GESPERRT Pin Blendende Gesellschaft

Die Geschichte des Postzustellers Pin wird zur bizarren Wirtschaftsklamotte. Es treten auf: abgebrühte Manager, frustrierte Geldgeber und bezahlte Gewerkschafter. Ein Fall für den Staatsanwalt.

Als der Rentner Arno Doll am 8. Oktober 2007 nach Berlin reist, um Chef einer neuen Postgewerkschaft zu werden, hat er von dem Geschäft nicht mehr Ahnung als jeder andere, der morgens seinen Briefträger grüßt. Doch Erfahrungen im Arbeitskampf sind für Dolls Mission auch nicht erwünscht. Eine ausgesuchte Schar getreuer Angestellter des privaten Briefdienstes Pin steht in den Geschäftsräumen Spalier, um den 67-jährigen ehemaligen Tengelmann-Manager bei seiner Aufgabe zu unterstützen. Und auch ein druckfrisches Exemplar der Satzung der neuen Organisation liegt auf dem Tisch: Ihr fehlt so einiges, was einen Arbeitnehmerverband ausmacht - etwa Regeln für den Fall eines Streiks. Doll muss sich um nichts kümmern, als er an jenem Montag zum Vorsitzenden der Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ) bestimmt wird.

Heute weiß man, dass die GNBZ weniger den Werktätigen als den Arbeitgebern dienen sollte: In diesem März flog auf, dass die eigentümliche Truppe in Wirklichkeit vom Management des Briefzustellers Pin organisiert und von dem Unternehmen auf Umwegen finanziert wurde. Für die frühere Pin-Führungsriege sowie GNBZ-Chef Doll kann die Sache unangenehme Folgen haben: Die Generalstaatsanwaltschaft in Köln hat Anfang dieser Woche ein Verfahren angestoßen: Die Staatsanwaltschaft muss nun ermitteln. Es geht um den Verdacht der Untreue. Die einstige Pin-Führung war für den stern nicht zu erreichen.

Auch für das Zeitungshaus Axel Springer ("Bild", "Welt") und dessen Chef Mathias Döpfner ist die Causa Pin heikel. Der private Postdienst gehörte einer Reihe von Verlagen, Springer war mit rund 70 Prozent der Anteile der Haupteigentümer. Die Finanzierung der GNBZ mag Döpfner nicht unterstützt haben; über die Modalitäten bei der Gewerkschaftsgründung wusste er jedoch Bescheid (stern Nr. 16/ 2008; "Springers grüne Hölle").

Springer verlor durch das Postgeschäft rund 600 Millionen Euro

Die Pin-Gruppe ist heute größtenteils pleite. Mehr als 5000 Menschen büßten ihren Job ein; Springer verlor bei dem Ausflug ins Postgeschäft rund 600 Millionen Euro. Dem Desaster voraus ging eine Auseinandersetzung um Mindestlöhne. Als sich im Dezember 2007 schließlich abzeichnete, dass das Arbeitsministerium Basislöhne von bis zu 9,80 Euro in der Branche festlegen würde, hielt Springer das für nicht finanzierbar und gab Pin auf.

Wie die Geschichte wirklich war, kommt jetzt langsam heraus: Es war weniger der Mindestlohn, es waren vor allem hausgemachte Gründe, die zum Scheitern des Postprojektes führten. Das zeigen interne Papiere der Pin. Zudem liegen dem stern Unterlagen aus der Pin-Insolvenz vor, die neue Details zur heimlichen Gründung und Alimentierung der Marionettengewerkschaft liefern. Die Kosten für die anrüchige Aktion beliefen sich danach auf über 150.000 Euro.

Die Ermittlungen, die nun die Generalstaatsanwaltschaft anordnete, sind bereits der zweite Anlauf, die Usancen bei Pin und GNBZ juristisch zu klären. In einem ersten Verfahren mochte die Kölner Staatsanwaltschaft Anfang April 2008 zunächst nichts Unrechtes feststellen. Die Einstellung kam für Juristen damals überraschend, zumal in einem vergleichbar gelagerten Fall beim Siemens- Konzern, der die Arbeitnehmerorganisation AUB finanziert hatte, seit mehr als einem Jahr Nürnberger Staatsanwälte ermitteln. Ein Beschuldigter sitzt dort in Untersuchungshaft; die Anklageschrift liegt vor. Sollte sich die Welt in Köln anders drehen als in Bayern? Sollte es tatsächlich möglich sein, dass Arbeitgeber sich eine willfährige Hausgewerkschaft schaffen können, ohne dabei gegen das Gesetz zu verstoßen? Diese Vorstellung alarmiert auch die etablierten Gewerkschaften, die fürchten müssen, das Beispiel GNBZ könnte Schule machen. Verdi stellte Strafanzeige gegen Pin- und GNBZ-Verantwortliche.

