Um Viertel vor drei rauscht Peer Steinbrück mit seinem Tross in das Foyer des Kanzleramts. Geplant war eigentlich die entscheidende Sitzung über die letzten großen Regierungsvorhaben, den Gesundheitsfonds und die Erbschaftsteuer. Aber darüber redet an diesem Nachmittag keiner mehr. Der Finanzminister fährt hoch in den siebten Stock. Ihm bleiben zehn Minuten mit der Kanzlerin, dann treten sie vor die Presse.
Angela Merkel ringt sich ein Lächeln ab. "Also, guten Tag erst mal." Dann versteinert ihr Gesicht. "Die Bundesregierung sagt am heutigen Tag, dass wir nicht zulassen werden, dass die Schieflage eines Finanzinstituts zu einer Schieflage des gesamten Systems wird." Straff aufgerichtet steht sie da in ihrem grauen Gehrock. "Deshalb wird auch mit Hochdruck daran gearbeitet, die Hypo Real Estate zu sichern." Nun wird der Blick der Kanzlerin streng: "Wir sagen außerdem, dass diejenigen, die unverantwortliche Geschäfte gemacht haben, zur Verantwortung gezogen werden. Das sind wir auch den Steuerzahlern in Deutschland schuldig." Und dann folgt ein Satz, der für Beruhigung sorgen soll in einem Land, durch das seit Tagen im Stundentakt Schockwellen jagen: Die Spareinlagen seien sicher. Dafür stehe die Bundesregierung ein. Eine Minute nimmt sich die Kanzlerin, dann ist ihr Minister dran.
Steinbrück kneift die Lippen zusammen. Er hält die Hände hinter dem Rücken verschränkt wie auf einer Trauerfeier. Er wolle ein wichtiges Signal zur Beruhigung geben, sagt er, damit es nicht zu "unverhältnismäßigen" Reaktionen komme. "Wir arbeiten in der Tat mit Hochdruck daran, eine institutsspezifische Lösung zu finden." Dann presst Steinbrück seine Wut heraus: "Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich ziemlich entsetzt bin mit vielen anderen, dass das Management dieser Bankengruppe in den letzten Tagen ein weiteres Liquiditätsloch ungeahnter Milliardenhöhe offengelegt hat." Zwar müsse das Institut stabilisiert werden, weil sonst der Schaden in Deutschland und Europa "untaxierbar groß" werden könnte. Die Risiken dürften aber nicht einseitig auf die Steuerzahler verlagert werden. Auch Steinbrück braucht nur eine Minute. Dann verschwinden Kanzlerin und Minister im Koalitionsausschuss.
"Es brennt das ganze System"
Es ist ein eigenartiger Auftritt nach einem dramatischen Wochenende: Das erste Rettungspaket der HRE ist geplatzt. Schon wieder wird unter Hochdruck an einem Notfallplan des Dax-Konzerns gefeilt. Summen, die jedem den Atem rauben, jagen durchs Land: 50, 70, 100 Milliarden Euro. Zeitweise wirkt es, als habe keiner mehr den Überblick. "Es brennt das ganze System", sagt ein Beteiligter.
Auch in Berlin liegen die Nerven blank. Noch kurz vor dem Auftritt Merkels und Steinbrücks war offenbar unklar, ob die beiden gemeinsam vor die Kameras treten würden. Die Kanzlerin mit ihrem feinen taktischen Gespür geht innerlich bereits auf Distanz zu ihrem Finanzminister. Auch sie weiß, dass die ersten Politiker von Union und FDP bald Steinbrücks Rücktritt fordern werden. Merkel ist unzufrieden mit dem Krisenmanagement ihres Ministers. Er habe sich von den Banken falsche Zahlen verkaufen lassen, er habe zu früh Entwarnung gegeben, seine Kommunikation sei schlecht gewesen. Groß war das Befremden über Steinbrück, der wiederholt von einer "geordneten Abwicklung" der Bank gesprochen hatte. Der Sprecher der HRE gibt jetzt dem Minister sogar eine Mitschuld an den neuen Problemen: Die Liquiditätslage der Bank habe sich durch die Diskussion um die "Abwicklung" weiter verschlechtert.
Die Nerven lagen blank
Merkel und Steinbrück kämpfen an zwei Fronten: Sie fühlen sich von den Banken hintergangen und wollen den Schaden für den Steuerzahler zumindest begrenzen. Gleichzeitig müssen sie ihre Wähler im Auge behalten. Für beide sind die Verhandlungen mit den Banken ein bitteres Déjà-vu. Noch vergangenen Sonntag hatte Steinbrück durch eine Bürgschaft des Bundes über 26,5 Milliarden Euro die HRE vorerst gerettet. Bereits da waren die Emotionen hochgekocht: Josef Ackermann und Steinbrück sollen sich zu später Stunde angebrüllt haben. Der Deutsche Bank-Chef wollte die sofortige Verstaatlichung, der Finanzminister lehnte ab. "Das war erhöhte Dezibelstärke. Da lagen auf beiden Seiten die Nerven blank", berichten Beteiligte. Noch in der Nacht kam es zu einem Telefongespräch zwischen Merkel und Ackermann. Den Kompromiss fand erst die Kanzlerin, die einen guten Draht zu Ackermann hat.
