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Soziale Gerechtigkeit Wem gehört Deutschland? Geld, Aktien, Immobilien – so ist das Vermögen wirklich verteilt

Wem gehört Deutschland eigentlich? So ist das Vermögen verteilt
60 Milliarden Euro waren die Anteile wert, die der Vermögensverwalter Blackrock an den 30 Dax-Unternehmen Ende 2017 hielt. "Es gibt keine feindliche Übernahme der Deutschland AG", versichert Dirk Schmitz im Blackrock-Büro über Frankfurt.
© Hans-Jürgen Burkard/stern
Die Deutschen wollen mehr soziale Gerechtigkeit – auch darum wackelt die Große Koalition. Es geht um Geld und Macht. Aber werden die Reichen wirklich immer reicher? Eine Inventur.
Von Lukas Heiny und Rolf-Herbert Peters

Was für ein Beben! Die Wähler in Bayern und Hessen stürzen CDU und SPD ins Bodenlose. Dabei geht es vielen gar nicht um Landespolitik. Es geht um Berlin. Um die Große Koalition und die Kanzlerin, die seit 13 Jahren die Geschicke lenkt. Ökonomisch betrachtet übrigens sehr erfolgreich: Es herrscht fast Vollbeschäftigung. In Hessen sind gerade einmal 4,4 Prozent arbeitslos, in Bayern 2,6 Prozent. Die Steuereinnahmen auf Rekordniveau. Die Deutschen so reich wie nie zuvor.

Und doch fürchten zwei Drittel der Bürger, dass es nicht gerecht zugeht im Mutterland der sozialen Marktwirtschaft. Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer – das scheint festzustehen. Politiker nehmen diese Angst auf. Grünen-Chef Robert Habeck sagt: "Zu viele Menschen sind abgehängt." Die Linke Sahra Wagenknecht: Das Gemeinwohl sei "privaten Gewinnerzielungsabsichten" geopfert worden. Und Björn Höcke, AfD, fordert soziale Gerechtigkeit für die, "die schon länger hier leben" – für Deutsche also, versteht sich.

Insignien des Erfolgs

Nun steht die GroKo auf der Kippe. Die Kanzlerin hat den Parteivorsitz hingeschmissen. Wenn die Regierung scheitert, dann auch an der sozialen Frage. Meins oder deins – darüber geraten nicht nur Kinder im Sandkasten in Streit. Darüber sind Gesellschaften auseinandergebrochen, daran haben sich Revolutionen entzündet und Kriege.

Aber stimmen all diese Vorwürfe über die grassierende Ungleichheit überhaupt? Es ist Zeit für eine Inventur: Wem gehört Deutschland? Die Frage ist vielleicht eine der wichtigsten überhaupt. Denn Eigentum verleiht Macht. Wer kassiert, wenn die Mieten immer weiter steigen? Wer profitiert wirklich, wenn deutsche Unternehmen Rekordgewinne einstreichen? Was gehört noch dem Staat? Und was alles haben Investoren aus dem Ausland an sich gerissen? Wer bestimmt also über das Leben der anderen? Machen wir uns auf die Reise zu denen, denen Deutschland gehört.

Reinhold Würth, Fabrikant aus Künzelsau, ist Multimilliardär und Sammler. 18 000 Kunstwerke besitzt er, etwa die Skulptur "WE" des Bildhauers Jaume Plensa.
Reinhold Würth, Fabrikant aus Künzelsau, ist Multimilliardär und Sammler. 18 000 Kunstwerke besitzt er, etwa die Skulptur "WE" des Bildhauers Jaume Plensa.
© Hans-Jürgen Burkard/stern

Zuerst geht es nach Künzelsau zu Reinhold Würth. Diesem Mann gehört ziemlich viel. Er kneift die Augen zusammen. Er konzentriert sich auf ein Zitat von Oscar Wilde, mit 83 machen die Ohren nicht mehr richtig mit: "Als ich jung war, dachte ich, dass Geld das Wichtigste im Leben ist, und nun, da ich alt bin, weiß ich es." Würth überlegt kurz, dann schmunzelt er und sagt: "Dagegen kann man nichts sagen."

Schraubenkönig nennen ihn die Leute, er sagt lieber "Weltmarktführer im Handel mit Befestigungsmaterial". Aus dem kleinen Laden seines Vaters hat er ein Imperium mit rund 400 Firmen geformt. In seinem Büro, von dem aus er weit über den Hohenlohekreis blicken kann, stehen Auszeichnungen und Modelle seiner Privatflugzeuge. Insignien des Erfolgs.

