Als die Berlinerin Renate Schmieder den ersten Termin bei der Schuldnerberatung hatte, lagen sechs Monate voller Anspannung und unzähliger Behördengänge hinter ihr. Die 48-Jährige war durch ihre plötzliche Arbeitslosigkeit in einen Strudel von Zahlungsverpflichtungen geraten, denen sie nicht mehr nachkommen konnte.
Der Kiosk ihres Mannes, für den sie die Bürgschaft übernommen hatte, ging pleite, das Auto und die neue Küche waren noch nicht abgezahlt. »Irgendwann wurde es immer schwerer, die Miete für unsere Wohnung zusammenzubekommen, schließlich ging gar nichts mehr«, erzählt die arbeitslose Bürokauffrau.
Die Familie gehört zu den 2,77 Millionen Haushalten in Deutschland, die überschuldet sind. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums in Berlin lassen sich nur 15 Prozent davon professionell beraten. »Viele haben keine oder falsche Vorstellungen von den verschiedenen Varianten, sich aus der Schuldenspirale zu befreien«, weiß auch Werner Sanio von der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung in Kassel. Dabei biete gerade das Verbraucher-Insolvenzverfahren Wege zu einem finanziellen Neustart. »Für viele Leute ist das der allerletzte Weg, um aus der Schuldenfalle herauszukommen«, sagt Sanio. Je früher der Schuldner das Verfahren beginne, umso eher sei ein Neuanfang möglich.
Das Gesetz zum Verbraucher-Insolvenzverfahren wurde 1999 eingeführt. Bereits im Dezember 2001 gab es eine Neufassung. Seitdem seien wichtige Veränderungen zu Gunsten des Schuldners wirksam, sagt der Rechtsanwalt und Insolvenzrechtsexperte Carsten Max Heldt aus Berlin.
Novellierung des Insolvenzgesetzes
In der ersten Etappe des Insolvenzverfahrens müsse der Schuldner versuchen, sich mit seinen Gläubigern außergerichtlich zu einigen, erklärt Herbert Klaus von der Schuldnerberatung Berlin Marzahn: »Ratenzahlungen, Stundungen oder Teilerlasse sind möglich«. Gelingt die Einigung nicht, muss eine geeignete Person - etwa ein Anwalt - oder eine Schuldenberatungsstelle das Fehlschlagen bescheinigen.
Danach kann das gerichtliche Insolvenzverfahren eingeleitet werden. Für Schulden, die dabei nicht zurückgezahlt werden können, kann der Schuldner einen Antrag auf Restschuldbefreiung beim Gericht stellen. Für einen bestimmten Zeitraum - Wohlverhaltensphase genannt - muss er dann alle pfändbaren Überschüsse seines Einkommens an einen Treuhänder abtreten, der das Geld unter den Gläubigern verteilt. Anschließend werden ihm alle Schulden erlassen.
Dieser Zeitraum wurde jetzt von sieben auf sechs Jahre verkürzt, so Insolvenzexperte Heldt. Zudem wurden die Pfändungsfreigrenzen angehoben. »Damit kann der Schuldner während der Wohlverhaltensphase über einen größeren Betrag aus seinem Einkommen verfügen als bisher«, sagt Herbert Klaus. Einer allein stehenden Person mit einem Kind verblieben jetzt vom monatlichen Einkommen etwa 1.290 Euro.
»Durch die Novellierung des Insolvenzgesetzes ist es jetzt möglich, dass die Kosten für das Verbraucherinsolvenzverfahrens gestundet werden können«, erklärt Stephan Göcken von der Bundesrechtsanwaltskammer in Bonn. Bislang musste der Schuldner die Kosten vorab zahlen. »Diese Stundung umfaßt auch die Kosten eines beigeordneten Rechtsanwaltes.« Entgegen der häufigen Ansicht seien die Rechtsanwaltsgebühren durchaus bezahlbar, sagt Werner Sanio von der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung. »Unter bestimmten Voraussetzungen besteht sogar die Möglichkeit, dass die Staatskasse diese Gebühren übernimmt.«
Kostenlose Beratungsstellen: Wartezeiten von bis zu acht Monaten
Da die sechsjährige Wohlverhaltensphase erst durch den gerichtlichen Antrag zu laufen beginnt, ist es im Interesse des Schuldners, keine Zeit zu verlieren. Der Andrang bei den kostenlos tätigen Beratungsstellen ist daher groß. Wartezeiten von bis zu acht Monaten für einen ersten Beratungstermin seien möglich, weiß Schuldnerberater Klaus.
»Viele Rat Suchende benötigen eine umfassende Hilfe und Anleitung«, sagt Regine Stack vom Caritasverband in Köln. Die eigentliche Arbeit sei die soziale und psychologische Betreuung der Schuldner. Bei nicht ganz klaren und eindeutigen Fällen müsse sie aber auch immer häufiger Anwälte zu Rate ziehen. Da bleibe für die eigentliche Beratungsarbeit immer weniger Zeit, und die Akten stapelten sich.
»Die langen Wartezeiten bei den Beratungsstellen treiben unterdessen viele verschuldete Haushalte in die Arme unseriöser Schuldenregulierungsfirmen«, sagt Günter Hörmann von der Verbraucherzentrale Hamburg. Gewarnt sein sollte jeder, wenn der Schuldenregulierer vorab Geld verlange oder den Eindruck einer Kreditvermittlung erwecke. Nur Anwälte, Steuerberater oder staatlich anerkannte Schuldnerberatungsstellen dürfen helfen.
Ein Schwerpunkt der Beratung sei die Bewertung rechtlicher Fragen, sagt Heldt. »Die Verhandlungsposition des Schuldners bei einem außergerichtlichen Einigungsversuch mit seinem Gläubiger wird sich erheblich verbessern, wenn sich herausstellt, dass der tatsächliche Schuldenberg nur halb so groß ist.« Denn nicht selten bestünden die Schulden teilweise aus unberechtigten Forderungen, unwirksamen Knebelverträgen oder schon verjährten Forderungen.