In den Mauern der Postfiliale Rottach-Egern prangt das kitschige Bild einer Postkusche; über dem Eingang steht, was hier früher zu finden war: ein Amt. Die Zeiten sind vorbei. Längst ist die Post ein Dienstleistungskonzern. Mit moderner Technik, dem Werbehelden Thomas Gottschalk und einem waghalsigen Versprechen an die Kunden: »Deutschlandweit ist Ihr Paket in der Regel schon am nächsten Werktag beim Empfänger.« Topp, die Wette gilt.
Der stern wollte es genau wissen und schickte Hunderte Pakete kreuz und quer durch die Republik. Das Ergebnis ist eine Blamage: Nicht einmal die Hälfte – genau 44,6 Prozent – wurde am nächsten Werktag zugestellt. Überall in der gigantischen Post Maschine, durch die fast 700 Millionen Pakete jährlich laufen, scheint es zu knirschen. Mal dauert der Transport zum Frachtzentrum zu lange, mal legt der Zusteller das Paket einfach vor der Haustür ab und vergisst auch noch die Benachrichtigung des Empfängers.
Was macht die Post nur mit den Paketen? Werden die Sendungen in traniger Beamtenmentalität träge hin und hergeschoben? Um auch das herauszufinden, begleitete der stern ein Paket auf der über 800 Kilometer langen Reise von Bayern nach Schleswig-Holstein.
Zurück also nach Rottach am Tegernsee. Um kurz nach elf wuchtet der Rentner Marinus Glonner ein Paket für die siebenjährige Christina in Geesthacht auf die Theke der Postfiliale. 7,70 Euro muss er zahlen. Dafür gibt es eine Freeway-Paketmarke, zwei Zusatzmarken für je vier Kilogramm und ein Lächeln der Schaltermitarbeiterin Margit Markert. Die 46-jährige setzt auf permanente Freundlichkeit gegen den Frust der Kundschaft. Sie erlebt täglich, dass die Leute ungeduldig werden: »Ein Girokonto zu eröffnen dauert eben. Und wenn eine Rentnerin die Geheimzahl ihres Kontos vergessen hat, muss ich mich um sie kümmern. Dahinter steht dann einer, der will nur eine Briefmarke und ärgert sich.«
Dabei geht heute alles deutlich schneller als vor Jahren. Vor allem durch das Epos-Gerät. Das Kürzel steht für »Elektronischer Postschalter«. Die Maschine ersetzt jede Menge Listen und Formulare. Blitzschnell wird der Strichcode auf dem Paket eingelesen, so dass der Weg der
Sendung nachvollzogen werden kann. Am Ende steht dann aber doch Handarbeit: 200 bis 300 Pakete am Tag wuchten Markert und Kollegen in der Filiale nach hinten, wo sie auf Rollbehälter für den Lkw-Transport verladen werden.
Um 13.47 Uhr fährt Klaus Klinger seinen gelben 13-Tonner auf den Hof. Seine Tour ist bis ins Kleinste geplant. 158,1 Kilometer, abzuspulen nach den minutengenauen Anweisungen in seiner blauen Mappe. Damit er um 17.14 Uhr im Frachtzentrum Aschheim bei München die Ladeklappe öffnen kann, wählt er Schleichwege und umfährt Staus. Meistens klappt es. Während der Fahrt spült er seine Stullen mit einer Cola herunter. »Früher hat man mehr Luft gehabt«, sagt der 51-Jährige.
Damit ein Paket aus Rottach auf seinem Wagen landet, muss es vor der Mittagspause am Schalter abgegeben werden. Spätere Lieferungen in den Norden haben keine Chance, am nächsten Tag anzukommen. Über Nacht durch ganz Deutschland – das ist bei der Post die Ausnahme. Im Post-Test des stern kamen nur 4,7 Prozent der Pakete mit einer Reiseroute von über 550 Kilometern am nächsten Tag an.
Dabei hat die Post sich in den neunziger Jahren mit Milliardeninvestitionen in neue Technik gegen die private Konkurrenz gewappnet. Noch immer ist sie klar der Marktführer. Und trotz aller Mängel nach Ansicht von Experten bei normal großen Privatpaketen erste Wahl.
Zumindest von den technischen Voraussetzungen her müsste die Post Pakete schneller und effizienter umschlagen als jeder andere Anbieter: Das Paket mit dem stern-Aufkleber wird im Frachtzentrum Aschheim ausgeladen, ein Förderband transportiert es vorbei an Annica Rieder, die die Postleitzahl und die ersten Buchstaben der Straße samt Hausnummer in ihren Rechner eingibt. Der druckt einen Aufkleber mit Strichcode aus, den sie auf das Paket pappt. Ein riesiger Scanner wirft ein rotes Strahlennetz über das Paket, liest die Daten, sodass der Computer es durch das Gewirr von Förderbändern steuern kann.
Zwei Minuten später fällt es aus Schacht 308, in dem sich die Sendungen für den Nachtzug nach Hamburg stapeln. Früher hat Annica Rieder die Pakete in Beutel mit den jeweiligen Postleitzahlen werfen müssen. Ihre Arbeit ist leichter geworden – aber schneller gehen muss es auch. 500 bis 600 Pakete codiert sie pro Stunde. Das ganze Frachtzentrum schafft in Spitzenzeiten bis zu 120 000 Sendungen pro Schicht.
