"Wenn die letzte Schulglocke ertönt, freuen die Kinder sich schon auf das leckere Essen", jubelt der Verein "Familienschutzwerk" auf seiner Internetseite. Kostenlose Mahlzeiten und Hausaufgabenhilfe für sozial benachteiligte Kinder, finanzielle Unterstützung für Kranke – die Berliner Organisation verspricht viel. Zuletzt eröffnete sie eine Kinderküche. RTL gab Geld, der Cornelsen-Schulverlag spendete 29.000 Euro, und auch mit Stars wie Kevin Costner, Harrison Ford und den Klitschko-Brüdern schmückt man sich.
Nun liegen dem stern interne Unterlagen vor, die starke Zweifel an der Seriosität des Familienschutzwerks wecken. Die Papiere sowie Tonbandaufzeichnungen geben Einblicke in dubiose Akquisemethoden, wie sie kleine, weniger bekannte Organisationen häufiger anwenden, wenn sie – zumeist ältere – Menschen zum Spenden überreden wollen. Ein Großteil des Geldes landet als Provisionen bei den Telefonisten selbst.
Grüß Gott aus dem Kosovo
"Grüß Gott, Herr C. Schön, Sie zu erreichen. Mein Name ist Jens Weiß aus der Verwaltung ... Das Gespräch wird aufgenommen ... Grund meines Störens: Herr C., wir wollten uns bei Ihnen bedanken, dass Sie sich bereit erklärt haben, unsere Kinder, die in Armut leben, zu unterstützen ... Allerdings ist unser Dankschreiben mit der Broschüre wieder zurückgekommen, und ich würd gern mal nachfragen, ob wir uns mit der Anschrift vertan haben oder der Postbote sich verlaufen hat."
So oder ähnlich beginnen die Callcenter-Agenten regelmäßig ihre Gespräche – oft in gebrochenem Deutsch. Die Telefonisten sitzen in diesem Fall im Kosovo. Sie haben Namen, Telefonnummern, Adressen und Kontoverbindungen erhalten. Der Verlauf ihrer Telefonate wurde ihnen in einem "Leitfaden" zum Wortlaut vorgegeben. Nach der vertrauenschaffenden Einleitung dreht das Gespräch schnell auf den Kern des Anrufs – das Geld: "Benötigen Sie auch eine Spendenquittung? Soll ich Ihnen die mitschicken?" Der Agent redet schneller: "Soll ich die 190 Euro innerhalb der nächsten drei bis acht Werktage abbuchen, oder haben Sie einen anderen Wunschtermin?"
Kaltakquise am Telefon verboten
Nicht selten ist die Masche erfolgreich. Die Aufzeichnungen stammen von Callcentern, die ihre Aufträge von der Firma Crosslink in der Schweiz erhielten. Crosslink betrieb für mehrere Spendenorganisationen Akquise.
Beim Familienschutzwerk stand Crosslink den Papieren zufolge seit Juli 2014 unter Vertrag. Mittlerweile ist das Unternehmen aufgelöst, doch die kurze Zeit reichte offensichtlich aus, um für Wirbel zu sorgen. So prangerten Antispamforen im Internet den rapiden Anstieg unerbetener Werbung für das Familienschutzwerk sowie für andere Vereine an. Kaltakquise am Telefon – Cold Call genannt – ist verboten.
Das Familienschutzwerk gibt an, die unerlaubte Spendenwerbung sei ohne Einverständnis und Wissen des Vereins durchgeführt worden. Den Callcentern sei gekündigt worden.
Die Akquise muss zumindest erfolgreich gewesen sein. "Es gibt gute Neuigkeiten", schreibt der Vereinsvorsitzende Philipp Schneider in einer Mail vom Oktober 2014: "Aufgrund der starken und soliden finanziellen Situation" könne er die Zahlungen an die Callcenter-Agenten erhöhen. Er nennt es "Fairgütung": Bis zu 70 Prozent einer eingeworbenen Jahressumme zahlte das Familienschutzwerk Callcentern im Falle von Spendenabos, bei einmaligen Gaben lag die Provision bei 50 Prozent.
Institut warnt vor Familienschutzwerk
Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) hält derart hohe Vergütungen nur dann für statthaft, wenn der Anteil der Werbekosten an den gesamten Spenden unter 30 Prozent bleibt. Das Institut warnt vor dem Familienschutzwerk, denn der Verein will über seine wirtschaftlichen Verhältnisse nichts verraten. Eine Jahresbilanz veröffentlichte er letztmalig für 2010. Damals lagen die Einnahmen bei 610.000 Euro.
Nach stern-Informationen wurde Vereinsgründer Schneider zudem wegen Betrugs angezeigt, in Berlin läuft ein Ermittlungsverfahren*. Sein Anwalt gibt an, sein Mandant habe von Ermittlungen "vielleicht gar keine Kenntnis". Betrugsvorwürfe weist er zurück.
Fest steht: Bei den dubiosen Werbemethoden hatte auch Schneider seine Finger mit im Spiel. So wies er die Callcenter-Agenten im Oktober 2014 an, künftig mit der Frage "Sie haben ja schon mal gespendet, ja?!" zu operieren. Das nachgeschobene "ja?!" gehe im Redefluss komplett unter, mache aus einer betrügerischen Aussage aber eine unverfängliche Frage, heißt es in der Mail: "Das kleine Wörtchen ‚ja!?' macht also den Unterschied zwischen Betrug und legaler Spendensammlung."
Der stern hat das Familienschutzwerk mit den entlarvenden Mail-Zitaten konfrontiert. Schneider räumt ein, der Gesprächsleitfaden sei "tricky", aber animiere nicht zu "unwahren Angaben".
Ein Donnerstagmittag im Oktober in der Edisonstraße im Stadtteil Oberschöneweide. Hier, in der Kinderküche, soll es eigentlich das "leckere Essen" geben. Doch das Ladenlokal ist zu dieser Zeit verrammelt. Die Erklärung von Vereinschef Schneider dazu: Leider seien ihm die pädagogische Leiterin und eine weitere Mitarbeiterin abgesprungen. Die Kinderküche sei "temporär nur sehr eingeschränkt geöffnet".
*Hinweis der Redaktion: Das Verfahren wurde im Juni 2020 eingestellt.