Billiglohn Für eine Hand voll Euro

Pünktlich zur Fußball-WM 2002 protestierten Globalisierungskritiker gegen Sportmultis, die in Billiglohnländern produzieren lassen. Der stern war in einer indonesischen Fabrik, in der 8.000 Frauen arbeiten.

Vier Nähte um die drei Streifen. Adidas-Logo auf Sportschuh-Lasche. 150-mal pro Stunde die gleiche Bewegung, als würden die schmalen Hände zu einem Roboter gehören. Seit 7 Uhr früh sitzt Rohmawati an der Maschine, heute wird die 20-Jährige wie an so vielen Tagen bis nach 20 Uhr auf die Nadel starren, die vor ihr auf und ab rattert. Bis die drei Streifen vor ihren Augen verschwimmen.

Die 24-jährige Yanti im lilafarbenen Kopftuch beugt sich über eine kleine Schablone, mit der sie wie ein Automat Markierungen für Hackennähte auf Lederteile zeichnet. Daneben streckt Hasarawati ihre Hände unter eine Haube, um mit einem kreischenden Schleifer bei 180 Schuhen pro Stunde Lederflächen anzuschmirgeln. Samah, ein paar Meter weiter, nimmt das Dröhnen des Fließbands gar nicht mehr wahr, das an ihr vorbeiruckt. Sie streicht Klebstoff auf Sohlen, von dem Dämpfe trotz Absaugschläuchen neben ihr aufsteigen.

Alle sind "happy"

Seit fünf Jahren arbeitet sie hier. Seit sie 15 ist. "Happy" sei sie mit ihrem Job, sagt Samah. "Happy" sind auch die anderen, wenn man sie fragt und sie unter den Augen der "Supervisor" antworten. Merkwürdig bloß, dass keines der vielen tausend Gesichter in der riesigen Halle lächelt. Nur einer strahlt. Hendrik Sasmito. Der erklärt ganz ungeniert: "Ich bin der Boss hier!"

Hendrik Sasmito ist der Herrscher über 17 Hektar Fabrikgelände, das hinter hohen Stacheldrahtzäunen in einem Vorort der indonesischen Megastadt Jakarta liegt. Besitzer der Firma 'PT Panarub', wo Adidas monatlich 650.000 Paar 'Predator'-Kickerschuhe produzieren lässt. In der kühl klimatisierten Lobby empfangen Poster mit Fußballgöttern und eine Vitrine mit handsignierten Edeltretern von Zinedine Zidane die Besucher. In den heißen Hallen dahinter schuften und schwitzen über 8.000 Mädchen und Frauen bis zu zwölf Stunden täglich, manchmal auch sonntags - für drei bis fünf Euro am Tag.

"Fit for Fair"?

Das fragte die "Kampagne für Saubere Kleidung" 2002 pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft. Mit Aktionen in ganz Deutschland wollten die Globalisierungskritiker gegen schmutzige Praktiken in der weltweiten Sportswear-Industrie protestieren, die ihre Luxusprodukte fast nur noch in Billiglohnländern herstellen lässt.

Nach Klagen über Kinderarbeit und Zwangsarbeit in "Sweatshops" haben Firmen wie Adidas oder Nike inzwischen "Codes of Conduct" eingeführt: Sie verlangen von ihren Lieferanten die Einhaltung sozialer Mindeststandards. "Peanuts", klagt Ingeborg Wick von der Kampagne der Gewerkschafterinnen und Kirchenfrauen, "allein 2001 hat Adidas 720 Millionen Euro für Werbung und Sponsoring ausgegeben."

Drei-Streifen-Star David Beckham kassierte geschätzte zehn Millionen Euro. Dafür müsste eine Näherin von 'PT Panarub' über 7.000 Jahre arbeiten. Vom Ladenpreis eines 100-Euro-Sportschuhs entfallen auf ihren Arbeitslohn nur wenige Cent. In den großen Werkshallen bei Jakarta hängen die "Standards of Engagement", wie Adidas seinen Firmenkodex nennt, mehrsprachig an vielen Wänden.

