Frau Wilhelm, Sie haben den deutschen Sportjournalisten neues Selbstvertrauen gegeben...
... habe ich?
Ja, Sie geben offen zu, dass es Ihnen schwer fällt, sich nach all Ihren Erfolgen immer wieder aufs Neue zu motivieren. Sonst heißt es immer, das sei alles kein Problem, und Sportjournalisten trauen sich ja kaum noch, diese Frage zu stellen...
Ach so? Ja, aber es ist ja wie ich sage: Ich habe im Biathlon eigentlich alles erreicht, ich habe drei Goldmedaillen bei Olympia gewonnen, den Gesamtweltcup 2006 und war mehrmals Weltmeisterin. Aber man braucht ja noch irgendwas, auf das man hinarbeiten kann. Gerade in meinem Alter, wo man auch langsam mal was Anderes machen könnte.
So eine Biathlonsaison ist eine ziemliche Schinderei für Körper und Seele, oder?
Ja. Das Training beginnt im Mai und dauert bis November, und man weiß in der ganzen Zeit eigentlich nie, wo man steht. Das Schlimmste daran ist: Wenn etwas schief läuft, merkt man es erst, wenn es zu spät ist. Dann hat der Weltcup nämlich schon begonnen, und im Grunde hätte man sich den ganzen Sommer und Herbst umsonst geschunden. Aber noch macht es mir Spaß. Ich schaffe es jedes Jahr wieder, mir ein Ziel zu setzen und weiß dann, worauf ich hinarbeite.
Ist der Biathlon-Boom der letzten Jahre auch ein Grund dafür, dass Sie weitermachen?
Für mich spielt das schon eine Rolle, ja. Die Begeisterung der Menschen in Ruhpolding und Oberhof vor ein paar Wochen, das war gigantisch. Im Hintergrund die Leute schreien zu hören, wenn bei uns vorne die Scheiben umfallen, das ist ein großes Gefühl. Bei Weltcups in Finnland oder Slowenien ist das ja komplett anders. Da fallen die Scheiben und man möchte sich umdrehen und fragen: Hallo, ist hier jemand? Die Leidenschaft der Fans ist wahnsinnig wichtig. Wenn man sich so quält, will man schließlich auch etwas zurück haben. Hinzu kommt natürlich, dass Biathlon mein Beruf ist. Ich bin jetzt 32, da ist es, glaube ich, ganz natürlich, dass ich das alles nicht mehr für ein Butterbrot machen möchte.
Leistungssportler sind mit 20 Jahren Shootingstars und mit 30 Routiniers. Nach zehn Jahren hat man ein kleines Leben hinter sich. Fühlen Sie sich wehmütig?
Die Zeit vergeht sehr schnell. Man ist ständig damit beschäftigt zu lernen und Momente zu verkraften, in denen es nicht so gut lief. Und wenn man meint: Das ist es jetzt!, dann ist es fast schon wieder Zeit zu gehen.
Wie kommen Sie mit der Rolle der Team-Ältesten zurecht?
(Lacht.) Na ja, es ist ja so: Zurzeit ist man die Älteste, und sehr schnell aber auch diejenige, die aufhören sollte. Wenn man das Küken in der Mannschaft ist, dann ist immer alles gut. Man trägt kaum Verantwortung, alle finden einen toll, selbst wenn man nicht so gut ist. Gibt ja schließlich noch die Älteren, die die Kohlen aus dem Feuer holen können. Und dann ist man plötzlich die Älteste im Teams. Das fühlt sich komisch an.
Als Sie Anfang der Neunziger vom Langlauf zum Biathlon gewechselt sind, sprach man noch von den „Flintenweibern“. Verdient haben Sie wenig. Eine Magdalena Neuner ist mit 21 Jahren schon Werbe-Millionärin. Der Aufstieg des Biathlon kam rasant...
Ja, und ich habe eine Menge Glück gehabt. Im Grunde waren es die Athletinnen vor mir, die Biathlon zu dem gemacht haben, was es heute ist. Eine Uschi Disl zum Beispiel, oder eine Petra Behle. Die sicherlich nicht so viel davon hatten wie wir jetzt.
Fehlt den Jungstars von heute die Bescheidenheit der Anfänge?
Das weiß ich nicht. Für mich selbst kann ich sagen, dass ich es angenehm finde, zu wissen woher ich komme. Von meinem ersten Sponsor habe ich damals 500 Mark bekommen, und einen Neuwagen zu einer günstigen Leasingrate. Das war schon was! Und dann hat man sich mit seiner Leistung so peu à peu hochgedient. Die jungen Sportler heute, die haben natürlich sofort ein Management, sofort Sponsoren, obwohl manche bestimmt gar nicht wissen, wie das alles zusammen hängt. Und es gibt sicherlich Fälle im Nachwuchsbereich, wo Athleten lange nicht die Leistung bringen müssen wie wir damals, um einen Sponsor zu bekommen. Da gehören aber die Lena Neuner und die Kathrin Hitzer sicher nicht dazu.
