"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an" - der Udo Jürgens-Schlager könnte das Leitmotiv für die Mitglieder des Senior Experten Service (SES) sein. Seit 20 Jahren vermittelt der Bonner Dienst pensionierte Experten zur praktischen Auf- und Ausbauhilfe ins Ausland. Allein aus dem Hamburger Raum sind seitdem 93 "Ruheständler" zu über 280 Einsätzen auf allen Kontinenten aufgebrochen.
Änne Märten flog für den SES schon nach Namibia und Usbekistan. Mitten in der Hochsteppe, 40 Kilometer von Windhoek entfernt, unterrichtete die ehemalige Lehrerin in einer von einem Deutschen gegründeten Privatschule. Junge Mädchen aus dem ganzen Land bekommen dort eine Ausbildung in Gastronomie und im Hotelfach, Merten unterrichtete sie vor allem in Deutsch und Englisch. Ihr gefiel es so gut, dass sie statt sechs Monaten ein ganzes Jahr in Namibia bleib.
Kurz nachdem sie wieder in Hamburg war, kam ein Anruf aus der SES-Zentrale in Bonn. "Die haben gefragt, ob ich nach Usbekistan gehen wollte - da musste ich erst einmal auf die Landkarte schauen", erinnert sich die 73-Jährige. In dem mittelasiatischen Land bereitete sie Studenten auf ihren Auslandsaufenthalt in Deutschland vor. "Die waren zu 100 Prozent motiviert", sagt Merten. Sie hatte nach ihrer Pensionierung 1993 beschlossen, aktiv zu bleiben und ihre pädagogischen Fähigkeiten ehrenamtlich einzusetzen. Solange sie sich fit fühlt, will die Hamburgerin für den SES durch die Welt reisen.
Praktische Hilfe zur Selbsthilfe
Auch Rolf Helmerding fühlte sich nach der Pensionierung noch nicht zu alt für die verantwortungsvollen Aufgaben im Ausland. "Viele Senioren haben ein umfangreiches Erfahrungswissen - das ist das Pfund mit dem wir wuchern können." 30 Jahre lang arbeitete der Diplom-Kaufmann in einem Hamburger Handelshaus. Als vor zwei Jahren die Altersteilzeit einsetzte, hatte der heute 60-Jährige keine Lust, seine Freizeit nur mit Zeitunglesen zu verbringen. "Beim SES habe ich eine Aufgabe gefunden, die mich ausfüllt."
Helmerding flog nach Tscheljabinsk in Sibirien, um dort innerhalb von vier Wochen ein Einkaufszentrum ganz neu zu strukturieren - und erlebte die Nachwirkungen von 80 Jahren Planwirtschaft: "Dinge, die bei uns ganz selbstverständlich sind - wie interne Kommunikation -, gab es dort nicht." Er reorganisierte den Einkauf, erklärte moderne Lohnformen und gab Tipps für das Marketing. Auf den Rat der Senior-Experten wird gehört, denn sie gelten als unabhängig.
Der Hamburger meint, dass es sich die Gesellschaft nicht leisten kann, auf ältere Arbeitnehmer zu verzichten: "Ich denke, die Lebensarbeitszeit wird in Zukunft länger sein. Kürzere Ausbildungs- und Studienzeiten und ein späterer Renteneintritt wird die Regel werden", sagt Helmerding.
Mit ihm zusammen koordiniert Joachim Janner die Arbeit im Hamburger SES-Büro. Kaufleute, Mediziner, Pädagogen und Ingenieure aus dem Norden arbeiten ehrenamtlich in allen Teilen der Welt. Die bundesweit registrierten 5.900 Senior-Experten haben in den 20 Jahren mehr als 12.000 Einsätze absolviert und so praktische Hilfe zur Selbsthilfe geleistet.
Claus Hesseling, dpa