190 Milliardäre in Deutschland

Reinhold Würth ist einer der zwölf reichsten Deutschen. 9,8 Milliarden Euro, also 9800 Millionen, soll er laut "Manager Magazin" besitzen. Das Geld der Superreichen liegt nicht auf der Bank. Es steckt in Firmen, Stiftungen, Kunst oder Häusern. In Zeiten niedriger Zinsen und steigender Preise für Immobilien und viele andere Werte, so wie sie Deutschland nun im neunten Jahr in Folge erlebt, steigt ihr Vermögen deutlich stärker als das normaler Leute. Wie viel und was genau den rund 190 Milliardären in Deutschland aber wirklich gehört, weiß nicht mal der Staat. Anders als in vielen anderen Ländern wird eine Vermögenssteuer hier nicht mehr erhoben.

Würth sagt, er habe es nie darauf angelegt, so reich zu werden. Die meisten Vermögenden seien wie er schließlich keine Wall-Street-Spekulanten, sondern Leute, die etwas aufgebaut haben. "Nach Definition einer Gewerkschaft habe ich mindestens zwei Arbeitsleben hinter mir", sagt er. "Ich schaffe heute noch bis zu 16 Stunden am Tag."

Der Dreikönigenschrein im Kölner Dom ist Deutschlands wertvollster Schatz – und doch wird ihn Domprobst Gerd Bachner nur als "abgeschrieben und unverkäuflich" in die Bilanz des Domkapitels stellen können.
Der Dreikönigenschrein im Kölner Dom ist Deutschlands wertvollster Schatz – und doch wird ihn Domprobst Gerd Bachner nur als "abgeschrieben und unverkäuflich" in die Bilanz des Domkapitels stellen können.
© Verena Berg/stern

Ein schlechtes Gewissen jedenfalls hat er nicht. "Wir haben mit dem Reichtum ja nichts anderes als Arbeitsplätze geschaffen", sagt er und berichtet stolz, dass er am Vortag den 75.000. Mitarbeiter eingestellt hat. Zudem bekämen die Menschen auch sonst viel zurück, er fördere Kunst und Kultur. Seine Stiftung habe allein im vergangenen Jahr 17 Millionen ausgegeben. Der Eintritt in seine Museen und Galerien sei frei. Und dort gibt es wirklich Großartiges zu sehen: So hat er etwa das Gemälde "Schutzmantelmadonna" von Hans Holbein dem Jüngeren gekauft. Geschätzter Wert: zwischen 50 und 60 Millionen Euro.

Alle 82,6 Millionen Deutschen zusammen sind reich. Nach Berechnungen der Bundesbank besitzen die Privatpersonen mit rund 12,7 Billionen Euro den größten Teil des Volksvermögens – Immobilien, Sparguthaben, Lebens- und private Rentenversicherungen, Autos, Fernseher, Kühlschränke. Das ist fast so viel wie die gesamte Wirtschaftsleistung der EU. Durchschnittlich besitzt jeder Haushalt nach aktuellstem Wert 214 500 Euro. Nur trügt dieser Wert. Er beschönigt sogar.

Unser Traumhaus

In Wahrheit, so schätzt die Bundesbank, halten zehn Prozent der Haushalte 60 Prozent des Privatvermögens. 20 Prozent besitzen dagegen fast nichts. Und etwa neun Prozent sind sogar verschuldet. Die Grenze zwischen reicher und armer Hälfte der Bevölkerung verläuft bei nur 60 800 Euro. Der Milliardär Würth besitzt mehr als 161.000-mal so viel.

In kaum einem europäischen Land ist das Vermögen so ungleich verteilt, auch wenn sich die Kluft seit etwa zehn Jahren nicht weiter vergrößert. Fragt man Ökonomen, warum der Reichtum sogar in Rumänien oder Italien gleichmäßiger verstreut ist, hört man meist zwei Erklärungen. Zum einen berücksichtigen die Daten die in Deutschland vergleichsweise hohen Ansprüche an das Sozialsystem, wie etwa künftige Renten, nicht. Zum anderen besitzen die Deutschen weniger Immobilien als die Südeuropäer. Was einen zu der Frage bringt, wem denn eigentlich die Häuser in Deutschland gehören.