Painkiller aus der Werksapotheke

"Bloß Papier", klagt die Gewerkschafterin Ngadinah, "viele Mädchen verstehen das gar nicht. Und der Alltag sieht sowieso anders aus." So nehmen die Näherinnen nicht die beiden freien "Menstruationstage", die ihnen in Indonesien gesetzlich garantiert sind. Aus Angst vor Repressionen durch die Vorarbeiter schlucken sie lieber "Painkiller" aus der Werksapotheke.

Der Arbeitsdruck ist so hoch, dass immer wieder Finger in Nadeln geraten. Der tägliche Terror sind die "Targets": Zielvorgaben, die in roten Ziffern über den Produktionslinien leuchten. Zu hoch für die normalen 40 Wochenstunden plus 14 gesetzlich zulässige Überstunden. Druck vom Management und nackte wirtschaftliche Not zwingen die Mädchen zu 60 Arbeitsstunden pro Woche - oder sogar mehr.

Kein Geld fürs Sparen

"Was sollen wir sonst tun?", sagt die 24-jährige Putri, die aus einem Dorf in Zentral-Java kam und jetzt Nachtschichten schiebt, "der gesetzliche Mindestlohn ist viel zu niedrig, um davon zu leben." Sie möchte eigentlich längst zurück aufs Land und einen Shop eröffnen. Aber obwohl sie bei 'Panarub' sogar noch mehr verdient als Arbeiterinnen, die in anderen Fabriken für Gap oder Levi's schuften, reicht ihr Geld nicht für Ersparnisse - so wenig wie bei der 21-jährigen Handayani, die ihre Eltern in ihrem Heimatdorf unterstützen muss: "Seit vier Jahren habe ich mir keine neuen Kleider gekauft."

Handayani, die vom Lederstaub immer wieder Allergien bekommt, kämpft mit anderen Frauen für bessere Arbeitsbedingungen. Doch erst entließ 'PT Panarub' mehrere Anführerinnen der neuen Gewerkschaft Perbupas, obwohl die "Standards of Engagement" ausdrücklich die Gewerkschaftsfreiheit garantieren. Und deren Sekretärin Ngadinah wurde nach einem Streik und einem missliebigen TV-Interview von der Polizei sogar wegen "Provokation" in ein Gefängnis gesperrt. Nicht zuletzt durch Intervention von Adidas kam sie nach 29 Tagen wieder frei.

Schärfste Waffe: Abbruch der Geschäftsbeziehung

"Ich trage Mitverantwortung für 300.000 Leute in 500 Zulieferbetrieben", sagt William Anderson, so etwas wie der Ethik-Beauftragte von Adidas in Asien. "Klar, perfekte Fabriken gibt es hier nicht. Aber wir kümmern uns um die Klagen." Seine schärfste Waffe: Abbruch der Geschäftsbeziehungen. 18 Fälle im vergangenen Jahr allein in China. Etwa wegen der Gefahr von Kinderarbeit mittels verfälschter Papiere und Zwangsarbeit durch einbehaltenen Lohn. "Wir haben allein in Asien 20 Teams, die unsere Standards überprüfen", versichert Anderson.

"Klingt gut", sagt Ingeborg Wick von der 'Kampagne für Saubere Kleidung', "bloß kommen diese Teams immer angemeldet und nie überraschend. Wir fordern, dass sich Multis wie Adidas oder Nike einer unabhängigen Kontrolle mit Gewerkschaftern stellen. Und die Verbraucher müssen klarmachen, dass sie mit menschenunwürdigen Bedingungen nicht einverstanden sind."

Da sind die Großen ganz empfindlich. Schließlich geht es ums Image. Um mögliche Boykottaufrufe. Wie damals beim Schweizer Bekleidungskonzern Triumph, der in der Militärdiktatur Birma produzieren ließ. Dagegen stichelte die niederländische 'Clean Clothes Campaign' mit Protestplakaten, die eine Nackte im Stacheldraht-BH zeigten. Triumph war gepiekt. Wegen der "emotional geprägten öffentlichen Diskusssion" zog sich die Firma aus Birma zurück.

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Wolfgang Metzner

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