Umstrittener Mindestlohn

Wer die vierseitige Begründung liest, mit der die Kölner Staatsanwaltschaft die Pin-Affäre zunächst beiseitewischte, der bekommt eine Ahnung davon, wie Rechtsgefühl und Rechtsfindung voneinander abweichen können. Den Verdacht der Bestechung von Gewerkschaftern durch Pin mochten die Ermittler ausgerechnet deshalb nicht erkennen, weil Arbeitgeber und Gewerkschaft in diesem Fall "demselben ‚Lager‘ zuzurechnen sind". Den Verdacht der Untreue, der sich ergibt, wenn Firmenvermögen zweckentfremdet eingesetzt wird, ließ die Staatsanwaltschaft nicht gelten, weil die Finanzierung der GNBZ "zur Förderung der Interessen der Unternehmen" veranlasst worden sei. Mit anderen Worten: Das Geld schien der Staatsanwaltschaft aus Sicht von Pin gut angelegt.

Die Gründung der Gewerkschaft durch Pin war damals der Versuch, die Macht von Verdi bei Verhandlungen über den Mindestlohn in der Postbranche zu brechen. Ein eigener, niedrigerer GNBZ-Tarif sollte der branchenweiten Regelung zuvorkommen. Tatsächlich ist der Mindestlohn, der vor allem dem Ex-Monopolisten Deutsche Post hilft, umstritten. In einem ersten Urteil befand das Berliner Verwaltungsgericht die Verordnung des Bundesarbeitsministeriums, die den Tarif als allgemeinverbindlich festschreibt, für rechtswidrig. Der Fall durchläuft nun die Instanzen.

Eine Schlüsse lfigur in der GNBZ-Affäre ist ein Kölner Rechtsanwalt namens Horst Schäfer. Er war Pin sowie dessen Gründer und damaligem Chef Günter Thiel schon vielfach zu Diensten. Im Herbst 2007 erhält Schäfer von Thiel den Auftrag, eine Gewerkschaft wie aus einem Baukasten zusammenzusetzen. Thiel räumt die Zahlungen an die GNBZ ein. "Es sind weder Betriebsräte bestochen worden, noch gab es Vorgaben an die Gewerkschaft", sagte er in einem Interview.

Fehlende Stellungnahmen

Schäfer ist es, der Doll als GNBZ-Boss anwirbt und der die Gründungszeremonie monie der Gewerkschaft in Berlin organisiert. Rechtliche Hindernisse sieht er dabei nicht, wohl aber "Probleme hinsichtlich der Öffentlichkeitswirkung". So steht es in einem Protokoll über ein Gespräch, das Pin-Insolvenzverwalter im März mit Schäfer führten. Schäfer selbst war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Glaubt man den Ausführungen, so wird Schäfer damals von einem Arbeitsrechtler unterstützt, der sonst eher die Arbeitgeber vertritt: Rechtsanwalt Frank-Peter R. aus einer renommierten Münchner Kanzlei. Sie ist regelmäßig für den Springer-Konzern im Einsatz. Diesmal erklärt Jurist R. dem Pin-Management, wie eine Gewerkschaft aufgebaut sein muss. Das belegt EMail- Verkehr von Ende September 2007.

Springer-Chef Mathias Döpfner wird spätestens Anfang Oktober über den Stand der Gewerkschaftsgründung informiert. Auch das belegen E-Mails. Als der stern Döpfner Anfang April dieses Jahres damit konfrontiert, gab der Verlag noch an, der Vorstand habe von "Einzelheiten" der Gewerkschaftsgründung nichts gewusst. Auf der Hauptversammlung der Springer-Aktionäre drei Wochen später klang das weniger definitiv: Es sei "verschiedentlich im Vorstand über den Stand der Gründung informiert" worden, sagte Döpfner dort.

Die Gewerkschaft kostete 150.000 Euro

An der Finanzierung der Gewerkschaft, so erklärte er, sei der Springer-Vorstand unbeteiligt gewesen: "Der Vorstand der Axel Springer AG hat die GNBZ niemals finanziell unterstützt oder eine finanzielle Unterstützung gebilligt oder irgendwelche Versuche unternommen, die Willensbildung der Gewerkschaft zu beeinflussen."

Die Pin-Gruppe hat exakt 150.558,45 Euro in die Gewerkschaft gesteckt. Das belegen Schreiben, mit denen Anwalt Schäfer seine Auslagen und Honorare in Rechnung stellte. Zwei Rechnungen stammen vom 5. Dezember 2007, eine trägt das Datum vom 7. Dezember. Alle führen als Rechnungsgrund "PIN Group AG wg. Gewerkschaft" auf. Gut 133.000 Euro hatte Schäfer für die Büroausstattung der GNBZ sowie das Gehalt des Vorsitzenden Doll verauslagt, offenbar um zu kaschieren, von wem das Geld stammte. Bei der GNBZ sind die Einnahmen als Spenden deklariert. Auch heute ist noch nicht ganz klar, wie viel Geld Doll selbst bekam: Schäfer bezifferte die Summe auf über 25.000 Euro im Monat. Der gibt an, sein Monatsgehalt belaufe sich auf 3500 Euro; von dem Financier im Hintergrund habe er nichts gewusst; den GNBZ-Etat habe er stets satzungsgemäß verwendet.