Mit knapp 15 Millionen steht das Brandenburger Tor in der Bilanz. "Ich freue mich, dass es uns in Berlin gehört", sagt der Regierende Bürgermeister Michael Müller. Insgesamt sind 61 Prozent der Fläche Berlins im Besitz der Stadt, inklusive Straßen, Parks und Gewässern.
Mit knapp 15 Millionen steht das Brandenburger Tor in der Bilanz. "Ich freue mich, dass es uns in Berlin gehört", sagt der Regierende Bürgermeister Michael Müller. Insgesamt sind 61 Prozent der Fläche Berlins im Besitz der Stadt, inklusive Straßen, Parks und Gewässern.
© Verena Berg/stern

Das weiße mit dem verwilderten Garten im Dörfchen Marxzell bei Karlsruhe zum Beispiel gehört seit ein paar Monaten Mirella Petereit und Kai Märzhäuser. 110 Quadratmeter, erbaut 1961.

Sie sagt: "Ich wollte nicht unbedingt ein Haus, aber ich wollte endlich Platz und ankommen." Er sagt: "Ich komme aus einer ländlichen Gegend, man legt dort viel Wert auf eigenen Grundbesitz. Jeder will sein eigenes Reich." Sie sagt: "Wir haben unser Traumhaus."

Die beiden klettern eine wacklige Leiter hoch auf den Dachboden. Noch ist alles Baustelle, es riecht nach Beton. Schon bevor der Notar alles besiegelt hatte, kam die 35-jährige Lehrerin und schnitt sich Magnolien und Rosen aus dem Garten, aus Vorfreude. Ihr Freund sägte sich eine Loggia ins Dach, damit er nachts die Sterne begucken kann.

Paradies

Das eigene Heim ist für die meisten Deutschen der größte Besitz: 4,3 Billionen Euro sind ihre Wohnbauten wert. Mirella Petereit und Kai Märzhäuser rechnen mit 300.000 Euro für alles, inklusive Umbau. Ihnen gehört jetzt ein klitzekleines Stück Deutschland: mit Garten ungefähr 0,00000000128 Prozent. Er sagt: "Ein gutes Gefühl." Sie sagt: "Unser Paradies."

80 Prozent aller gut 40 Millionen Wohnungen und Häuser sind das Eigentum von Privatpersonen, die meisten von ihnen leben auch selbst darin. Unternehmen aus der Privatwirtschaft, darunter börsennotierte Wohnkonzerne und internationale Fonds, besitzen nur sieben Prozent aller Wohnungen. Ungefähr so viel wie der Staat.

"Vater Staat", sagen die Deutschen gern. Das klingt nach Fürsorge, aber auch nach Macht und Besitz. Nur: Was gehört dem Staat tatsächlich?

300.000 Euro planen Mirella Petereit und Kai Märzhäuser (M.) für ihr neues Haus und den Umbau ein. Das meiste Geld lieh ihnen Felix Menninger von der ING-Diba.
300.000 Euro planen Mirella Petereit und Kai Märzhäuser (M.) für ihr neues Haus und den Umbau ein. Das meiste Geld lieh ihnen Felix Menninger von der ING-Diba.
© Verena Berg/stern

Eine erste Antwort findet man in Bonn bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Sie hält 36.000 Wohnungen des Bundes, Verwaltungsgebäude und Ministerien, das Schloss Oranienstein in Diez genauso wie alte Truppenübungsplätze oder 971 unbebaute Grundstücke in den teuersten Städten. Insgesamt 470.000 Hektar. Nur besitzt der Staat noch viel, viel mehr.

Sein Vermögen lässt sich nur schätzen: 1180 Milliarden Euro dürften alle staatlichen Bauten wert sein, inklusive Straßen, Brücken, Gleisen und Flughäfen; 466 Milliarden der Grund und Boden, 1149 Milliarden sein Geld, Gold und seine Firmenbeteiligungen. Vieles bleibt vage. Vor allem in den Kommunen. Wie viel ist ein Rathaus wert? Die alte Grundschule? Die Haupt- oder Goethestraße?

Rekordsteuereinnahmen

Seit Jahren versuchen die Ämter, den Marktwert ihrer Besitztümer zu ermitteln. Sämtliche Finanzsysteme müssen auf doppelte Buchführung umgestellt werden. Doch erst ein Bruchteil ist erledigt, in Baden-Württemberg etwa ein Drittel.

