Die Türglocke ist abgestellt, das Telefon klingelt nicht mehr. Wer zu Besuch kommen will, muss sich per Anrufbeantworter anmelden und erhält, sofern er willkommen ist, einen Rückruf, bei dem ein Codewort oder ein ständig wechselndes Klopfzeichen mitgeteilt wird. "Anders geht es nicht mehr", sagt Claudia Dandl, 39, Körpertherapeutin aus Marktl am Inn. Als Bewohnerin des Hauses Marktplatz 11, in dem am 16. April 1927 Joseph Ratzinger geboren wurde - der jetzt als Papst Benedikt XVI. die katholische Christenheit anführt -, ist das Privatleben der jungen Frau etwas kompliziert geworden. Denn draußen vor der Tür stehen Fromme aus aller Herren Länder, und die "wollen rein".
Gegen Nonnen ist nichts zu sagen. Die bekreuzigen sich in respektvollem Abstand vor der schweren Holztür, murmeln ein kleines Gebet und knicksen ein bisschen, bevor sie gehen. Auch wer nur den Boden vor dem behäbigen Haus küsst, kann mit Absolution rechnen. Aber dass der Briefkasten ausgeräumt wird, Pflastersteine ausgegraben werden und Putz an der Fassade mit Fingernagel oder Taschenmesser abgekratzt und als Souvenir mitgenommen wird, das nervt.
Noch schlimmer sind die fremden Gesichter, die durch die ebenerdigen Fenster starren, die Blitzlichter von Kameras, die in den schmalen Spalt zwischen Vorhänge und Fensterrahmen gehalten werden, und das ständige Klopfen an der Tür. Kein Gedanke daran, so einfach raus- oder reinzugehen, wie halt bei einem normalen Haus. "Mama", sagen die Kinder, wenn sie mit dem Rad zum See wollen, "ich geh kurz weg, schließ schnell hinter mir zu." Vorher müssen sie jedoch prüfen, wie viele gerade draußen stehen.
Es ist ein schönes Haus,
zweigeschossig, 260 Jahre alt, mit zwei steinernen Gedenktafeln geziert, dazu ein großer Garten mit Scheune und Remise. Denn hier wurde nicht nur der spätere Papst Benedikt geboren, sondern anno 1779 auch Georg Lankensperger, der die "Achsschenkellenkung" für Kutschen erfunden hat. 1999 kaufte die alleinerziehende Mutter Claudia Dandl das Haus für sich und ihre beiden Kinder Marja, 8, und Jakob, 10. Eigentlich, so habe sie damals gedacht, "hätte ich es umsonst bekommen sollen, so wie das aussah". Natürlich bekam sie es nicht umsonst, aber: "Es war ja auch ein Paradies für uns."
Fast sechs Jahre dauerten die Renovierungsarbeiten. Am Tag, als das letzte Fenster eingesetzt wurde, hörte die Familie im Radio, dass Joseph Ratzinger, zur Welt gekommen vor 78 Jahren hier im ersten Stockwerk rechts als Sohn des Dorfpolizisten, zum Papst gewählt worden war. Das Telefon hatte Claudia Dandl schon zuvor leise gestellt, wegen der vielen Anfragen. Jetzt dachte sie sich: "O mei, der Ratzinger", und hoffte inständig, der Trubel um das alte Gemäuer werde sich bald legen.
Die Hoffnung trog. Es nützte nichts, dass Claudia Dandl groß "Privat" an die Haustür schrieb. Ganze Busladungen christlicher Touristen standen plötzlich vor der Tür, sangen fromme Lieder, wollten das Geburtszimmer sehen, in dem nun Claudia Dandl schläft, vielleicht sogar noch eine heilige Windel oder den päpstlichen Wickeltisch, irgendwas halt.
Als Papst-Touristen Marja und Jakob abpassten, in den Flur drängten und die Kinder als "Deppen" beschimpften, weil die darauf bestanden, dass die Eindringlinge sofort wieder gehen sollten, wurde Claudia Dandl "richtig nachdenklich". Eine fordernde Stimme auf dem Anrufbeantworter bestärkte dieses Gefühl. "Wir sollten die Spielsachen auf dem Fensterbrett wegräumen, weil das Pilger störe." Der Anruf, da ist sie sich ziemlich sicher, kam von der Gemeinde - was Bürgermeister Hubert Gschwendter, 56, nicht bestätigen mag. "Ich weiß von nichts."
50 bis mehrere hundert Pilger kommen derzeit täglich in das nur 2700 Einwohner zählende Marktl - nur ein paar Kilometer vom weltbekannten Wallfahrtsort Altötting mit mehr als einer Million Besuchern jährlich entfernt. Während Claudia Dandl den Trubel mit "gemischten Gefühlen" sieht, hofft der Bürgermeister auf einen noch größeren Anteil an frommen Reisenden.
Schon jetzt hat Marktl ihnen jede Menge päpstlichen Schnickschnack zu bieten. Im Heimatmuseum neben dem Geburtshaus steht das längst ausrangierte Taufbecken, über das der kleine Jospeh gehalten wurde. Beim Bäcker schräg gegenüber gibt es Papstbrot und Backwerk mit zwei Zipfeln, die aussehen wie eine Bischofsmitra. Ein paar Schritte weiter ist Papstbier zu haben. Nur der Apotheker gegenüber dem Geburtshaus entzieht sich aller heiligen Geschäfte und widmet seine Auslage dem Volksübel "Pickel an behaarten Stellen". "Die Gemeinde", sagt der Bürgermeister, "arbeitet im Moment an einem nachhaltigen Konzept, um den Geburtsort des Papstes für die Besucher erlebbar zu machen." Wozu natürlich auch das Geburtshaus gehört.
Für Claudia Dandl Anlass, sich Gedanken über ihre Situation zu machen. Ergebnis: Das Haus soll verkauft werden. "Ich stelle mich nicht gegen das öffentliche Interesse", formuliert sie es fast schon staatsmännisch. Mit dem Verkauf wurde eine lokale Maklerin beauftragt, die das Haus nun im Internet offeriert (www.drfriedlmaier.de). Bis zum 22. August haben Interessenten Gelegenheit, Gebote abzugeben. Entscheidend für den Zuschlag sei nicht der höchste Preis, sondern das beste Konzept für das Haus und die Reputation des Bieters. Eine Gedenkstätte oder ein Museum sollte es werden, sagt Claudia Dandl - "eine normale Familie kann hier nicht mehr wohnen".
Der Abschied
fällt ihr schwer, weil sie weiß, dass sie "so etwas selbst für viel mehr Geld kaum wiederbekommt". Auch die Kinder bedauern den Verkauf, weil die es irgendwie doch ziemlich toll finden, in solch einem Haus zu wohnen. Speziell Jakob, der "einen prima Papstwitz weiß" und nun daran zweifelt, ob der noch so gut ankommt, wenn er nicht mehr im Papsthaus wohnt.
Vorsichtshalber erzählt er ihn. Also: Benedikt XVI., Präsident Bush und ein Kaplan sitzen in einem abstürzenden Flugzeug. Es gibt nur zwei Fallschirme. "Ich bin der wichtigste Mann der Welt", sagt Bush, greift sich eines der Bündel und springt. "Ich bin ein alter Mann", sagt der Papst zum Kaplan, "nimm diesen Schirm, mein Sohn, ich befehle es dir." "Ein Wunder ist geschehen", sagt da der Kaplan. "Bush hat meinen Rucksack genommen."