Susi Kentikian Die Antidiva

Von Klaus Bellstedt
Susi Kentikian ist nach dem Abgang von Regina Halmich Deutschlands neuer Star im Frauen-Boxen. Gemeinsam haben die beiden fast gar nichts. Auch, weil das Leben zu Kentikian um einiges härter war. Am Abend steigt die "Killer-Queen" wieder in den Ring.

Im Hamburger Universum-Boxgym ist in diesen Tagen nichts von vorweihnachtlicher Bedächtigkeit zu spüren. Boxweltmeister wie Felix Sturm oder Schwergewichtschampion Ruslan Chagaev schinden sich hier neben noch unbekannten Nachwuchsboxern bis zur Erschöpfung.

Der Weltmeister im Halbschwergewicht, Zsolt Erdei, schwitzt ein paar Meter weiter am Sandsack, während Meistertrainer Michael Timm Anweisungen durch die schweißgeschwängerte Luft brüllt. Ein maskulineres Ambiente ist kaum vorstellbar. Doch im Mittelpunkt des Geschehens steht eine 1,54 Meter kleine Boxerin.

Halmich umgab etwas Divenhaftes

Susianna Kentikian, die sie hier natürlich "Susi" rufen, überstrahlt alle. Das hat mit ihren Erfolgen zu tun: Die 21-jährige Armenierin mit deutschem Pass ist Weltmeisterin der Verbände WIBF und WBA. Aber da ist noch mehr. Die harten Jungs im Gym jedenfalls liegen ihr zu Füßen, begrüßen sie überschwänglich mit Küsschen links, Küsschen rechts - Bussibussi bei Boxern. Und sie drücken ihr kräftig die Daumen: Am Freitag in Halle an der Saale will die Fliegengewichtlerin ihre beiden WM-Gürtel gegen die Russin Anastasia Toktaulova verteidigen (22.50 Uhr, Pro7). In 23 Profikämpfen wäre es für Kentikian der 23. Sieg. Diese Bilanz erinnert an Zeiten, in denen Regina Halmich noch in den Ring stieg. Die Grande Dame des deutschen Frauenboxens beendete vor einem Jahr ihre beispiellose Karriere. Sogleich schnappte sich Kentikian den von Halmich niedergelegten WM-Gürtel.

Wenn man mit Susi Kentikian über Regina Halmich spricht, funkeln ihre Augen noch mehr als sonst. "Ja, sie ist mein Vorbild", sagt sie, "aber ich bin ich, und ich will meine Karriere auf meine Art aufbauen." Die Vergleiche mit der berühmten Karlsruherin ist Kentikian leid. Vielleicht deshalb, weil die beiden außerhalb des Rings fast nichts gemeinsam haben. Halmich umgab stets etwas Divenhaftes. Kentikian, der die Zukunft des deutschen Frauenboxens gehört, ist bescheiden, beinahe schüchtern - und sie stammt aus Armenien.

Mit fünf Jahren flüchtete die Familie aus dem Kaukasus. Ihr Weg nach Westen endete auf einem Hamburger Asylantenschiff. Und er endete beinahe in der Abschiebezelle des Hamburger Flughafens. Kentikian und ihre Familie wurden dort festgehalten und erst durch das Engagement von Boxtrainern und Funktionären kurz vor dem Start der Maschine befreit. Erst ihr Profivertrag verlieh der Familie Sicherheit. Das Leben war hart zu Susi Kentikian. "Aber es hat mich auch hart gemacht - im Ring."

Dampfhammerstil

Zum Boxen kam sie zufällig. "Mein Bruder hat mich zum Training mitgeschleppt. Beim Zuschauen hat es dann irgendwann klick gemacht, und ich habe meine Liebe zu diesem Sport entdeckt." Auch wenn der Glanz der Regina Halmich noch eine Weile auf der deutschen Frauenboxszene liegen wird, Susi Kentikians Popularitätswerte steigen von Kampf zu Kampf: "Die Leute auf der Straße erkennen mich. Aber was noch viel schöner ist - sie können meinen Namen fehlerfrei aussprechen! Das macht mich glücklich und stolz." Kentikian lacht leise dabei, und es scheint fast so, als empfinde sie das noch immer als Wunder.

Eigentlich müsste sie schon längst auf dem Laufband stehen, ihr Trainer Magomed Schaburow wirft schon strenge Blicke herüber. Aber die Boxelfe mit dem unvergleichbaren Dampfhammerstil, die im Ring den Kampfnamen "Killer Queen" trägt, mag nicht aufhören, über ihre Mission zu erzählen. "Ich will ganz lange die beste Fliegengewichtlerin der Welt bleiben. Und ich will, dass hier in meinem Gym neben den ganzen alten Michalczewski-, Sturm- und Halmich-Plakaten endlich auch welche von mir aufgehängt werden." Es wird so kommen, ziemlich sicher.

FTD

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