaft und Abhängigkeit.
Das Volk liebt Jack
Damit wurde er zu einem der mächtigsten und reichsten Männer im Karibikstaat. Vor vier Jahren gründete er eine eigene Partei, die Independent Liberal Party. Gerade versucht er die Regierungschefin des Landes, Kamla Persat-Bissessar zu stürzen. Sie gehört einer anderen Partei an. Jack Warner sagt: "Ich habe vor Jahren ihren Wahlkampf heimlich finanziert." In aktuellen Umfragen hätte Warner tatsächlich eine Mehrheit. Das Volk liebt Jack.
Der Rest der Welt kennt Jack Warner als Ex-Fifa-Funktionär, dem Bestechung, Bestechlichkeit, Geldwäsche und Betrug vorgeworfen wird. Die USA wollen ihn vor Gericht stellen, haben Interpol eingeschaltet. Aber so lange ihn Trinidad und Tobago nicht ausliefert, ist er in seiner Heimat sicher.
Warner selbst lassen die Anschuldigungen kalt - im Gegenteil: Im stern attackierte er den inzwischen zurückgetretenen Fifa-Chef Josef Blatter scharf: "Kein anderer hat so viel Schande über die Fifa gebracht", sagte Warner, der 2011 im Zuge eines anderen Korruptionsskandals von seinem Amt als Fifa-Vize zurückgetreten war. Mitte dieser Woche legte er noch einmal nach. Der Fußball-Weltverband habe seine Partei im Wahlkampf vor fünf Jahren finanziell unterstützt. Fifa-Funktionäre hätten davon gewusst, darunter auch Blatter, behauptete Warner in einer Fernsehansprache. "Nicht mal der Tod wird die Lawine stoppen, die kommt", prophezeite der 72-Jährige vor Anhängern: "Die Würfel sind gefallen."
Kampfbereit gab Warner sich auch schon während des exklusiven stern-Interviews am vergangenen Wochenende, das am Rande einer Party in seinem Wahlbezirk stattfand. Warner hielt Hof und ließ sich feiern. Auf einer Großleinwand wurden Fotos und Videos gezeigt. Man sah Jack als Kind, bitter arm, gezwungen auf einer Zuckerrohrplantage zu arbeiten. Man sah Jack als Fußballfunktionär, der das kleine Trinidad und Tobago zur WM mit den großen Fußballnationen begleitet. Und das Publikum erlebte natürlich den Wohltäter. Eine junge Frau bedankte sich bei ihm für ihr Stipendium. Sie ist jetzt Ärztin. Als Kind musste sie auf einer Zuckerrohrplantage arbeiten. Wie Jack.
Beim Abendessen ging Warner durch die Reihen seiner 200 Gäste. Er plauderte, umarmte und verteilte Brot.
40.000 Dollar an Fußballfunktionäre
Dann war er bereit für das Gespräch mit dem stern. Er bestritt gar nicht, dass er als Fifa-Mann häufig viel Geld verteilen ließ. Aber es seien Geschenke gewesen, oder legale Zahlungen. Jedenfalls nichts Kriminelles.
Ein Fall ist exemplarisch dafür, wie Warner agiert und sich windet. Der stern fragte ihn nach den 25 Briefumschlägen mit jeweils 40.000 Dollar, die bei einer Tagung in Trinidad an Fußballfunktionäre verteilt wurden, um Stimmen für die Wahl von Mohamed bin Hamman aus Kater zu kaufen, der 2011 neuer Fifa-Boss werden sollte. Warners Antwort: "Die Umschläge mit dem Geld waren Geschenke. Jemand anderer hat sie verteilt. Ich, Jack Warner, habe keine Umschläge herumgetragen."
Der stern fragte nach: Aber Sie sorgten dafür, dass insgesamt eine Million Dollar verteilt wurden. Sie ließen bestechen. Warners Antwort: "Hören Sie doch auf damit! Wer wollte, konnte den Umschlag ja zurückgeben." Das sind Warners Methoden. Bei der Fifa und bei vielen seiner Millionen-Geschäfte als Unternehmer.
Warners Bestechungseinmaleins
Nur gegen das Versprechen ihn nicht mit Namen zu nennen, führt ein Einheimischer den stern durch den Teil Trinidads, der Warner-Land ist. Es ist wie eine Fahrt übers Monopoly Brett. Der Warner-Clan besitzt Hotels, Wohnhäuser, Immobilienfirmen und Einkaufszentren. Ja, sogar ein Stadion mit großem Trainingszentrum, das Joao Havelange Centre of Excellence, gehört zu Warners Besitz. Bezahlt wurde es aus Fifa-Töpfen. Die 25 Millionen Dollar teure Anlage steht aber auf Jack Warners Grund und Boden. Damit gehört es faktisch ihm. Als gebaut wurde, wusste das offiziell niemand. Und es hat auch keiner gefragt. Die große überdachte Trainings- und Festhalle in Warners Stadion heißt "Sepp Blatter Hall".