Mit 34 solcher Frachtzentren hat die Post die Republik überzogen. Optimal verteilt sind sie offenbar nicht. Im stern-Test waren 82,6 Prozent der in Gütersloh aufgegebenen Sendungen am nächsten Tag beim Empfänger. Bei Paketen aus Hamburg waren es ganze 4,8 Prozent. »Die Zentren in Großstädten und Großstadtnähe sind offenbar oft überlastet«, analysiert Horst Manner-Romberg, dessen Unternehmensberatung MRU für den stern getestet hat.
Damit die Paketmassen in Aschheim bewältigt werden können, beschäftigt die Post Leiharbeiter wie Thomas Irgang, dessen Alltag nichts mehr mit der Postkutschen-Gemütlichkeit und Beamtenmentalität früherer Tage zu tun hat. Das stern-Paket wuchtet er wie weit über 1000 andere in jeder Schicht in eine so genannte Brücke, die später vom Lkw auf den Zug umgeladen wird. »Man hat es immer warm«, sagt er über seinen Job. Er kommt vom Bau, wo er im Winter entweder gefroren hat oder arbeitslos war.
Um 19.10 Uhr rollt der Laster mit der für Hamburg bestimmten Brücke auf den von Scheinwerfern erleuchteten Umschlagbahnhof München-Riem. Gigantische Portalkräne stehen mit je einem Bein links und rechts der Gleise. Von oben reichen Greifarme herunter, die 50 Tonnen mit Leichtigkeit heben. In einem verglasten Kasten in zehn Meter Höhe steuert Seli Shaquiri über eine Art Joystick das Kranmonster. Er packt den Container auf Stellplatz 122 und hebt ihn auf den PIC, den ParcelInterCity.
Der Zug ist eines der schnellsten Transportmittel auf großer Deutschland-Tour. Die meisten Sendungen aber werden auf viel langsameren Lastwagen durch die Nacht gefahren. So wird die Zustellung
am nächsten Tag auf Langstrecken zum Glücksspiel. Auf der Route München-Hamburg läuft an diesem Abend alles nach Plan. Punkt 8.15 Uhr ruckelt der
PIC mit Zugnummer 50910 aus dem Bahnhof. In Würzburg werden weitere Container aus Nürnberg und Kornwestheim angehängt. Jetzt ziehen zwei Loks der Baureihe 101 mit zusammen fast 18 000 PS den gut 600 Meter langen Postexpress. Langsamere Züge müssen auf
Nebengleise ausweichen, um den PIC überholen zu lassen. »Es ist ein Premium-Zug«, sagt Lokführer Bernd Sonnenstuhl. »Wir haben immer Vorfahrt.«
Um 3.50 Uhr stoppt er in Hamburg-Billwerder. Ein Umschlagbahnhof, der dem in München zum Verwechseln ähnlich sieht. Nur ein paar Lkw-Minuten entfernt liegt das Frachtzentrum. Von Mitternacht bis sechs Uhr früh entlädt die 40-jährige Gabriele Hantelmann hier Container. Das stern-Paket und die anderen Lieferungen für die Zustellbasis in Geesthacht östlich von Hamburg packt sich
Rüdiger Rudloff in seinen Laster. Rudloff bringt die Rollwagen mit den Paketen so kunstvoll in seinem Lkw unter, dass sie für die Auslieferung schon grob vorsortiert sind. Jede Schlamperei beim Verladen rächt sich später bei der Zustellung. Der stern-Test zeigt, dass es dort am besten klappt, wo alles schön übersichtlich ist. In Großstädten erreichen weit weniger Pakete am nächsten Tag den Empfänger als auf dem Dorf.
Der letzte Mann in der langen Kette der Postler, die das stern-Paket transportieren, ist Andreas Hosenthien. Der Zusteller fährt seit 15 Jahren die gleiche Tour. »Ich weiß, wer hier mit wem fremdgeht.« Und er weiß, wen er wo findet. Wie bei allen Lieferdiensten, die an Privatleute zustellen, gibt es auch bei der Post Probleme auf der »letzten Meile«. Oft trifft der Zusteller niemanden an, oder es gelingt ihm nicht, wenigstens einen freundlichen Nachbarn ausfindig zu machen. Beim stern-Paket-Test behalfen sich einige Zusteller damit, dass sie das Paket vor der Haustür ablegten. Andere vergaßen, die Empfänger zu benachrichtigen, dass sie die Lieferung in der Nachbarschaft deponiert hatten. In acht Fällen war der Empfänger zwar da, und trotzdem händigte ihm der Postmann das Paket nicht aus. »Eindeutige Versäumnisse bei der Zustellung«, konstatiert MRU-Chef Manner-Romberg.
Hosenthien kennt den Weg zur Familie der kleinen Christina. Er lässt das strahlende Mädchen auf dem Eingabefeld seines kleinen Computers unterschreiben. Keine 24 Stunden hat der Transport von Rottach-Egern nach Geesthacht gedauert.
Ein Beispiel für das, was die Post leisten kann. Nur schafft sie es bei zwei Millionen Paketen pro Tag offenbar viel zu selten. »E plus 1« lautet die selbst gesetzte Qualitätsvorgabe des einstigen Staatsunternehmens. Zu Deutsch: Am Werktag nach der Einlieferung soll die Sache erledigt sein. Ein Tempo, das auch die Pressestelle der Post nicht schafft.
Vergangenen Donnerstag bat der stern Postchef Klaus Zumwinkel, die Test-Ergebnisse zu kommentieren. Weder er noch ein Pressesprecher, noch ein anderer Post-Verantwortlicher sahen sich in der Lage, die Anfrage innerhalb von vier Tagen zu beantworten.
Von Stefan Schmitz (Text), Peter Thomann und Bertram Solcher (Fotos)