In Berlin ist man schon weiter. Und auch sonst lässt sich hier der enge Zusammenhang von staatlichem Besitz, Macht und Gerechtigkeit gut beschreiben.

Michael Müller schaut auf das Brandenburger Tor: "Ich freue mich, dass es uns in Berlin gehört", sagt der Regierende Bürgermeister. Die Stadt hat das Tor einem Sondervermögen zugeordnet. Buchwert des vielleicht bekanntesten deutschen Bauwerks Ende 2017: 13,7 Millionen für das Grundstück, 915 695 Euro für das Gebäude. So sind alle städtischen Immobilien erfasst und bewertet: mit insgesamt 3,75 Milliarden Euro. Einer wie Reinhold Würth könnte das alles leicht kaufen – nur will das niemand.

100 Millionen Euro wären die 7000 Hektar der Familie Löwenstein-Wertheim-Rosenberg zu üblichen Preisen mindestens wert. Nur würde sie nie verkaufen. "Der Wald gehört zur Familie", sagt Prinzessin Stephanie zu Löwenstein. Sie zählt zu den größten Privateigentümern.
100 Millionen Euro wären die 7000 Hektar der Familie Löwenstein-Wertheim-Rosenberg zu üblichen Preisen mindestens wert. Nur würde sie nie verkaufen. "Der Wald gehört zur Familie", sagt Prinzessin Stephanie zu Löwenstein. Sie zählt zu den größten Privateigentümern.
© Hans-Jürgen Burkard/stern

Die Zeiten, in denen Bund, Länder und Gemeinden ihre Besitztümer verscherbeln mussten, weil sie Geld brauchten, sind vorbei. Kurz nach der Jahrtausendwende wusste man auch in Berlin kaum, wie man die Gehälter der Polizisten oder Lehrer bezahlen sollte. Heute nimmt der Staat so viele Steuern ein wie nie. Und der Bürgermeister freut sich, dass nicht alles versilbert wurde.

Wem gehört die Stadt?

Von den 891 Quadratkilometern Berlins gehören der Stadt 542, vom Brandenburger Tor bis zum Grunewald. Das ist recht viel, aber es reicht nach Berlin kommt, das schon. "Und gleichzeitig mache ich mir Sorgen, wie die Entwicklung weitergeht und ob die Berliner mithalten können", sagt er. Der SPD-Mann will den Investoren seine Stadt nicht einfach so überlassen. Unter anderem lässt er darum Grundstücke kaufen, um darauf bezahlbare Wohnungen zu bauen. Wem die Stadt gehört, bestimmt auch das Leben in ihr.

Deutschland ist aber vor allem eines: Land. Nur 31 Prozent der Menschen leben in Großstädten. Etwa 84 Prozent der Fläche bestehen aus Wäldern, Wiesen und Feldern. Vom Wald gehören 52 Prozent, also das meiste, dem Staat. Den Rest nicht. Berlin boomt, und viele Berliner plagt das mulmige Gefühl, gierige Investoren würden sich ihre Stadt unter den Nagel reißen. 2015, fand der Finanzsenator heraus, gingen 68 Prozent aller verkauften Häuser an Investoren aus dem Ausland. Von einem "Raubzug der Immobilienwirtschaft" spricht der linke Stadtforscher Andrej Holm. Wer genau was in den Städten besitzt, weiß jedoch niemand – ein zentrales Register gibt es nicht. Klar ist nur: Die Mieten sind seit 2010 so stark gestiegen wie in keiner anderen deutschen Großstadt. 

Bürgermeister Müller freut sich, dass mit dem Boom frisches Geld teilen sich rund zwei Millionen Privatbesitzer.

In Kleinheubach, einem Nest in Unterfranken, sitzt Prinzessin Stephanie zu Löwenstein im roten Kleid an ihrem PC und inspiziert über Satellitenbilder den etwa 7000 Hektar großen Familienforst im Spessart und Odenwald. "Eine Fläche größer als Manhattan ohne das Wasser", sagt sie. Kerngesund und ertragreich. "Wir haben die Qualität des Bestands den Generationen vor uns zu verdanken."

Der Grundbesitz ist über Jahrhunderte die Lebensgrundlage des Adels gewesen, Basis der feudalen Herrschaft. Und auch wenn die politische Macht verloren ging – noch heute sind unter den größten privaten Waldbesitzern fast ausschließlich Adelsfamilien. Die Löwensteins zählen zu den Top 20.

