Die von der Bundesregierung geplante Verlängerung der Ladenöffnungszeiten an Samstagen bis 20.00 Uhr bleibt zwischen Wirtschaft und Gewerkschaften umstritten. Dies wurde bei einer Expertenanhörung im Bundestag in Berlin deutlich. Bereits an diesem Freitag will die rot-grüne Koalition im Bundestag ihren Gesetzentwurf für eine längere Ladenöffnung verabschieden. In Kraft treten könnte die Neuregelung am 1. Juni. Schon im Februar stimmte der Bundesrat einem Gesetzesantrag der Länder zu, in dem festgeschrieben ist, dass sie die Öffnungszeiten in eigener Zuständigkeit regeln können.
Ver.di vs. Handel
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di lehnte längere Samstags-Öffnungszeiten oder das von der FDP geforderte völlige Fallenlassen des Ladenschlussgesetzes ab. Auf Seiten des Handels stellte sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels (BAG) hinter den Vorschlag der Regierung. Die Öffnung bis 20.00 Uhr an Samstagen fördere den "Erlebniseinkauf" für Familien und belebe die Innenstädte. Dies könne auch Impuls für eine wirtschaftliche Belebung sein. Die BAG plädiert dafür, die Öffnungszeiten nur in den City- Lagen, nicht aber für Geschäfte auf der "Grünen Wiese" - zu verlängern. Eine Prognose über zusätzliche Arbeitsplätze wollte die BAG nicht abgeben. Es sei schon viel erreicht, wenn durch die weitere Lockerung des Ladenschlusses der Stellenabbau im Handel gestoppt werde, sagte der BAG-Vertreter. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) sieht im Regierungsentwurf "einen ersten und wichtigen Schritt in Richtung vollständige Freigabe der Ladenöffnungszeiten". Der HDE tritt dafür ein, dass Geschäfte montags bis samstags rund um die Uhr nach eigenem Belieben öffnen dürfen. Eine Differenzierung zwischen City-Lagen und Grüner Wiese, wie sie von BAG und Deutschem Städtetag befürwortet werden, lehnte der Einzelhandelsverband ab.
"Reform bringt nichts"
Ver.di sieht die geplanten Neuregelungen als nicht ganz so fortschrittlich an. Mit einer Großdemonstration protestierten 20.000 Menschen gegen das Vorhaben. Nach Gewerkschaftsangaben reisten sie mit mehr als 400 Bussen und mehreren Sonderzügen aus ganz Deutschland an. Die Demonstration auf der Einkaufsmeile der Westberliner City nahe dem Traditionskaufhaus KaDeWe fiel mit einem der verkaufsoffenen Sonntage zusammen, wie sie in Berlin zu Großveranstaltungen als Ausnahme möglich sind.
Kritik an den Plänen
"Wir bleiben bei unserer deutlichen Kritik des Regierungsentwurfs", betonte eine ver.di-Vertreterin heute. Die bisherigen Erfahrungen haben nach ihren Worten gezeigt, dass weder die Umsätze gestiegen noch mehr Arbeitsplätze durch Lockerungen beim Ladenschluss entstanden sind, wohl aber die Belastungen für die Beschäftigten. ver.di-Chef Frank Bsirske warnte am Wochenende die Politik davor, die Interessen großer Handelskonzerne über die Interessen der Beschäftigten zu stellen. Anderenfalls dürfe sie sich nicht über Politikverdrossenheit und einen Verlust an Glaubwürdigkeit wundern. Der große Zuspruch sei ein «klares Zeichen» für die große Empörung, die die Bundesregierung mit ihren Ladenschluss-Plänen hervorgerufen hat, sagte Bsirske bei der Abschlusskundgebung. Längere Öffnungszeiten brächten nicht mehr Arbeitsplätze, führten aber zu einem Ladensterben in den ländlichen Regionen.
Shopping Abstecher
Die Proteste hinderten die, zum Teil von weit her angereisten, Gewerkschaftler aber nicht daran, auf dem Kurfürstendamm einkaufen zu gehen. Nach Auskunft der Gewerkschaft wird dieses Verhalten aber keine Konsequenzen haben. «Das werden die Kollegen unter sich ausmachen», sagte Einzelhandels-Tarifsekretär Rüdiger Wolff am Montag. Ver.di selbst werde nichts unternehmen. Wolff bezeichnete dies als «Einzelfälle». «Wenn einer ein Andenken aus Berlin mitbringt, kann man dies nicht als Einkaufen darstellen», sagte der Tarifsekretär. Der Geschäftsführer des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE), Hubertus Pellengahr, sprach dagegen von einer «Einkaufstour nach Berlin, die von ver.di bezahlt wurde». Die Gewerkschaft habe nicht einmal in den eigenen Reihen ausreichend Rückhalt für ihren Widerstand gegen eine Ladenschlussreform.
Kostendruck und Personalabbau
Gegen die längere Ladenöffnung demonstrierten am Samstag auch in Nürnberg rund 300 Verkäuferinnen und Verkäufer. Unter dem Motto «Wochen-ohne-Ende - Schluss jetzt!» gingen sie auf die Straße und protestierten: «Öffnungszeiten bis um Acht, na dann Gute Nacht». Auch der Vorsitzende des DGB Bayern, Fritz Schösser, sprach sich gegen eine Neuregelung aus. Der DGB- Chef betonte, den Menschen fehle derzeit nicht die Zeit zum Shoppen, sondern das Geld. Der Umsatz im Einzelhandel stagniere seit Jahren. «Daran werden auch längere Ladenöffnungszeiten nichts ändern. Im Gegenteil: Nach der Ausdehnung der Einkaufszeiten 1996 hatten Studien belegt, dass nur große Handelskonzerne und Großmärkte davon profitieren», gab Schösser zu bedenken. Für mittelständische Unternehmen erhöhe eine längere Ladenöffnung nur den Kostendruck und führe zu Personalabbau.