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Jobcoach Angst um meine Existenz: Wie schaffe ich es als Selbstständiger durch diese Krise?

Viele Selbstständige müssen derzeit um ihre Existenz kämpfen
Viele Selbstständige müssen derzeit um ihre Existenz kämpfen
© Getty Images
Die Corona-Pandemie wirkt sich auf uns alle aus, doch eine Gruppe, die besonders stark unter ihren Folgen leidet, sind Selbstständige und kleine Unternehmen. Jobcoach Ragnhild Struss zeigt auf, was Betroffene tun können und wie sie es schaffen, das Beste aus dieser schwierigen Situation zu machen

Frage: "Vor zwei Jahren habe ich nach langem Überlegen den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und war Ende letzten Jahres gerade froh, dass mein Business endlich so richtig ins Rollen gekommen ist. All das wird jetzt durch Corona gefährdet: Die Auftragslage ist mau und ich mache mir große Sorgen, ob mein kleines Unternehmen die Krise überleben wird. Was kann ich tun?"

Die Pandemie trifft Selbstständige und kleine Unternehmen leider besonders hart – da können auch die kürzlich beschlossenen Lockerungen nicht dafür sorgen, dass die Arbeit wieder wie gewohnt ablaufen kann. Wie Sie wahrscheinlich bereits wissen, sieht die aktuelle Faktenlage in Deutschland folgendermaßen aus: Seit dem 30. März stehen den Ländern die Soforthilfen des Bundes für kleine Unternehmen zur Verfügung. Anfang April haben entsprechend alle Länder ihre eigenen Programme angepasst oder eingestellt. Das Problem bei der Bundeshilfe besteht jedoch darin, dass kein Geld für Lebenshaltungskosten vorgesehen ist, was bereits für einigen Protest gesorgt hat. Dennoch sollten Sie so schnell wie möglich diese Hilfe beantragen, wenn auch Sie stark unter den Folgen der Corona-Krise leiden.

Eine weitere Möglichkeit, die bereits von vielen Unternehmen genutzt wird, ist der Wechsel auf Kurzarbeit. Sie bietet Unternehmern eine deutliche finanzielle Entlastung bei gleichzeitiger Chance, möglichst viele Mitarbeiter halten zu können. So viel zu den offiziellen Fakten – doch was können Sie darüber hinaus tun, um sich als Selbstständiger besser durch die Krise zu manövrieren?

Ragnhild Struss, 41, hilft Menschen dabei, ihre innere Stimme zur Autorität zu machen. In ihrem Unternehmen "Struss & Claussen Personal Development" entwickelt sie Karrierewege, die nicht zwangsweise "nach oben" führen, sondern zu sich selbst – ob in der Kfz-Werkstatt oder im Konzern. Mit Toni Knows hat sie eine Web-Applikation auf den Markt gebracht, die Abiturient*innen auf Basis einer fundierten Persönlichkeitsanalyse passgenaue Studien- und Berufsempfehlungen bietet.
Ragnhild Struss, 41, hilft Menschen dabei, ihre innere Stimme zur Autorität zu machen. In ihrem Unternehmen "Struss & Claussen Personal Development" entwickelt sie Karrierewege, die nicht zwangsweise "nach oben" führen, sondern zu sich selbst – ob in der Kfz-Werkstatt oder im Konzern. Mit Toni Knows hat sie eine Web-Applikation auf den Markt gebracht, die Abiturient*innen auf Basis einer fundierten Persönlichkeitsanalyse passgenaue Studien- und Berufsempfehlungen bietet.
© Florian Janssen / Hersteller

Not macht erfinderisch: Werden Sie kreativ

Täglich berichten die Medien über die Kreativität, die viele Menschen im Angesicht der Pandemie entwickeln: Cafébesitzer, die jetzt statt in ihren Räumlichkeiten in einem Foodtruck auf dem Wochenmarkt oder vor der Tür ihre Snacks und Getränke anbieten. Künstler und Musiker, die sich zusammentun, um gegen Spenden per Livestream für ihr Publikum zu performen. Fingerfertige Menschen, die sich nun auf das Nähen von Behelfsmasken spezialisieren. Coaches, Musiklehrer oder Fitnesstrainer, die sich per Videochat mit ihren Klienten verabreden und so ihre Dienstleistung fortführen können.

Es ist beeindruckend, welche alternativen Wege sich Menschen schon haben einfallen lassen, um (zumindest eingeschränkt) ihr Angebot weiterhin zu ermöglichen und so noch etwas einnehmen zu können. Mein Tipp: Werden auch Sie kreativ! Selbst wenn Ihre ursprüngliche Dienstleistung aktuell nicht wie vorher umsetzbar ist – können Sie sie vielleicht in abgewandelter Form anbieten? Wenn Sie beispielsweise als Masseur gerade keine Kunden behandeln können, so könnten Sie stattdessen vielleicht mit Videos auf Ihrer Homepage und Bitte um Spenden Anleitungen zur Selbstmassage geben.

Fragen kostet nichts: Bitten Sie ruhig um Hilfe

Scheuen Sie sich nicht, aktiv nach Unterstützung zu fragen: Jetzt ist die richtige Zeit, um sich bei Ihren bisherigen Kunden zu melden und transparent Ihre Lage zu schildern. Die Corona-Krise erhöht bei uns allen das Mitgefühl miteinander und hat eine große Welle der Solidarität ausgelöst. Wenn Sie in diesem Klima der Empathie und Hilfsbereitschaft offen und ehrlich kommunizieren, dass Sie gerade in Existenznot zu geraten drohen, werden Sie sicherlich auf positive Resonanz stoßen.

