Ist die 35-Stunden Woche nun eine Fluch oder ein Segen? Gerade die Wahlkampfparolen der Präsidentschaftskandidaten markieren in Frankreich die Bruchlinien. "Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen", propagiert der Neogaullist Nicolas Sarkozy. "Weg mit den Ausnahmen" und "35 Stunden für alle" verspricht die Sozialistin Ségolène Royal.
Produktivität stieg
Beide Parolen finden in Teilen der Bevölkerung Widerhall. Denn die Bilanz der Arbeitszeitreformen von 1998 und 2000 ist gespalten. Als der Staat die Wochenarbeitszeit von 39 auf 35 Stunden verkürzte, lag die Arbeitslosigkeit in Frankreich bei zwölf Prozent. Zwischen 1998 und 2002 wurden dann zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Davon rechnet das Statistikamt INSEE 350.000 der 35-Stunden-Woche zu. Das ist viel, aber nur halb so viel wie erwartet.
Viele Großbetriebe nutzten das Gesetz nämlich, um alte Strukturen aufzubrechen, die Arbeitszeit zu flexibilisieren und Jobüberhänge abzubauen. Prompt stieg die Produktivität laut INSEE um fünf Prozent. Auch die OECD registrierte für Frankreich einen Produktivitätsgewinn.
Kleinbetriebe stöhnte über die Zuschläge
Doch viele Kleinbetriebe konnten dabei nicht mitziehen. Sie stöhnten über nun fällige Überstundenzuschläge. Im Oktober 2002 nahm die Regierung daher Unternehmen bis zu 200 Beschäftigten für die Zeit bis Ende 2008 von der 35-Stunden-Woche aus. Jetzt wogt der Kampf darum, was nach dem 1. Januar 2009 geschehen soll. Sarkozy will Überstunden von Sozialabgaben befreien; Royal will Tarifvereinbarungen, um einen Übergang zur generellen 35-Stunden- Woche abzufedern.
Auch die Arbeitnehmer selbst sind über die Reform gespalten. Vor allem schlecht verdienende Arbeiter beklagen Lohneinbußen, erhöhten Leistungsdruck und unregelmäßigere Arbeitszeiten. Dagegen schätzen besser gestellte Büroangestellte die längere Freizeit und flexiblere Urlaubsplanungen. Nach Angaben des Arbeitsministeriums zog die Hälfte eine positive Bilanz. Doch für jeden Siebten überwogen die Nachteile.
Arbeitnehmerschaft sind gespalten
In Branchen mit Niedriglöhnen und chronischem Arbeitskräftemangel wie dem Bau brachte die Arbeitszeitverkürzung einen neuen Schub für die Schwarzarbeit. Denn wer mit jedem Cent rechnen muss, der will nicht mehr Freizeit, sondern mehr Geld im Portemonnaie. Und Arbeit ist ja da. "Was machen die Leute mit ihren Ausgleichzeiten? Sie gehen doch nicht ins Museum", sagt der Bauunternehmer Benoît Gautier. Doch auch Branchen mit gut bezahlten Vielarbeitern stöhnen. Überstunden seien teuer und es gebe zu viel Bürokratie, klagte die e-business- Firma Stockholm.
Was die 35-Stunden-Woche volkswirtschaftlich bringt, darüber gehen die Expertenmeinungen auch nach sieben Jahren immer noch auseinander. Viele Volkswirte neigen zur Argumentation der Unternehmerverbände, dass langfristig mehr Stellen ins Ausland verlagert als in Frankreich geschaffen werden. Außerdem ist strittig, wie viel die Arbeitszeit durch die Reform real gesunken ist. Das Forschungsinstitut Centre d'Études de l'Emploi brachte dazu Überraschendes zu Tage. Nach seinen Erhebungen arbeiten die französischen Arbeitnehmer im Schnitt 38,8 Stunden die Woche. Im Jahresmittel arbeiten die Franzosen mit 1453 Stunden sogar 24 Stunden länger als die Deutschen.