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Immobilienblase in den Niederlanden Der Albtraum vom Eigenheim

Wohneigentum für alle! So wollte es die Regierung in Den Haag. Lange ging das gut. Dann platzte die Immobilienblase. Die Niederlande, bisher Inbegriff der Stabilität in Europa, rutschen in die Krise.
Von Thomas Schmoll

Niemand kann sagen, dass niemand etwas gewusst hat. Warnungen aus berufenem Munde gab es jedenfalls. "Werden wir die Griechen des Immobilienmarktes?", fragte Dirk Brounen, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Tilburg in einem Beitrag für die überregionale Tageszeitung "Trouw". Das war im Oktober 2011. Damals erklärte der Ökonom: "Wir leben zu viel auf Kredit. Was wir den Griechen vorwerfen, machen wir selbst. Die Niederlande hat - relativ gesehen - die höchsten Hypothekschulden der Welt. Wir wissen, welche Art von Risiken das mit sich bringt, aber es wird nichts getan. Es ist Zeit, dass die Regierung zum Rückzug aus dem Immobilienmarkt bläst."

Inzwischen ist die Immobilienblase geplatzt. Schilder mit "Te Koop" ("zu verkaufen") stehen an so vielen Häusern wie nie zuvor. Das einst in gut gemeinter Absicht eingeführte System aus hoch subventioniertem Sozialbau und öffentlich gefördetem Wohneigentum ist zum Bumerang für Staat und Bürger geworden. Überschuldete Eigenheimbesitzer, Zwangsversteigerungen von Immobilien, Verkäufe mit hohen Verlusten und Banken, die der Steuerzahler retten muss - was nach Spanien klingt und die USA schon durchlitten, spielt sich neuerdings zwischen Groningen und Eindhoven ab. "Haus unter Wasser" nennen es die Niederländer, wenn ein Kreditnehmer finanziell am Ende ist. Der "Hypothekenberg", also sämtliche Darlehen, für die all die auf Pump erworbenen Reihenhäuser, Villen, Appartments und Hausboote als Sicherheit dienen, ist die mit Abstand höchste Erhebung des Landes. Die Summe der Hypothekenkredite beläuft sich auf 650 Milliarden Euro - einsamer Rekord in der Eurozone. Die Privathaushalte sind mit 250 Prozent ihres verfügbaren Einkommens verschuldet.

Eine Großbank wurde schon verstaatlicht

Längst entwickelt sich der Traum vom Eigenheim für viele Niederländer zum Albtraum und zieht das ganze Land nach unten. In der Mittelschicht geht die Angst vor dem Abstieg um. Die Ratingagentur Fitch droht dem bisherigen Musterknaben der Eurozone mit dem Entzug des "AAA", dem bestmöglichen Qualitätsurteil für den Verkauf von Staatsanleihen. Das Land läuft Gefahr, in den aus den Krisenländern Südeuropas bekannten Teufelskreis aus Sparzwang und hartnäckiger Rezession zu rutschen.

Zwar ist die Niederlande finanziell sehr gut ausgerüstet und bekommt ihre Staatsanleihen los, ohne horrende Zinsen bieten zu müssen. Daran hat auch der Warnschuss von Fitch nichts geändert. Von griechischen Verhältnissen kann nicht ansatzweise die Rede sein. Aber die geplatzte Immoblienblase lässt viele Bürger genauso zittern wie Banken, die schon durch das Lehman-Desaster 2009 und Fehlinvestitionen in Spanien kräftig einbüßten. Die SNS Reaal, viertgrößter Finanzkonzern der Niederlande, musste im Februar verstaatlicht werden. Kosten: 3,7 Milliarden Euro. Dass das kaum jemand mitbekommen hat, spricht für die Finanzkraft des kleinen Eurolandes.

Und dennoch: Die Krise erreicht Bereiche der Wirtschaft, die nicht durch Finanztransfers ihr Geld machen. Der Konsum nimmt ab, die Arbeitslosigkeit steigt. Der Baukonzern BAM sagt spanische Verhältnisse in Holland voraus. Er prognostiziert einen weiteren Rückgang der Häuserpreise um 10 bis 15 Prozent. Seit 2008, als der Bau- und Kaufboom am Immobilienmarkt seinen Höhepunkt erlebte, beträgt der Preisverfall 30 Prozent. Das ist nicht allzu weit entfernt von den Einbrüchen in Spanien, Griechenland oder Portugal. Für Eigenheimbesitzer hat das gravierende Folgen. Oft haben sie dadurch höhere Schulden, als ihre Hütte mittlerweile wert ist. Will die Bank Cash sehen, werden sie sie nicht los oder müssen die Immobilie mit Einbußen abstoßen. Dramatische Folge ist, dass der Kredit dann nicht vollständig abgelöst werden kann - und so entstehen Löcher in den Bilanzen der Banken. All das drückt die Kauflust. Dazu sinkende Steuereinnahmen durch wachsende Arbeitslosigkeit - so entstehen Löcher im Staatshaushalt. Kein Wunder also, dass die Regierung in Den Haag in der Eurokrise längst nicht mehr so scharf auftritt wie zu Beginn. Abgesehen davon, dass eine angeschlagene Niederlande den gesamten Euro-Rettungsmechanismus gefährden würde.

"Das ist kompletter Wahnsinn"

Angespornt vom Staat pumpten die Banken in Amsterdam, Rottderdam und anderswo gewaltige Summen in den Markt. In Erwartung, dass der Wert der Häuser und Appartments steigt und steigt, liehen die Finanzkonzerne den Niederländern sogar mehr Geld, als die Immobilie am Tag des Erwerbs kostete. Nach übereinstimmenden Aussagen diverser Experten war es jahrelang überhaupt kein Problem, einen Kredit aufzunehmen, der das Drei-, Vier-, Fünf- oder gar Sechsfache eines Jahreseinkommens überstieg. Damit nicht genug. Die Niederländer konnten ihre Hypothekenzinsen komplett von der Steuer absetzen, was zu dem - aus heutiger Sicht ökonomisch total absurden - Umstand führte, dass sie ihre Darlehen nicht abbauten, sondern nur die Zinsen zahlten, um so ihre Abgabenlast zu drücken. Inzwischen hat die Regierung die Möglichkeit eingeschränkt. Doch die Folgen sind im ganzen Land sichtbar. Denn auch der niederländische Staat hat lange, vielleicht sogar zu lange, damit gerechnet, dass das Modell endlos funktioniert. Schließlich lieferte es einen beachtlichen Wachstumsbeitrag.

Ein weithin sichtbares Zeichen für eine Fehlprognose ist Leidsche Rijn, ein neuer Stadtteil von Utrecht, der auf der grünen Wiese entsteht. 30.000 Häuser sind geplant. Nach Angaben von Vincent Oldenborg, Mitglied des Stadtrates, sollten sie in diesem Jahr alle bezugsreif sein. Daraus wurde nichts. "Fertig sind 17.000 Häuser. Wir haben 13.000 Häuser Verspätung", sagt er stern.de. Oldenborg, der der Stadtpartei "Leefbar Utrecht" angehört, die er "pragmatisch links" nennt, rechnet mit Bauabschluss zwischen 2021 und 2025. "Das wird zu Ende gebaut. Es dauert nur länger. Wir werden nicht Griechenland." Allerdings belaste das die Stadt, die zig Millionen in die Vorfinanzierung gesteckt habe. "Vergangenes Jahr verzeichnete Utrecht 60 Millionen Euro Defizit", sagt der Kommunalpolitiker. "Das ist kompletter Wahnsinn. Aber so ist die Entwicklung."

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