Friedrich I.

In dem Geschlecht, dessen Linie auf den Pfälzer Kurfürsten Friedrich I. im 15. Jahrhundert zurückgeht, hat sich durch die Zeitläufte vieles verändert. Das Schloss Löwenstein etwa, auf das die Prinzessin durch ihr Bürofenster schaut, ein prachtvolles kleines Versailles, diente der Familie früher ausschließlich als Stammsitz. Heute befindet sich darin ein Hotel. "Der Wald ist uns aber immer geblieben", sagt sie. "Er gehört zur Familie." 

Längst nicht so beständig sind die Eigentumsverhältnisse bei Wiesen, Feldern und Äckern. Teilten sich 1990 noch rund 630.000 Betriebe die Flächen, sind es heute nur noch 268.000. Während im Westen nach wie vor klassische Bauern dominieren, gehören in Ostdeutschland rund 50 Prozent der Flächen Genossenschaften, GmbHs oder Aktiengesellschaften. 34 Prozent aller Äcker sind dort in Besitz von Investoren, die nicht vor Ort leben; zwischen 2007 und 2017 übernahmen sie 72 Prozent aller frei werdenden Flächen.

Der Staat kann dabei eigentlich mitreden, jeder Verkauf muss genehmigt werden. Aber die Investoren können die Gesetze leicht aushebeln. Die wahren Eigentümer bleiben ähnlich wie bei Immobilien oder Firmen häufig unsichtbar – was nicht im Sinne aller sein kann.

Der Schutz des privaten Eigentums – spätestens seit der Französischen Revolution ein "geheiligtes" und unantastbares Menschenrecht – ist in Deutschland festgeschrieben im Grundgesetz, Artikel 14. "Eigentum verpflichtet", steht dort aber auch. "Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Wer etwas besitzt, hat auch eine soziale Verantwortung. Doch wie soll man über Besitz und Gerechtigkeit diskutieren, wenn nicht klar ist, wem was gehört? 

Was das bedeuten kann, erfährt man in der katholischen Kirche. Über Jahrhunderte interessierte sich niemand für den Wert ihrer Klöster, Kelche, Altäre, Schulen und Ländereien. Doch nach einer Reihe von Finanzskandalen und dem Bischof in der Prunkwanne musste sie sich öffnen. Man wolle, erklärt Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, "so transparent werden, wie es die Gesellschaft und die Welt von uns erwarten und erwarten dürfen". Das Vermögen soll nach den Standards des Handelsgesetzbuchs bemessen werden. Die allermeisten Bistümer haben inzwischen Bilanzen veröffentlicht. So ist zumindest etwas Licht ins Dunkel gekommen.

Geraubte Schätze

Zum Beispiel in Köln. Die Bilanz des Bistums weist jetzt gut 3,7 Milliarden Euro Vermögen aus – nur ist das nicht alles, und dann wird es kompliziert.

Im Hohen Dom ist die Mittagsandacht zu Ende. Menschen aus aller Welt recken ihre Smartphones durch das Eisengitter im Chor der Kathedrale. Sie wollen den Schrein fotografieren, der hinter Panzerglas thront – Deutschlands wertvollsten Schatz. Gebaut um 1200, soll er die Gebeine der Heiligen Drei Könige enthalten, eine der wichtigsten Reliquien der Christenheit. 

Als Kriegsbeute des Kaisers Barbarossa wurden die Knochen Anfang des 12. Jahrhunderts aus Mailand nach Köln gebracht und bescherten der Stadt fortan Ruhm und Wohlstand. Über Jahrhunderte strömten die Pilger. Das Mysterium des Reliquiars sei von unschätzbarem Wert, sagt Gerd Bachner. Der Domprobst im Kollarhemd verwaltet Dom und Kirchenschatz. "Ohne den Schrein", sagt er, "wäre auch die Kathedrale nie entstanden."

Doch mit welchem Wert muss er in den Büchern stehen? Die Lade ist voller Prunk. 74 Figuren aus Gold und Silber, umrahmt von 1700 Edelsteinen. Und dann der Inhalt: kirchenhistorisch unbezahlbar, auch wenn die Knochen wohl nicht aus der Zeit Jesu stammen.