Die Rechnungen sind an den damaligen Pin-Finanzvorstand Julian Deutz adressiert, einen Vertrauten von Springer-Chef Döpfner, der heute weiter im Verlag arbeitet. Im Begleittext klärt Schäfer über seine Tätigkeiten auf: "Satzung, Aufnahmeantrag, … Gründung der Gewerkschaft". Springer will dies nicht kommentieren.

Am 10. Dezember, kurz bevor Springer bei Pin den Geldhahn zudreht, werden die Rechnungen bezahlt. Es sei alles korrekt verbucht worden, sagt Pin-Gründer Thiel. Springer-Chef Döpfner sagt, er habe sich "weder moralisch noch rechtlich etwas vorzuwerfen".

Rote Zahlen

Der staatliche Mindestlohn dient dem Springer-Konzern bis heute als Erklärung für das Pleite-Engagement bei Pin. Eigene Fehler weist Döpfner von sich. "Wir sind unternehmerisch rehabilitiert", sagte er jüngst der "FAZ". Was der Springer-Vorstand gern verschweigt: Pin geriet auch ohne Mindestlohn in die Bredouille.

Wie schlecht es um das Geschäft von Pin stand, erfahren die Anteilseigner bereits auf einer Sitzung des Verwaltungsrats am 10. September 2007 im Domizil des damaligen Pin-Chefs und Selfmade-Multimillionärs Günter Thiel, 55, in der Schweiz. Die Atmosphäre ist von gehobener Noblesse, Thiels "Château Solveig" ist eine Villa in bester Lage am Genfer See. Erben eines Ölmagnaten haben hier in den 20er Jahren residiert; heute kreisen manchmal Fotografen im Helikopter über dem Grundstück. Nebenan wohnt Michael Schumacher.

Erst im Sommer 2007 hatte Springer Pin-Gründer Thiel für ungefähr 160 Millionen Euro einen Anteil an dem Unternehmen abgekauft; Medienhäusern wie Holtzbrinck oder der WAZ-Gruppe, die ebenfalls an Pin beteiligt waren, zahlte das Zeitungshaus ähnlich hohe Summen, um fortan der alten Post Konkurrenz zu machen. Doch den Springer-Delegierten vergeht auf Château Solveig schnell die Champagnerlaune. Statt eines überschaubaren Fehlbetrags, den das Management bis dato eingeplant hatte, droht die Firmengruppe tief in die roten Zahlen zu rutschen. Das Geschäft mit Großkunden läuft schleppend. Nun rächt sich außerdem, dass Thiel regionale Postfirmen ohne Rücksicht auf Verluste zusammengekauft hatte. Aus dem Springer-Vorstand ist Rudolf Knepper am Genfer See, er zeigt sich wenig amüsiert: "Herr Knepper bittet darum, weitere Akquisitionen unbedingt kritisch zu prüfen", heißt es im Sitzungsprotokoll.

"Selbstverständlich gab es hier und da vor Ort auch Managementprobleme"

Acht Wochen später, am 12. November 2007, kommen Pin-Eigner und Management erneut zusammen, diesmal im luxemburgischen Leudelingen. Die Lage der Firma ist mittlerweile dramatisch: die Qualität der Briefauslieferung mau; der Vertrieb eine einzige "Großbaustelle", wie ein Pin-Manager berichtet. Pin-Finanzchef Deutz, der Springer-Abgesandte in der Brieffirma, rechnet den Finanzbedarf bis zum Jahresende 2008 vor: Inklusive Umschuldungen und Ablösezahlungen an kleinere Gesellschafter fehlen Pin rund 320 Millionen Euro - ohne Mindestlohn. Das Gros der Summe müsse von den Pin-Eigentümern getragen werden.

Für Springer-Mann Knepper droht das Engagement zu diesem Zeitpunkt völlig aus dem Ruder zu laufen: "Herr Knepper weist darauf hin", notiert die Protokollführerin, dass Springer "nicht gewillt ist, 220 Mio. Euro zu finanzieren." Springer hat sich offenbar verkalkuliert, das wird in Luxemburg deutlich. Gespräche mit dem Konkurrenten TNT aus Holland laufen bereits, um Teile von Pin wieder zu verkaufen. Das Protokoll der Sitzung hält dazu fest: "Herr Knepper" trifft "die Aussage, dass AS (Axel Springer, d. Red.) gegebenenfalls bereit wäre, die Mehrheit abzugeben". Nur vier Monate nachdem Springer die Kontrolle bei Pin übernahm, will das Zeitungshaus offensichtlich nur noch eins: raus.

Die Öffentlichkeit erfährt davon nichts. "Selbstverständlich gab es hier und da vor Ort auch Managementprobleme", räumte Döpfner im April gegenüber den Springer- Aktionären ein. Pin sei ein "Start up" gewesen, ein "im Aufbau befindliches, rasant wachsendes Geschäft"

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