Nachdem sie ihr Jurastudium abgebrochen hatte, arbeitete Carly Fiorina als Sekretärin in einem Maklerbüro - und hätte wohl selbst nie geglaubt, dass sie eines Tages zur mächtigsten Frau der US-Wirtschaft werden würde. "Ich musste Besucher in Empfang nehmen, Anrufe weiterleiten, tippen", sagt sie in einem Gespräch mit dem stern. "Doch meine damaligen Chefs gaben mir eine Chance, nahmen mich mit zu Kundentreffen, arbeiteten mit mir. Sie sahen in mir mehr als eine Sekretärin." Der Eindruck war berechtigt: 1999 wurde sie Chefin des Technologie-Giganten Hewlett-Packard, einem Unternehmen, das heute rund 150.000 Mitarbeiter beschäftigt.
Das vollständige Interview
... mit Carly Fiorina lesen Sie unter dem Titel "Ich weiß, wie es da oben ist" im aktuellen stern
Meeting im Strip-Lokal
Auf dem Weg ins Topmanagement, so Fiorina, habe sie einige Grundregeln gelernt. Zum Beispiel diese: "Man ist nie so gut und nie so schlecht, wie die Leute sagen". Zu ihren Schlüsselerlebnissen gehört ein Geschäftstreffen, das sie - damals noch Mangerin des Telefonkonzerns AT&T - mit Kunden haben sollte. Ihre Kollegen wählten als Veranstaltungsort einen Strip-Club, wohlwissend, dass Fiorina dort vermutlich nicht würde auftauchen wollen. Aber sie ging hin. "Ich trug meine Aktentasche wie einen Schutzschild vor mir her und muss absolut lächerlich ausgesehen haben. Doch ich war da, gab mich entspannt und versuchte zu zeigen, dass ich Ahnung vom Geschäft hatte. Also ich dann ins Brüo zurückkam, waren die Dinge anders. Ich hatte Respekt erworben."
Fiorinas Buch
... trägt den Titel "Mit harten Bandagen" und ist in Deutschland bei Campus erschienen.
Obgleich ihre fachlichen Kompetenzen kaum zu bestreiten waren, hatte Fiorina kein einfaches Leben auf der Chefetage - Frau zu sein, hieß auch für sie, immer wieder auf ihr Äußerliches reduziert zu werden. Sie sei in Interviews, auch von Wirtschaftsmagazinen, immer wieder ihre Kleidung, ihre Schuhe und ihre Frisur angesprochen worden, so Fiorina zum stern. Ihren männlichen Kollegen sei das nicht passiert: "Wenn eines Tages so viel über die Haare des Immobilientycoons Donald Trump berichtet würde wie über meine, dann wären wir doch ein ganzes Stück weiter. Denn die Wahrheit ist doch: Donald Trumps Frisur ist komplizierter als meine, und wahrscheinlich wendet er mehr Zeit für seine Haarpflege auf als ich."
Aktienkurs von HP gesunken
Während ihrer Amtszeit bei Hewlett Packard (HP) setzte Fiorina den Kauf der Computerfirma Compaq durch und entließ, um aus dem Minus herauszukommen, 36.000 Mitarbeiter. 2005 jedoch musste sie selbst gehen: Ihre Kritiker warfen ihr vor, sich mehr um Visionen als um den Profit zu kümmern, der Aktienkurs von HP war unter ihrer Führung gesunken. Im stern-Gespräch wehrt sich Fiorina gegen die damaligen Vorwürfe: "Führungsstärke hat mit Veränderungen zu tun. Man muss Chancen ergreifen. Das habe ich getan. Richtig ist: Im jahr 2002 machten wir ein Minus von 928 Millionen Dollar. Als ich ging, hatte HP gerade einen Nettogewinn von 3,5 Milliarden Dollar erzielt."
Über ihre Zeit im Topmanagement hat Fiorina ein Buch geschrieben, das nun auch auf Deutsch herausgekommen ist: "Mit harten Bandagen" (Campus). Es ist so etwas wie eine persönliche Abrechnung mit der Männer-Kultur der Wirtschaftselite und ihrem ehemaligen Arbeitgeber. Finanzielle Gründe können Fiorina, die zum zweiten Mal verheiratet ist, nicht getrieben haben: Von HP hatte sie eine Abfindung von 21 Millionen Dollar plus Aktienoptionen erhalten. "Heute bin ich finanziell unabhängiger, als ich es es mir je hätte träumen lassen. Und ich weiß, wie es da oben ist. Ich verstehe nun die möglichen Konsequenzen meiner Entscheidungen", sagt Carly Fiorina. "Und deswegen fühle ich mich auch nicht als Opfer. Diese Karriere war meine Wahl."