Wie eng Warner und Blatter zusammenspielten, zeigt ein E-Mail-Wechsel aus dem Jahr 2001. Damals wollte Warners Sohn Daryll im Geschäft mit WM-Tickets mitmischen. Die Fifa Marketing Abteilung blockte ihn aber ab. Ende Juli schreibt Jack Warner dann an Sepp Blatter diese E-Mail: "Ich bin verwirrt, Sepp, und bitte um deine Hilfe. Sepp, ich habe mein Bestes getan, dich nicht zu behelligen, aber nachdem ich alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft habe, komme ich einfach nicht weiter. Ich habe Mails mit meinem offiziellen Titel geschickt. Aber bekam keine Antwort."
Sepp Blatter antwortet am 2. August: "Lieber Jack, ich habe gute Nachrichten. Der Generalsekretär und Projektmanager wird dich entsprechend informieren. Ich mache Urlaub und komme dann mit vollen Batterien zurück. Alles Gute. Sepp."
Warners Sohn war im Geschäft.
Die hohe Schule der Vorteilnahme
Es ist wie bei der Geschichte mit den Briefumschlägen voller Geld. Wichtig ist, dass bei allem Gekungel noch ein dritter Mann dazwischen ist. So kann man am Ende immer sagen. "Ich doch nicht. Ein anderer war’s." Das ist die hohe Schule der Vorteilnahme.
Hinter einem Absperrgitter vor dem Parlament in Port of Spain steht am Freitagnachmittag Kirk Waithe. Als Jack Warner aus seinem Dienstwagen steigt, ruft er: "Haltet den Dieb!" Ein Dutzend Mitdemonstranten hält Plakate hoch, auf den "Schluss mit der Korruption" und "Neuwahlen, jetzt!" gefordert werden. Kirk Waithe sagt dem stern: "Jack Warner ist ein gemeiner Dieb. Ein Gauner und Betrüger. Jack Warner könnte unter Recht und Gesetz nicht überleben."
Whaite hat die Nichtregierungsorganisation Fixin T&T gegründet. Trinidad und Tobago, so das Ziel, sollen endlich die Korruption bekämpfen. "Alle leiden unter den Folgen von Bestechung und Bestechlichkeit", sagt Whaite. In Trinidad gilt beim Bau von großen Infrastrukturprojekten folgende Regel aus dem Bestechungseinmaleins: Erst mal verdoppelt man den echten Preis, dann zahlt man 50 Prozent als Schmiergelder und mit dem Rest wird schließlich gebaut. Kommt es zu einem Regierungswechsel in der Zwischenzeit, wird das Vorhaben gestoppt. Ein anderes Bauprojekt angeschoben – und weiter geht es mit dem Bestechen. In der Hauptstadt verfallen derweil architektonische Schmuckstücke. Abreißen, Schmieren, Betonieren – so kommt viel mehr Geld in Umlauf.
Bestechung gehört zum Alltag
Auf dem Korruptionsindex von Transparency International steht der Inselstaat etwa gleichauf mit Sambia oder Malawi. Bestechung durchzieht fast alle Lebensbereiche. Wer in Trinidad zur Führerscheinprüfung geht, nimmt einen Bündel Bares mit. "Wenn du nicht schmierst, lässt dich der Prüfer durchrasseln", sagt Kirk Waithe. Unternehmer, Funktionäre und Politiker wie Jack Warner profitieren von diesem System der Käuflichkeit.
Jack Warners Haus in Arouca haben wir am Ende auch gefunden. Es ist das größte und schönste Anwesen im Viertel. Aber es ist nicht protzig. Darauf hat der Hausherr geachtet. Auch hier gibt er sich als Mann des Volkes. Dass seine Familie Luxusimmobilien in Miami besitzt, muss ja keiner wissen.
Neben dem Haus erstreckt sich eine weitläufige Grünfläche, so groß wie zwei Fußballfelder. Ein Schild weist darauf hin, wem die Anwohner dafür dankbar sein sollten. "Welcome to Warner Park". Die Regeln für Besucher lauten: "Kein Alkohol, keine laute Musik!" Auch Ballspiele sind verboten.
Ein typischer Warner: Vordergründig tut er Gutes. In Wahrheit stellte der Hausherr mit einem Park zwischen sich und dem Rest des Viertels sicher, dass ihm keiner zu nahe rückt und über die Mauer schielt. Warner möchte seine Ruhe haben. Aber "Trinidad Jac" macht es so clever, dass ihm die Nachbarn dafür auch noch dankbar sind.
Das Exklusiv-Interview mit Jack Warner ...
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