Es lief die 57. Minute, Deutschland führte im WM-Finale gegen Polen knapp drei Minuten vor Schluss mit 29:23, als sich die Anspannung auf der deutschen Bank langsam zu lösen begann. Nein, diesen Sieg konnte ihnen jetzt niemand mehr nehmen. Die wieder mal bis zum Bersten gefüllte Kölnarena brodelte und gleich - so hätte man meinen können - würde der Hexenkessel explodieren. Keinen hielt es mehr auf den Sitzen, selbst Bundespräsident Horst Köhler stimmte ein in den donnernden Chor der über 19.000 Kehlen und schmetterte das "Oh, wie ist das schön" aus vollem Herzen mit.
Es hätte zwar irgendwie zu dieser verrückten Weltmeisterschaft gepasst, aber auch für die Gesundheit aller Anwesenden war es förderlicher, dass sich ein ähnliches Drama wie im Halbfinale gegen Frankreich nicht noch einmal abspielte. Eine Verlängerung blieb den Zuschauern gegen Polen also erspart. So oder so: Im Zweifel hätte die deutschen Handball-Heißsporne, die allesamt von der Nummer 1 bis zur Nummer 41 mit diesem unwiderstehlichen Siegeswillen zu Werke gingen, auf dem Weg zum ersten WM-Titel nach 29 Jahren "eh" wohl nichts und niemand mehr stoppen können.
Szenen der Ekstase
Schon beim Abspielen der Nationalhymnen präsentierten sich die neuen deutschen Helden, die mit ihren Tugenden längst zu Lieblingen eines ganzen Landes geworden sind, mit ultra-breiter Brust. Genau mit dieser Einstellung waren sie in das Finale gestürmt, und so wollten sie die Sache auch zu Ende bringen. Polen - die Überraschungsmannschaft dieser Titelkämpfe - erwies sich für das Team von Trainer Heiner Brand dann auch als dankbarer Finalgegner. Die Osteuropäer zeigten sich beeindruckt von der Kulisse in der Kölnarena und waren bis auf eine Phase Mitte der zweiten Hälfte, als den Deutschen bei einer Sechs-Tore-Führung kurzzeitig der Faden riss, selten so stark wie die Gegner davor Frankreich und auch Spanien.
Am Ende dieser kurzweiligen und extrem fairen Finalpartie stand also das nackte Ergebnis von 29:24 für Deutschland auf dem riesigen Videowürfel der Arena. Aber dafür interessierte sich nach dem Schlusspfiff eigentlich kaum noch jemand. Deutschland war gerade Handball-Weltmeister geworden und der Jubel-Orkan, der in der Halle nun losbrach, war wohl locker bis nach Düsseldorf zu hören. Auf dem Spielfeld spielten von nun an Szenen der Ekstase ab, die keiner der Anwesenden so schnell vergessen wird.
Schwarz-rot-goldener Konfettiregen
Mit der bedingungslosen Hingabe, mit der sie sonst ihre Gegner bei dieser WM beeindruckt hatten, feierte sich diese Mannschaft völlig verdientermaßen selbst. Ganz wie Franz Beckenbauer anno 1990 im Olympiastadion von Rom, genoss der Vater des Erfolges, Heiner Brand, die Stunde seines größten Trainererfolges abseits der Jubelknäule und Kussattacken - zumindest für einen kurzen, intensiven Moment. Brand schaute seinen Jungs, als sie gemeinsam mit den Fans und einer überdimensionalen Deutschland-Fahne die Welle machten, einfach nur zu und freute sich. Zur Siegerehrung schließlich lief das Team stilecht mit aufgeklebten "Heiner-Brand-Bärten auf. Auch eine Art der Huldigung sowie ein Zeichen dafür, welch exzellentes Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer herrscht.
Stellvertretend für alle nahm Kapitän Markus Baur dann die WM-Trophäe entgegen und stemmte sie im schwarz-rot-goldenen Konfettiregen in die Höhe. Kein Zweifel: Niemand hat sich den WM-Titel so sehr verdient wie diese deutsche Handball-Nationalmannschaft. Auch weil sie Werte verkörpert, die hierzulande hochgeschätzt werden: unbändiger Wille, harte Arbeit und nimmermüder Einsatz. Und alle haben es verdient, an dieser Stelle noch einmal genannt zu werden. Es soll nämlich noch Menschen in Deutschland geben, die die Namen der neuen Superstars immer noch nicht auswendig wissen... Henning Fritz, Johannes Bitter, Pascal Hens, Oliver Roggisch, Dominik Klein, Holger Glandorf, Johannes Bitter, Markus Baur, Christian Zeitz, Torsten Jansen, Andrej Klimovets, Michael Kraus, Florian Kehrmann, Lars Kaufmann und Christian Schwarzer. Trainer: Heiner Brand. Danke für eine unvergessliche Weltmeisterschaft!