Bitten Sie Ihre (potenziellen) Kunden zum Beispiel mit einem Zettel im Schaufenster Ihres Ladens, auch nur eine Kleinigkeit zu kaufen, weil sie damit das Fortbestehen Ihrer Existenzgrundlage sehr unterstützen würden. Oder informieren Sie per E-Mail-Newsletter oder auf Social Media Ihre Kunden über die Möglichkeit, bei Ihnen Gutscheine zu erwerben, die zu einem späteren Zeitpunkt eingelöst werden können. Drücken Sie bei alledem vorab Ihre Dankbarkeit aus und lassen Sie sich davon überraschen, wie gerne Menschen dazu bereit sind, Sie zu supporten. Was ich Ihnen außerdem empfehle, ist, Ihr Netzwerk zu aktivieren, sich mit anderen Selbstständigen auszutauschen, die im selben Boot sitzen, und sich wenn möglich gegenseitig zu helfen und wertvolle Tipps zu geben.

Blick in die Zukunft: Wie geht es nach Corona weiter?

Was Ihnen ebenfalls durch die aktuelle Phase helfen kann, ist eine positive, zukunftsorientierte Einstellung. Denn ohne feste Tagesstruktur und mit negativer Attitüde verstärken Sie Ihre persönliche Krise noch und riskieren eine depressive Verstimmung. Nutzen Sie Ihre Zeit für all die Dinge, die sonst auf der Strecke bleiben, zum Beispiel Online-Fortbildungen, Ausmisten etc. Alleine, jeden Tag etwas Festes zu tun zu haben, steigert Ihre Motivation und trägt zu Ihrer psychischen Gesundheit bei. Schmieden Sie außerdem berufliche Zukunftspläne. Das funktioniert vor allem dann gut, wenn Sie bereits erfolgreich staatliche Hilfe beantragt haben und nicht Tag für Tag befürchten müssen, tatsächlich bald vor dem Ruin zu stehen. Und selbst wenn Sie weiterhin ein mulmiges Gefühl haben, wird es Ihnen guttun, in Möglichkeiten statt in Worst-Case-Szenarien zu denken.

Nutzen Sie die Auszeit produktiv und generieren Sie – alleine oder mit einem Sparringspartner – Ideen darüber, wohin Sie sich in Ihrer Selbstständigkeit noch entwickeln möchten. Wie können Sie sich jetzt und nach Corona besser vermarkten? Welche neuen oder erweiterten Dienstleistungen und Produkte möchten Sie künftig anbieten? Wo soll die Reise für Ihr Unternehmen hingehen? Lassen Sie sich durch Ihre Vorhaben motivieren und erstellen Sie am besten ein Vision Board mit Ihren Zielen, welches so in Ihrem Zuhause platziert sein sollte, dass Sie täglich einen Blick darauf werfen. Das wird Sie immer wieder an das "Licht am Ende des Tunnels" erinnern und dabei helfen, Ihre Existenzängste zu lindern.

Face the facts: Was wäre, wenn ...?

Schließlich möchte ich Ihnen noch ans Herz legen, verschiedene Worst-Case-Szenarien bewusst im Kopf durchzuspielen, um ihnen den Schrecken zu nehmen. Denn Ängste haben uns vor allem dann im Griff, wenn sie diffus sind und wir nicht genau wissen, was möglicherweise auf uns zukommt und wie wir damit umgehen können. Deshalb entziehen Sie Ihren Befürchtungen diese Grundlage, indem Sie einmal wirklich überlegen – und am besten auch aufschreiben! –, was schlimmstenfalls alles passieren könnte.

Finden Sie gleichzeitig zu jedem Szenario, das Ihnen einfällt, bereits jetzt Lösungsstrategien. Wenn Sie zum Beispiel befürchten, Ihre Selbstständigkeit an den Nagel hängen zu müssen, könnten Lösungen sein: "Dann bewerbe ich mich eben bei einem anderen Unternehmen und arbeite erst einmal wieder festangestellt." Oder: "Niemand sagt, dass man nur einmal gründen kann. Es steht mir frei, es in besseren Zeiten mit einem neuen Start-up zu probieren." Selbstverständlich schmerzen einige dieser Vorstellungen, vor allem wenn Sie sich vergegenwärtigen, wie viel Geld, Arbeit und Herzblut Sie in Ihre bisherige Selbstständigkeit investiert haben. Es ist aber wichtig, dass Sie durch diese Überlegungen merken: "Selbst wenn der schlimmste Fall eintritt, ist mein Leben nicht vorüber und ich kann immer Lösungen finden, mit denen es irgendwie weitergeht."

Fazit: The only way out is through

Leider kann ich Ihnen kein "Zaubermittel" an die Hand geben, mit dem Sie es als Selbstständiger in jedem Fall völlig unversehrt durch diese Krise schaffen. Ich hoffe, meine Tipps helfen Ihnen dennoch, das Beste aus der aktuellen Phase zu machen und nicht die Hoffnung zu verlieren. Denken Sie daran: So wie Ihnen geht es jetzt ganz vielen – Sie sind nicht alleine! Nutzen Sie auf jeden Fall Möglichkeiten, um sich mit anderen auszutauschen und sich gegenseitig zu helfen – nicht nur in Bezug auf Arbeit, sondern auch in den vielen anderen Bereichen, in denen wir gerade zusammenhalten und gegenseitig auf uns achtgeben müssen. Und wer weiß, womöglich folgen bald weitere Lockerungen, die es Ihnen ermöglichen, wieder relativ uneingeschränkt Ihrer Tätigkeit nachzugehen.

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