Nach der Abfahrts-Tragödie von Val d' Isère ist neben den Sicherheitsstandards auch das ultramoderne Material ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Seit der taillierte Carving-Ski die alten, gerade geschnittenen »Zaunlatten« abgelöst hat, ist das Skifahren zwar einfacher, aber auch gefährlicher geworden. Vor allem während eines Sturzes mit Höchstgeschwindigkeit ist die Flugkurve der Athleten nicht mehr vorhersehbar. »Wenn ein Fehler passiert, geht man ab wie eine Rakete. Wir sind zu weit gegangen, haben den Bogen überspannt. Die Grenze ist überschritten«, stellte der frühere Ski-Star Christian Neureuther fest.
Runder Tisch gefordert
Vor der Doppel-Abfahrt der Herren in Gröden und den beiden Super- G der Damen auf der Unglückspiste in Val d'Isère am Freitag und Samstag wird von allen Seiten ein Krisengipfel gefordert. »Wir müssen uns schnellstmöglich an einen runden Tisch setzen. Die Industrie, die Funktionäre, die Rennläufer, die Trainer und die Biomechaniker - alle Experten müssen dabei sein und nach Lösungen suchen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich das Bewusstsein durchsetzt, dass etwas getan werden muss«, sagte Neureuther.
Abflüge im 90-Grad-Winkel
»Die Leute fliegen im 90-Grad-Winkel ab. Du weißt also gar nicht mehr, wo du Sicherheitsnetze anbringen musst«, sagte der deutsche Slalom- und Riesenslalom-Trainer Florian Beck der »Passauer Neuen Presse«. Ex-Skistar Frank Wörndl fordert auch in anderer Hinsicht ein Umdenken: »Die Sturzräume müssen vergrößert werden.« Doch dagegen stehen ökologische Bedenken. Bäume sind in den Höhenlagen der Alpen ein wertvolles Gut.
Größere Sturzräume?
»Ein zweiter Fangzaun hätte einiges verhindern können«, kritisierte Regina Häusl, die Abfahrtsweltcup-Gewinnerin von 1999, beim Internet-Anbieter sport1 die Sicherheitsvorkehrungen nach dem schrecklichen Sturz von Silvano Beltrametti am Samstag. Der Schweizer muss für immer im Rollstuhl sitzen. »Es ist für mich fast unglaublich, welch gefestigte Persönlichkeit Silvano bereits ist. Er hat seinen Eltern, den Trainern, Athleten und auch mir Mut gemacht, jetzt nicht aufzugeben, davon gesprochen, er sei sich als Abfahrer des Unfallrisikos bewusst gewesen, und er müsse nun auf einer anderen Ebene weiterkämpfen«, stellte Jean-Daniel Mudry, der Direktor von Swiss-Ski, nach einem Besuch im Krankenhaus fest.
Mehr Verletzungen
Um die Risiken im Rennsport zu minimieren, hatte der Internationale Ski-Verband FIS vor der Saison die Taillierung der Carver reglementiert. Trotzdem werden die Läufer, die das neue Material lieben, in den Kurven immer schneller. Die Carver sind aggressiver, reagieren auf jeden Impuls. Der Skifahrer wird dadurch wendiger, kann sein Sportgerät auch durch den erhöhten Stand der Bindung viel leichter drehen und die Kurve exakter fahren. »Uns fällt auf, dass es mehr Verletzungen, mehr Knochenbrüche gibt. Man kann da einen Zusammenhang vermuten«, stellte der deutsche Mannschaftsarzt Hermann Mayr, der Florian Eckert nach einem eher harmlosen Sturz operieren musste, fest.
Von Volker Gundrum (dpa)