Bei den Skispringern war es ganz schnell vorbei mit dem Ruhm. Haben Sie Angst, dass es dem Biathlon irgendwann ähnlich ergeht?
Klar, das haben alle hier im Hinterkopf. Deshalb sind wir auch froh, dass Lena und Kathrin so nahtlos den Anschluss geschafft haben. Es hat eben über viele Jahre niemanden gegeben, der so durchgestartet ist wie die beiden. Und da hat man sich schon seine Gedanken gemacht. Man braucht eine gute Mannschaft, um in der Staffel vorne mitzulaufen und was wäre gewesen, hätte eine von uns Älteren plötzlich aufhören müssen? Von uns Deutschen hängt im Biathlon eine Menge ab, der Weltcup zum Beispiel lebt davon, dass wir ständig vorne mitlaufen. Und es braucht nicht viel, dass das alles anfängt zu bröckeln...
Dazu tragen aber auch die Gerüchte bei, die permanent durch die Medien geistern. Die ARD meldete vor kurzem, es gäbe ein Blutlabor in Wien, zu dessen Stammkunden vor allem deutsche Wintersportler zählten – ohne Namen zu nennen. Ein paar Tage später entschuldigte sich der Sender dafür. Wie waren diese Tage für Sie als Mannschaft?
Das war natürlich alles andere als einfach. Denn im Endeffekt hast Du als Sportler keine Chance, dich gegen solche Vorverurteilungen zu wehren. Dass sich die ARD für den Redakteur entschuldigt hat, der das Ganze in die Welt gesetzt hatte, war schon bemerkenswert. Das ändert aber leider nichts an der Tatsache, dass die unberechtigten Vorwürfe einen unglaublichen Schaden angerichtet haben. Für uns war es auch wichtig, dass der DSV in diesem Fall rechtliche Schreite eingeleitet hat. Denn ich bin mir sicher, dass sich niemand aus unserem Team etwas zu Schulden hat kommen lassen.
Es fällt Ihnen ja auch nicht leicht, Ihre Unschuld zu beweisen. Den vergangenen Sommer verbrachten Sie ohne eine einzige Dopingkontrolle der Nada...
Ich hab das oft angesprochen, beim DSV, bei der NADA, habe nachgefragt, warum denn nichts passiert. Wir müssen ständig vor den Medien Stellung beziehen und können nichts anderes sagen, als dass wir sauber sind. Inzwischen haben wir ja wieder regelmäßige Kontrollen. Das ist besser so, denn sonst fehlen uns irgendwann die Argumente.
Ihr Verband hat auf diese Situation reagiert: Als erster Sportverband in Deutschland freiwillig eine medizinische Datenbank aufgebaut und den Athleten Pässe ausgehändigt, in denen neben Lungenvolumen und Blutdruck auch der Hämatokritwert notiert ist. Ist das ein erster Schritt, um sich ein unabhängiges Argumentationsgerüst aufzubauen?
Ja, das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Trotzdem: Es geht nicht nur um Blutwerte. Es gibt genug andere Sachen, mit denen man dopen kann, die nicht in Blutwerten ersichtlich sind. Und deshalb müssen wir kontrolliert werden, so regelmäßig wie möglich.
Und trotzdem werden die Gerüchte nicht aufhören, wie das Beispiel der ARD gezeigt hat. Wie gehen Sie mit dem Druck des Generalverdachts um?
Ich weiß nicht, was wir neben den ganzen Eidesstattlichen Versicherungen, Anti-Doping-Initiativen und unabhängigen Studien noch tun sollen, um zu beweisen, dass wir sauberen Sport betreiben. Ein Gerücht oder ein Verdacht sind natürlich deutlich einfacher und schneller ausgesprochen. Irgendwann galt mal in Deutschland die Unschuldsvermutung, mittlerweile scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein. Ich denke, dass langsam auch mal Beweise gebracht oder Namen genannt werden sollten. Ich finde es bedenklich, dass unsere Fans von den Medien ständig gesagt bekommen: die Biathleten sind die Schlimmsten nach dem Radfahren. Da denke ich mir, verdammt, was machen die eigentlich mit unserem Sport? Die machen uns alles kaputt. Denn wir sind ja sauber! Wir bestimmen aber das Niveau im Weltcup. Also, bitte... Wenn ich da nur mit Gedopten laufen würde, dann verstehe ich nicht, warum wir noch gewinnen.
Trotzdem gibt es auch immer wieder Dopingfälle im Biathlon, wie Olga Pylewa in Turin 2006 und erst kürzlich die Finnin Kaisa Varis...
Aber das ist doch klar! Es gibt heute einfach keine Sportart mehr, die hundertprozentig sauber ist. Wenn solche Sachen wie mit der Pylewa in Turin passieren oder jetzt mit Varis, dann ist das natürlich scheiße. Für uns alle. Aber gegen solche dummen Leute ist man nicht gefeit. Und es wird sicher immer welche geben, die es versuchen.