Betrugsverdacht Hiobsbotschaft zu Balkonkraftwerken: Möglicherweise müssen Hunderttausende vom Netz

Balkonkraftwerk in Dortmund
Solarpanele einer Photovoltaikanlage am Balkon eines Mehrfamilienhauses in Dortmund wandelt Sonnenenergie in elektrischen Strom für den Hausgebrauch um.
© Imago
Hunderttausende Balkonkraftwerke sind offenbar technisch unsicher, weil Hersteller von Wechselrichtern heimlich ein wichtiges Sicherheitsmodul nicht eigebaut haben. Die Bundesnetzagentur hat das Unternehmen nun aufgefordert, die Kunden zu informieren. Sie müssen ihre Balkonkraftwerke vom Netz nehmen.

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Sonnenstrom selbst zu produzieren, ist der letzte Schrei. Vor allem Städter ohne Eigenheim nutzen dafür sogenannte Balkonkraftwerke. Sie bestehen normalerweise nur aus ein bis zwei Photovoltaik-Modulen mit je 300 oder 400 Watt und einem angeschlossenen Wechselrichter, der den Gleichstrom in den üblichen Wechselstrom verwandelt. Er kontrolliert zudem, dass nicht mehr Strom ins Netz fließt als es der Netzbetreiber erlaubt. Einfach an die Steckdose anschließen, und schon läuft das Heimkraftwerk. Inzwischen kann man die Anlagen sogar beim Discounter kaufen.

Jetzt erschüttert eine Entdeckung die Szene: Anbieter von Balkonkraftwerken wie Laudeley Betriebstechnik aus Ritterhude haben mehr oder minder zufällig herausgefunden, dass offenbar Hundertausende Wechselrichter technisch unzureichend sind und in Sicherheitsfragen nicht das halten, was ihr TÜV-Zertifikat verspricht. Laut Holger Laudeley, der sich in seinen Youtube-Videos selbst "Erfinder und Namensgeber der Balkonkraftwerke" nennt, geht es vor allem um Modelle des chinesischen Anbieters Ningbo Deye Technology. Der hat ein wichtiges Sicherheits-Relais einfach weggelassen und bestreitet das auch nicht. "Der Wechselrichter ist so nicht mehr sicher", sagt Laudeley und wirft Deye "massiven Betrug" vor. Seine Firma prüfe eine Strafanzeige.

Plötzlich fehlte im Wechselrichter ein Teil

Der Ingenieur entdeckte die Lücke in der Platine, als die zuständige Bundesnetzagentur einen Wechselrichter Deye SUN300 anforderte, um ihn auf elektromagnetische Empfindlichkeit überprüfen zu lassen; offenbar gab es da Zweifel. Als Laudeley das Gerät selbst in Augenschein nahm, sah er, dass ein Steckplatz, wo ein sogenanntes "Trenn-Relais" sitzen sollte, leer war. Es hätte die Aufgabe, den Wechselrichter sicher abzuschalten, wenn es zu – weitgehend unwahrscheinlichen - Spezialkomplikationen kommt (Ein-Fehler-Sicherheit). Dieser Schutzschalter ist nach VDE-Norm AR-N 4105 für alle Wechselrichter vorgeschrieben. Und im Deye-Urmodell, dass der TÜV zertifiziert hatte, war er wohl auch ordnungsmäßig vorhanden.

Als Laudeley Deye aufforderte, ihm ein vollwertiges Teil zu liefern, kam das auch. Tatsächlich schien nun ein schwarzes Relais verbaut zu sein – es stellte sich allerdings bei einem Test als Attrappe heraus. Warum Deye das tut, darüber gibt es nur Vermutungen. Fachleute gehen davon aus, dass das eigentlich preiswerte Relais zu störanfällig ist und die Garantiezeit nicht durchhalten würde: Deswegen habe es der Hersteller gleich weggelassen.

Wie viele Balkonkraftwerke sind betroffen?

Auch bei anderen Wechselrichtern aus dem Hause Deye tut sich diese Lücke auf, so Laudeley. Aber ebenso bei anderen Herstellern - Namen nennt er nicht. Es gehe nach Stand der Erkenntnis um rund 1,5 Millionen, die im deutschen Markt verbaut sind; etwa 400.000 davon stammen von Deye. "Ein Skandal!", tobt Laudeley.

Sollte sich ein Massenbetrug manifestieren, kommt der zur Unzeit. Die Politik diskutiert gerade ein Gesetz zum beschleunigten Ausbau von Balkonkraftwerken; die Leistungsgrenze soll nach oben gesetzt werden. Ausgerechnet jetzt liefern Hersteller Wechselrichter, die der deutschen Sicherheitsnorm nicht entsprechen.

Die zuständige Bundesnetzagentur bestätigt, dass in den Geräten, die sie geprüft haben, das Relais fehlte. Hersteller Deye habe bereits Abhilfemaßnahmen vorgeschlagen. Es handelt sich dabei um ein so genanntes Vorschalt-Relais, also ein nachrüstbares Bauteil, das die Verbraucher selber anklemmen können. Deye will dafür eine schnelle Nachzertifizierung in wenigen Wochen erreichen, die Bonner Behörde prüft aber die Idee zunächst gründlich auf Tauglichkeit – sicher ist die Zustimmung keineswegs. Sie empfiehlt Verbrauchern, sich mit ihren Händlern oder dem Netzbetreiber in Verbindung zu setzen.

Die Kraftwerke müssen vom Netz

Kann es passieren, dass Hunderttausende Besitzer eines Balkonkraftwerks es bald nicht mehr nutzen dürfen? So sieht es aus. Die Bundesnetzagentur sagt dem stern: "Sofern Verbraucher Geräte betreiben, die kein bzw. ein ungültiges Zertifikat zur Einhaltung der VDE-AR-N 4105 haben, dürfen diese Geräte nicht am Verteilnetz betrieben werden." Am 14. Juli haben die Bonner Deye aufgefordert, "die Endkunden der betroffenen Geräte über den Sachverhalt und über die vorübergehende Trennung vom Netz für bereits installierte Geräte unverzüglich zu informieren."

Auch der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE), der die Normen setzt, erklärte auf Nachfrage der Webseite Heise.de, eine einfache Lösung durch ein externen Relais sei nicht möglich. Sollte die Bundesnetzagentur die Sachlage nach Abschluss der Prüfungen bestätigen, müssen alle betroffenen Balkonkraftwerke unverzüglich außer Betrieb gesetzt werden.

Eine Hiobsbotschaft. Immerhin: Sorgen, dass etwas Schreckliches passiert, weil das Relais fehlt, muss man sich nicht machen, sagt jedenfalls Laudeley: "Wechselrichter, die laufen, laufen." Aber für die Zukunft müsse dringend für Sicherheit gesorgt werden.

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