Klinsmann-Interview "Mit uns muss man rechnen"

Bedeutet der Sieg der deutschen Elf gegen Polen auch ein Sieg des Bundestrainers über seine Kritiker? Jürgen Klinsmann spricht nach dem 1:0-Erfolg im Interview über den erlösenden Moment des Tores und die Leistung seiner Spieler.

Haben Sie selbst in der Nachspielzeit noch an das Tor geglaubt? Klinsmann: "Wir hätten es lieber früher gemacht. Aber es war einfach fantastisch zu sehen, wie die Mannschaft dran geblieben ist, wie das Publikum sie nach vorne getrieben hat, wie sie dieses Tor erzwingen wollte. Ich habe immer noch daran geglaubt, auch nach den zwei Lattentreffern. Das hat gezeigt, dass man mit uns rechnen muss bis der Schlusspfiff kommt."

Wie haben Sie den erlösenden Treffer erlebt?

"Das sind Gefühlsmomente, die sind wundervoll. Da platzt so viel aus dir heraus."

Was bedeutet die Dramaturgie des Sieges für den Turnierverlauf?

"Für die Mannschaft war die Erkenntnis wichtig, dass wir zum einen ein hohes Tempo gehen können, das auf internationalem Niveau gespielt wird, und zum anderen wahnsinnig viel Leidenschaft und Entschlossenheit hereinbringen und nicht locker lassen. Das ist eine ganz wichtige mentale Erfahrung. Wir haben schon zuvor immer darauf hingewiesen, dass der Schlüssel zum Erfolg in der Einstellung liegt. Alle Spiele bei einer WM sind auf des Messers Schneide. Als Signal für die Gruppe war das gut. Wir spielen das Turnier im eigenen Land und glauben, dass wir mit jedem mithalten können."

Das Tor wurde von David Odonkor vorbereitet und von Oliver Neuville erzielt. Die Nominierung dieser beiden Spieler hatten einige nicht verstanden. War das deshalb auch ein Sieg für Sie? "Es war einfach nur schön, dass es so geklappt hat. Es war ein Sieg der Gemeinschaft. Mit ihren Qualitäten ist noch mehr Schnelligkeit ins Spiel gekommen. Wir wollten Überraschungsmomente, diese haben beide geliefert. Wir wissen bei jedem einzelnen Spieler, welche Qualitäten er hat, auch bei jedem, der auf der Bank sitzt. Deshalb freut es mich einfach nur für die Mannschaft." Viele Leute waren vor der WM skeptisch, ob Ihr Plan aufgehen würde. Was sagen Sie jetzt? "Vorher wussten einige nicht, die Stärke einzuschätzen. Wir hatten keine Qualifikationsspiele, hatten einige positive und negative Ergebnisse. Wir wussten, dass die echte Prüfung erst bei der WM kommen würde. Wir glauben an dieses Team. Wir wussten, dass es ans Maximum gehen würde. Aber dieses Team braucht auch Siege."

War das Glücksgefühl nach dem Tor womöglich größer als Sie es jemals als Spieler erlebt haben?

"Es waren Sekunden, die brüllt man einfach raus, die genießt man. Wenn man so zittert mit der Mannschaft und das Tor fällt noch, entlädt sich das einfach. Vergleichen mit meiner Zeit als Spieler will ich das nicht, das ist schon zu lange her. Aber es sind besondere Momente in meiner noch jungen Trainer-Karriere, die man nicht vergessen wird. Auch das Publikum wird diesen Abend nicht so schnell vergessen."

Wie beurteilen Sie die Rückkehr von Michael Ballack? "Er war sehr wichtig für unser Spiel. Er ist der Anführer. Seine taktische Rolle vor der Abwehr ist sehr wichtig. Er ist die wichtigste Verbindung zwischen der Abwehr und dem Angriff. Er hat ein exzellentes Spiel abgeliefert. Er ist ein ganz besonderer Spieler für uns."

Wie ist es gelungen, die Abwehrschwächen zu beheben?

"Was heißt gelungen? Wir arbeiten ständig an der Abstimmung, trainieren und besprechen das so oft wie möglich mit den Spielern. Wir hatten intensive Video-Sitzungen, um ihnen einfach an Beispielen zu zeigen, wie man sich besser verhält. Es wird nie so sein, dass Spiele vorkommen, in denen gar keine Fehler vorkommen. Da spielt immer noch ein Gegner mit. Dass wir heute zu Null gespielt haben, heißt nicht, dass das beim nächsten Mal auch so sein wird. Wir sind froh, dass das Verständnis immer mehr wächst. Es kommen noch Kaliber auf uns zu, die uns alles abverlangen werden."

Wie gehen Sie nun in das letzte Gruppenspiel gegen Ecuador?

"Generell: Wir wollen den Gruppensieg - mit aller Macht. Im Achtelfinale muss man auch nicht gleich den eher schwereren Brocken erwischen. Deshalb werden wir gegen Ecuador am nächsten Dienstag wieder alles geben."

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Jens Mende/DPA

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