Tarifkonflikt bei der Bahn "Mehdorn will uns entmündigen"

Die Lokführer fordern Bahnchef Hartmut Mehdorn auf, endlich seine Blockade-Haltung aufzugeben. Im stern.de-Interview erklärt GDL-Vize Claus Weselsky, wie es zu der erneuten Eskalation im Tarifstreit gekommen ist und was die Bahn tun muss, um einen Totalstreik ab Montag zu vermeiden.

Schämen Sie sich nicht, Herr Weselsky - gerade ist die deutsche Wirtschaft wieder auf dem aufsteigenden Ast, Sie bekommen elf Prozent mehr Lohn und trotzdem kriegen Sie den Hals nicht voll?

Wir bekommen keine elf Prozent mehr Lohn, weil dieser Arbeitgeber sich weigert, den Tarifvertrag zu unterschreiben. Und deswegen schämen wir uns nicht, wenn wir jetzt für etwas, was uns schon seit Monaten versprochen wird, in den Arbeitskampf eintreten.

Woran hängt es dann?

Es geht um zwei Dinge: Erstens verlangt der Arbeitgeber den Abschluss eines Grundlagentarifvertrags. Und zwar bevor er diesen Lokführer-Tarifvertrag mit den elf Prozent unterschreibt. Prinzipiell haben wir dem zugestimmt. Nun hat uns die Bahn schon fünf verschiedene Entwürfe vorgelegt und absehbar ist: Den Vertrag werden wir in dieser Form nicht unterschreiben. Denn darin bindet der Arbeitgeber die GDL für die Zukunft hinein und beraubt sie ihrer Koalitionsfreiheit.

Zur Person

Claus Weselsky ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft deutscher Lokführer (GDL). Der gebürtige Sachse will im Mai dieses Jahres für die Nachfolge des GDL-Chefs Manfred Schell kandidieren.

Sie wollen ab Montag deutschlandweit streiken. Sind Sie sich ihrer Verantwortung für die deutsche Wirtschaft bewusst?

Ja, wir sind uns dieser Verantwortung sehr bewusst. Und es wäre uns auch nichts lieber als nach elf Monaten den Tarifkonflikt endlich beizulegen und wieder vernünftig unserer Arbeit nachzugehen. Dafür haben wir eine Tarifeinigung im Beisein des Ministers getroffen, unter der die Unterschriften von Bahnchef Hartmut Mehdorn und GDL-Chef Manfred Schells sind. Die ist auch eins zu eins im Tarifvertrag umgesetzt. Nachforderungen haben wir keine gestellt. Trotz alledem versucht dieser Arbeitgeber, ganz konkret Vorstandsvorsitzender Mehdorn, die GDL zu entmündigen, dass sie keinerlei selbstständige Handlung mehr vornehmen kann. In neu entstehenden Gesellschaften will der Arbeitgeber nachweisbar Lohndumping betreiben. Auch bei neuen Berufsbezeichnungen, also zukünftigen Lokführertätigkeiten, kann die GDL diese Mitarbeiter erst tarifieren, wenn der Arbeitgeber, die GDBA und die Transnet zustimmt.

Was muss passieren, damit der Streik abgewendet wird?

Die Bahn muss den ausgehandelten Tarifvertrag unterschreiben. Dann wird es auch nicht zu einem Streik kommen. So einfach ist das.

Mit dem Kooperationsvertrag will die Bahn das Tarifgefüge festschreiben. Hat Sie damit nicht Recht? Wo kämen wir denn hin, wenn jede Mini-Gewerkschaft ganze Konzerne lahmlegen könnte?

Gerechtfertigt ist, und dazu steht die GDL auch, dass die im Betrieb vorhandenen Gewerkschaften zusammenarbeiten und nicht unterschiedliche Tarifkonflikte entstehen wie das im vergangenen Jahr der Fall war. Die GDL hat sich zum Beispiel dazu verpflichtet, die Laufzeit ihrer Tarifverträge der der anderen Gewerkschaften anzupassen, damit wir alle zum selben Zeitpunkt in Tarifverhandlungen eintreten. Und auch in der tarifpolitischen Ausrichtung arbeiten wir gerne mit den anderen Gewerkschaften Transnet und GDBA zusammen. Aber wir sind nicht bereit, unsere tarifpolitischen Handlungsfelder einem Zustimmungsvorbehalt von GDBA und Transnet zu unterwerfen. Und genau das ist, was momentan von uns verlangt wird. Kooperation ist okay, aber laut Vertragswerk würden wir prinzipiell bei allen Verhandlungen erst die Zustimmung der anderen benötigen. Das hat nichts mehr mit Zusammenarbeit zu tun, das ist Entmündigung.

Sie haben der Bahn die Pistole auf die Brust gesetzt. Glauben Sie wirklich, dass mit dieser Dickköpfigkeit eine Lösung des Konfliktes möglich ist?

Die Dickköpfigkeit liegt nicht auf unserer Seite. Wir sind der Überzeugung, dass die Forderungen nach verbesserten Einkommen und verbesserten Arbeitszeiten gerechtfertigt waren - dabei war uns auch über viele Monate hinweg die öffentliche Meinung hold. Unsere Forderung hat sich nicht verändert. Aber wenn der Arbeitgeber sich weigert, diesen gerechtfertigten Ansprüchen nachzukommen und unseriöse Zusatzverträge nach dem Motto "Unterschreib, oder Du kriegst diesen Lokführervertrag nie", hat das mit Dickköpfigkeit nichts mehr zu tun. Da versucht doch jemand, hintenrum etwas einzusammeln, was er vorne herum im Beisein von Ministern als Tarifkompromiss deklariert hat.

Sie schießen dem Arbeitgeber vor den Bug, aber auch den Gewerkschaften. Wie kann denn so was sein?

Nein. Die GDL ist ein Tarifpartner. Die hat einen natürlichen Gegner, der heißt Arbeitgeber. Und wir werden uns eben nicht in ein Dreiecksverhältnis begeben in Zusatzverträgen, die für uns die absolute Abhängigkeit bedeuten. Vernünftige Zusammenarbeit heißt doch nicht, dass ich Vati oder Mutti fragen muss, ob ich etwas tun oder lassen darf.

Interview: Lisa Louis

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