Die amerikanische Wirtschaft hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich abgekühlt, doch befindet sie sich weiterhin auf einem klaren Wachstumskurs. Rekord-Ölpreise von über 46 Dollar je Barrel, steigende US-Zinsen, die Irak-Unsicherheit, ständige Angst vor neuen Terroranschlägen, ein starker Rückgang der Wall Street seit Frühjahr und Rekorddefizite in der Handelsbilanz und im US-Haushalt wirken sich als Bremsfaktoren aus. Hinzu kommen die Präsidentschaftswahlen im November.
US-Bürger verweigern Konsum
Das Vertrauen der Amerikaner in die eigene Wirtschaftsentwicklung hat gelitten, und sie halten sich deshalb mit ihren Ausgaben eindeutig zurück. Dies ist derzeit der wichtigste Negativfaktor für die US-Konjunktur, da die Konsumentenausgaben zwei Drittel der Wirtschaft repräsentieren.
Die US-Wirtschaft war im zweiten Quartal 2004 auf Jahresrate hochgerechnet nur noch um drei Prozent gewachsen nach 4,5 Prozent in den ersten drei Monaten 2004. Es sind in den USA im Juli statt der von den Wirtschaftsweisen prognostizierten 250.000 neuen Stellen nur 32.000 geschaffen worden. Die Inflationsrate liegt bei 3,3 Prozent, während Löhne und Gehälter etwa halb so stark zulegen. Die US-Unternehmen halten sich angesichts der vielen wirtschaftlichen und politischen Unsicherheitsfaktoren bei Neueinstellungen momentan zurück.
Keine weiteren Steuergeschenke
Es sind auch keine neuen Steuergeschenke des US-Präsidenten George Bush und der Republikaner mehr zu erwarten, die jetzt konjunkturelle Hilfe leisten könnten. "Die Wirtschaft ist stark und wird stärker. Wir haben 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Arbeitslosenquote beträgt 5,5 Prozent", verteidigt sich Bush auf jeder Wahlveranstaltung. Sein demokratischer Gegenspieler John Kerry hebt hingegen hervor, dass es momentan 1,1 Millionen weniger Jobs gibt als beim Amtsantritt des Präsidenten. Kerry wirft Bush außerdem vor, er habe die Reichen auf Kosten des Mittelstands massiv bereichert. Kerry will die Steuergeschenke für die Großverdiener wieder rückgängig machen und dem Transfer von Millionen von Stellen in Billiglohnländer Einhalt gebieten.
Die US-Notenbank hat unter Alan Greenspan eine Zinswende eingeleitet. Die Tagesgeldzinsen befanden sich bis vor sieben Wochen mit einem Prozent auf dem niedrigsten Stand seit 1958. Die "Fed" (Notenbank) hat die Leitzinsen angesichts der Inflationsbelebung in den vergangenen Wochen inzwischen in zwei Schritten auf 1,5 Prozent angehoben. Der nächste Aufschlag dürfte am 21. September folgen. Die Währungshüter machen in Optimismus und halten die konjunkturelle Abkühlung der vergangenen Wochen und Monaten für "temporär". Sie erwarten in den kommenden Monaten wieder ein stärkeres Wirtschaftswachstum. Sie dürften deshalb die Leitzinsen nach Wall-Street-Schätzungen bis Mitte 2005 auf etwa drei Prozent erhöhen, um dem Preisauftrieb zu begegnen.
Wirtschaftsweise halten Abkühlung für temporär
55 US-Wirtschaftsweise gehen in der Tat im Schnitt wieder von einer stärkeren wirtschaftlichen Wachstumsrate von 3,8 Prozent (Jahresrate) im dritten Quartal und von 4,1 Prozent im Schlussquartal 2004 aus, hat das "Wall Street Journal" nach einer neuen Umfrage berichtet. Die Preise dürften im November um drei Prozent höher liegen als ein Jahr zuvor. Die Wirtschaftsexperten rechnen mit 194.000 neuen Stellen pro Monat bis Jahresende.