Zu Beginn der Woche ist die Kanzlerin noch zufrieden. Es sei um "die Sicherheit jedes einzelnen Bürgers unseres Landes" gegangen, sagt sie. Auch Ackermann gibt sich auf einer Veranstaltung in Frankfurt locker, erzählt, er habe "bis morgens um 2 Uhr die Rettung einer Bank" verhandelt. Es wird nicht die letzte kurze Nacht in dieser Woche für die deutsche Finanzwelt sein. Die ersten Beteiligten ahnen, dass das Rettungspaket eine Mogelpackung ist. Die Zuarbeiter Steinbrücks fühlen sich in ihrer Einschätzung bestätigt. Am Donnerstag raunt einer, wie richtig der Minister mit seiner Formulierung der "geordneten Abwicklung" gelegen habe. "Der HRE-Vorstand hat falsche Zahlen vorgelegt. Das war uns schnell klar."
Ackermann zieht Zusage zurück
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag folgt die nächste Krisensitzung, zu der wieder alle Spitzen versammelt sind: Ackermann, der Präsident des Privatbankenverbands Klaus-Peter Müller, Bundesbankchef Axel Weber, BaFin-Chef Jochen Sanio. Zeitweise ist Jean-Claude Trichet, Präsident der EZB, über Telefon zugeschaltet. Es gibt Probleme: Für Ackermann ist es schon schwer genug, die 8,5 Milliarden Euro zusammenzubringen, die Banken, Sparkassen und Versicherungen der Regierung zugesagt hatten. Doch als bekannt wird, dass die Wirtschaftsprüfer der Deutschen Bank im Datenraum der HRE eine weitere Finanzierungslücke von kurzfristig 20 Milliarden Euro entdeckt haben, bricht alles zusammen. Bis Mitte 2009 könnte sich die Lücke sogar auf 70 bis 100 Milliarden Euro auswachsen. Die ersten Banken springen ab, Ackermann kann seine Zusage nicht mehr einhalten.
Und so ist Sonntag wieder ein Unruhetag. Als Steinbrück den Haushaltssprechern der Fraktionen von dem Drama berichtet, sind sich alle einig, dass die HRE nicht pleitegehen dürfe. Insbesondere der Pfandbriefmarkt wäre gefährdet - mit unabsehbaren Folgen für mittelständische Unternehmen. Auch das Wort Verstaatlichung fällt wieder. Steinbrück und die Haushälter im Bundestag halten davon aber wenig. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen wäre dieser Schritt kurzfristig kaum umzusetzen. Auch aus ökonomischen Gründen sei eine Lösung besser, die auf eine Ausweitung der Bürgschaft des Bundes für die HRE hinauslaufe. Dafür müsste voraussichtlich der Bürgschaftsrahmen gesetzlich ausgeweitet werden. Mit der Garantieerklärung von vergangener Woche hatte der Bund seinen Rahmen eigentlich ausgeschöpft.
Die Banken geben sich kein bisschen kleinlaut
Und so folgt, bis in die Nacht, Runde zwei. Die Banken geben sich kein bisschen kleinlaut. "Das ist die große Pokerrunde", tönt ein Beteiligter. Eine Pokerpartie, die mit einer Woche Spielpause fortgesetzt wird. Steinbrücks Staatssekretär Jörg Asmussen, in Frankfurt exzellent verdrahtet, und Merkels Wirtschaftsberater Jens Weidmann verhandeln mit den Banken. Steinbrück soll hinzugezogen werden, sobald sich eine Lösung abzeichnet. Alle stellen sich auf eine Nachtsitzung ein - allein schon, um dem eigenen Lager zu signalisieren, dass man das Letzte herausgeholt hat. Die Wut ist vor Beginn der Verhandlung groß. "Jetzt ist der HRE-Vorstand aber wirklich fällig", heißt es in der Regierung. "Hier kommen Dilettantismus und Verschleierungstaktik zusammen." Steinbrücks Sprecher Torsten Albig schimpft: "Sie haben uns einen Scherbenhaufen vor die Tür gekehrt, wir versuchen, ihn zu beseitigen."
Trotz Krise und Notstandsrhetorik sind Banken und Politik zerstritten. Mit welchen Argumenten gekämpft wird, hatte sich schon vor einer Woche gezeigt. Da hatten die Manager den Staatsvertretern vorgerechnet, wie viel der Staat an Körperschaftsteuer verlieren würde, wenn die HRE pleite ginge: eine mittlere zweistellige Milliardensumme, hieß es in Verhandlungskreisen. Asmussen und Weidmann hielten dagegen: Sollte die HRE bankrottgehen, wäre der Einlagensicherungsfonds der Privatbanken gefordert. Der Fonds hätte bis zu 17 Milliarden Euro ausgleichen müssen. Die Bankenvertreter gaben sich unbeeindruckt, erzählten die Beteiligten. So viel Geld hätten sie gar nicht im Einlagensicherungsfonds, gesetzlich seien sie nur im geringeren Umfang verpflichtet zu zahlen. Erst die drohende Öffnung der Tokioter Börse um 2 Uhr deutscher Zeit führte dazu, dass beide Seiten einlenkten. Vielleicht wird sich Deutschland an diese Deadline gewöhnen müssen.