In der Bilanz, die gerade erstellt wird, werde alles mit nur einem Euro aufgeführt, sagt Bachner. Abgeschrieben und nicht zu verkaufen. "Der Dom gehört, salopp gesagt, sich selbst und ist mit all seinem Inhalt unveräußerlich." So ist es meist bei Sakralkunst: prunkvoll, aber bilanziell wertlos.

Und der Rest? Die katholische Kirche besteht aus einem Netz von Bistümern, Bischöflichen Stühlen, Domkapiteln, Stiftungen, Pfarreien und Firmen. Inzwischen liegen Bilanzen von 26 der 27 Bistümer vor. Das Vermögen der anderen Organe ist wie in Köln nur sporadisch veröffentlicht. Nicht mal die Bischöfe könnten alle Besitztümer beziffern oder auch nur benennen. Summiert man die veröffentlichten Zahlen, kommt man auf etwa 24 Milliarden Euro. Nicht gerade atemberaubend für einen 2000 Jahre alten Konzern. Siemens hortet allein Finanzanlagen von fast 45 Milliarden Euro.

Blackrock

Und so gelangt man zu denen, die viele für die wahren Herrscher des Landes halten: den Unternehmen. Rund 3,5 Millionen gibt es, vom kleinen Handwerker bis zum Konzern. Zusammen machten sie 2016 fast 6000 Milliarden Euro Umsatz und 221 Milliarden Gewinn. Wem kommt das zugute?

Rund 90 Prozent der Firmen befinden sich in Familienhand. Der Rest gehört Investoren und Aktionären aus dem In- und Ausland. Als "mächtig" gelten wohl vor allem die 650 Unternehmen, die an der Börse gelistet sind. Und schaut man, wem die größten gehören, landet man im Himmel über Frankfurt.

Aus der 41. Etage des Opernturms blickt Dirk Schmitz hinab auf die Türme der Banken und die Menschen. Er leitet in Deutschland den Vermögensverwalter Blackrock. Sein Aufsichtsratschef ist übrigens Friedrich Merz, der CDU-Mann, der im Dezember nach dem Parteivorsitz greifen will. Blackrock hält mehr Aktien in Deutschland als irgendwer sonst: zehn Prozent der Dax-Unternehmen gehören der US-Firma, sie ist stärkster Aktionär bei zwölf Konzernen wie Allianz oder Bayer. Was ihm das bedeute? "Für mich persönlich macht es keinen Unterschied, ob wir sieben Prozent einer ganzen Firma oder nur sieben Aktien halten", sagt Schmitz. "Wir sind auch nicht der Eigentümer, wir sind der Treuhänder. Wir kaufen die Firmenanteile nicht für uns selbst. Unsere Kunden besitzen sie." Blackrock verwaltet das Geld von Sparern und professionellen Anlegern wie Pensionskassen oder Versicherern und legt es auch in deutsche Aktien an. Über die Stimmrechte dieser Aktien wird Blackrock zur Wirtschaftsmacht. Schmitz sagt, es sei eher eine "geliehene Macht". Sie ergebe sich. 

Seit Beginn der 2000er Jahre löst sich die alte Deutschland AG mit ihren vielen Überkreuzbeteiligungen auf. Während Privatanleger nur etwa elf Prozent der Dax-Aktien halten, liegen 54 Prozent in ausländischer Hand. Dass das den Leuten Sorgen bereitet, kann Schmitz nachvollziehen. Er sagt aber: "Vor uns muss niemand Angst haben."

Nur im Himmel

Wer genau hinter den eigenen Fonds steht, kann und will er nicht sagen. Dass Blackrock aber mit den Pensionsgeldern amerikanischer Lehrer die deutsche Wirtschaft aufkaufe, sei falsch, sagt Schmitz. Deutsche Anleger hätten ihnen schließlich einen dreistelligen Milliardenbetrag anvertraut. "Hinter Blackrock stehen zum Teil auch deutsche Sparer. Es gibt keine feindliche Übernahme der Deutschland AG."

So kehren wir zurück von einer Reise durch die Republik. Es bleibt das Gefühl, dass Deutschland reich ist. Teils unermesslich reich sogar. Den Menschen geht es gut, fast alle Zahlen sagen: so gut wie nie. Aber geht es fair zu? Vielleicht hat Reinhold Würth recht, der Schraubenkönig und Milliardär: "Absolute Gerechtigkeit", hatte er gesagt, "die werden Sie auf der Welt nie finden. Die wird's nur im Himmel geben."

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