Flurfunk Renaissance des Flurfunks: Wer weiß was?

In deutschen Unternehmen gewinnen derzeit uralte Formen der Kommunikation neue Bedeutung. Während die Boomjahre der 90er eine Zeit der Meetings und des zupackenden Brainstormings waren, blühen in der Konjunkturkrise Flurfunk und Gerüchte.

Solidarität oder Konkurrenz - der Umgang der Menschen miteinander wird vor allem in von Arbeitsplatzabbau betroffenen Firmen auf eine harte Probe gestellt.

Wo früher höchstens die Abluft aus Kopiergeräten oder der Zigarettenrauch vom Schreibtisch nebenan das Job-Klima beeinträchtigte, ist heute in vielen Firmen ein Hauch von grundsätzlicher Unsicherheit dazugekommen. Wer weiß was? Wie geht es weiter? Wer hat mit wem gesprochen? Und über was? "Je unklarer die Situation ist, desto heftiger kocht die Gerüchteküche", sagt die Leipziger Professorin für Arbeitspsychologie Gisela Mohr. "Es rumort im Betrieb." Sind die Kollegen in die Pläne aus der Chefetage vielleicht eingeweihter? "Es werden wenige klare Informationen gegeben, aber etwas dringt immer nach außen", sagt Mohr.

"Die Leute wollen mehr über die großen Prozesse der Firma informiert werden, und da sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auf offiziellem Wege weniger erfahren, floriert die 'soft communication', also das informelle Gespräch", sagt die Zürcher Sprachwissenschaftlerin Ulla Kleinberger Günther. Sie hat in der Schweiz die Betriebskommunikation während der Welle von Umstrukturierungen untersucht, die nun auch Deutschland erfasst hat.

"Wer gegenüber Kollegen Informationen herausgibt, meint meist fälschlicherweise, er verliert etwas", sagt Kleinberger Günther. In vielen Fluren geht es deshalb zu wie auf dem Krämermarkt - die Ware: Informationen. Viele wollen viel erfahren - und möglichst wenig preisgeben.

"Es gibt eine große Menge Buschfunk", bestätigt auch Berthold Vogel vom Soziologischen Forschungsinstitut an der Universität Göttingen. Die Göttinger Forscher untersuchten Leiharbeit und befristete Jobs - und fanden jede Menge Unbehagen, weil die meisten Betroffenen die Aussicht auf eine feste Übernahme hatten, aber kaum Zusagen. "Wichtig werden dann symbolische Gesten wie ein eigener Spind oder Arbeitskleidung mit dem Logo der Firma", sagt Vogel.

Konkret angekündigte Stellenstreichungen bringen nach Messungen von Psychologen unmittelbar eine Menge Stress. «In Unsicherheitsphasen sind Stresshormone deutlich erhöht», sagt Mohr, "sie gehen sogar erst einmal herunter, wenn eine Kündigung auf dem Tisch liegt". Gerade die "Handlungsohnmacht" - soll man weitermachen, wie bisher oder sich vielleicht doch schon einmal auf dem Jobmarkt umsehen? - sei kritisch.

Bringen härtere Zeiten dabei mehr Solidarität oder Konkurrenz und verdeckte Spiele hervor? Je besser das Grundklima, je weniger hierarchisch und je kleiner ein Betrieb sei, desto loyaler gingen die Kollegen meist auch in schwierigen Zeiten miteinander um, meint Kleinberger Günther. Doch in der Regel führen "Verknappungsprozesse", sagt Psychologin Mohr, zu mehr Konflikten und weniger Motivation.

Ein Ausschluss von nicht-offiziellen Unterhaltungen kann dabei durchaus Methode haben, wie Thomas Ketnath, Mobbing-Berater bei der Münchner Kolping-Akademie, sagt. "Leute, die nicht mehr mitkommen, werden von anderen an die Seite gedrückt", sagt er, "man unterhält sich nur noch in beschränktem Rahmen mit ihnen". Doch ebenso Erfolg könne Menschen zur Zielscheibe von neidischen Kollegen machen. Der Beratungsbedarf bei Mobbing sei in jüngster Zeit jedenfalls gestiegen. Wem Flurfunker nicht nur in spielerischem Austausch von Informationen, sondern mit bösen Absichten über den Weg laufen, rät Ketnath zur Offensive: "Mobbing-Opfer sollten sich in der Regel an den Vorgesetzten wenden."

Und Psychologin Mohr empfiehlt Chefs ein einfaches Rezept gegen nachlassende Leistung und Motivation ihrer Mitarbeiter in harten Zeiten: größtmögliche Offenheit.

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