Im Moment des größten Triumphes sackte Luke Humphries auf der Bühne des Alexandra Palace zusammen, als hätte man die Luft aus seinem Körper gelassen. Sämtliche Körperspannung war wie weggeblasen, Humphries ging auf die Knie, der Kopf sackte nach vorne und die Tränen liefen ihm über die Wangen. Es war dieser eine Moment, den Humphries ganz für sich hatte, Gegner Luke Littler, das viel umjubelte Wunderkind des Dartssports, schien im Hintergrund fast zu verschwinden. Das war zumindest der Eindruck, den man hatte, wenn man das großartige WM-Finale im TV verfolgte.
Humphries, 28 Jahre alt, und derzeit der mit Abstand beste Dartprofi des Planeten, hatte das 16-jährige Wunderkind Littler niedergerungen. Er hatte einen 2:4-Rückstand nach Sätzen in ein 7:4 gedreht, nachdem es zwischenzeitlich so ausgesehen hatte, dass er an der jugendlichen Wucht und Genialität Littlers zerbrechen würde. Humphries überwand die Schwächephase und ließ dem Gegner am Ende keine Chance mehr.
Es erinnert an Nadal und Federer
Wie viel Kraft ihn das Finale gekostet hatte, wurde spätestens dann klar, als er in die Knie ging. Doch nur wenige Augenblicke später richtete sich Humphries wieder auf, ging zu Littler, umarmte ihn herzlich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Sie hatten sich nichts geschenkt und die gegenseitige Achtung vor dem jeweils anderen war beiden anzusehen.
Humphries musste als einer der großen Favoriten des Turniers damit leben, dass einem 16-Jährigen fast die ganze Aufmerksamkeit galt. Aber er meckerte nicht oder gab die beleidigte Diva, im Gegenteil, er zeigte wie viele andere Profis und Ex-Spieler auch, wie sehr er das überragende Talent Littlers bewundert. Es erinnerte ein wenig an die größten Momente zwischen den Tennisspielern Rafael Nadal und Roger Federer. Deren epochale Duelle lebten auch immer davon, dass sie sich gegenseitig bewunderten und das zum Ausdruck brachten.
Gleich in seiner ersten Antwort im Sieger-Interview mit dem TV-Sender Sky sprach Humphries von Littler: "Luke ist ein unglaubliches Talent, so einen 16-Jährigen wird man nie wieder sehen. Ich hoffe, er ist in der Premier League. Er ist einer der Besten der Welt. Da gibt es keinen Zweifel." Und fügte mit leichter Ironie hinzu: "Ich musste mir den WM-Titel jetzt holen, weil in den nächsten Jahren ist er auf jeden Fall da."
Der "Hypetrain" hat sich verlangsamt
Wahrscheinlich hat Humphries mit seiner Prognose recht. Littler hat sich mit dem Erreichen des WM-Finales in London in die Dart-Weltspitze katapultiert und wird dort vermutlich nicht so schnell wieder verschwinden, wenn er sein Talent weiter entwickelt. Ob er tatsächlich der große Dominator der Zukunft sein wird, muss sich natürlich erst erweisen. Humphries und andere Topspieler werden ein Wörtchen mitreden.
Vielleicht besteht Humphries Größe genauso in der Tatsache, dass er Littler mit seinem Sieg einen Gefallen getan hat. Wäre Littler Weltmeister geworden, die Darts-Welt wäre explodiert. Und Littler vielleicht durchgedreht. Die Vergleiche mit Fußball-Genie Lionel Messi waren schon vorher an der Tagesordnung, David Beckham wünschte Littler alles Gute und englische Fußball-Profis schossen Selfies mit dem Wunderkind. Ganz England verfolgte fasziniert den "Hypetrain", der durch den Ally Pally raste, die TV-Quoten schnellten in die Höhe, je weiter Littler im Turnier kam. Die Zahl frühverbrannter Supertalente im Sport ist Legende.
Durch die Niederlage hat sich der "Hypetrain" verlangsamt. Für die Entwicklung eines bald 17 Jahre alten Hochtalentierten kann das von Vorteil sein.