Autofahrer kommen hier schon lange nicht mehr durch. Fahrradfahrer auch nicht. Auf den Gehwegen, den Bordsteinen und sogar direkt auf der Fahrbahn hocken, stehen, tanzen Jugendliche umringt von ausgetrunken Bierflaschen. Es sind nicht ein paar, sondern hunderte junger Menschen, die sich an einer Straßenecke in Hamburg vor allem an den Wochenenden treffen. Einen direkten Anziehungspunkt gibt es nicht. Die Dichte der Kioske lockt die Feierwütigen aus den Bars auf die Straße. Cornern nennt sich dieser Trend, der die Gemüter erhitzt.
Der Party-Stadtteil St. Pauli in Hamburg muss eine Menge aushalten. Junggesellen aus Großbritannien, Amateur-Fußballteams aus den Vororten oder die Mädelstruppe aus der Provinz: Sie alle kommen her, um mächtig auf die Pauke zu hauen. Ganz zur Freude der ortsansässigen Gastronomie. Doch abseits der ausgetretenen Touristenpfade sammelt sich eine andere Zielgruppe. Und das mitten auf der Straße: Cornern (aus dem Englischen für Corner, also Ecke) verlegt die Bar auf die Straße. Und bringt ein bisschen Urlaubsstimmung in die Hansestadt. Zwischen dem hippen Stadtteil Schanze und der Feierhochburg St. Pauli verwandelt sich eine Kreuzung im Wohngebiet zu einem Treffpunkt, der an mediterrane Plätze in Spanien oder Südfrankreich erinnert. Getränke-Nachschub gibt es in den unzähligen Kiosken, die diesen Trend früh gewittert haben. Ein Bier ab einen Euro, ein Piccolo Prosecco für rund zwei Euro - die Preise sind eine Kampfansage für die Gastronomie. Aber auch für die Anwohner.
Kioske fürchten Alkohlverbot
Und auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund reagiert nun auf diese Entwicklung, die in ganz Deutschland Jugendliche an Straßenecke zieht. "Sachbeschädigungen, Belästigungen und Gewalt anlässlich exzessiver Alkoholgenüsse werden seltener, wenn Alkoholverbote ausgesprochen werden können", sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Gerd Landsberg. In Baden-Württemberg gibt es bereits ein Verkaufsverbot für Alkohol in Supermärkten, Tankstellen und Kiosken ab 22 Uhr - offenbar will der Verband dieses Verbot gerne auf ganz Deutschland ausweiten.
Von "Botellón" zum Cornern
Der Trend des Cornern ist dabei nicht mal neu. Schon seit den 1990er Jahren trafen sich spanische Jugendliche auf öffentlichen Plätzen. "Botellón", übersetzt "große Flasche" nannte sich das kollektive Besäufnis. Vor allem im Süden des Landes, wo es das ganze Jahr über warm genug ist, sammelten sich vor allem an den Wochenenden Trinkwütige. 2006 wurde "el Botellón" in Andalusien verboten. Anders konnte die Politik die Trinkgelage nicht eindämmen.
Diese Entwicklung fürchten auch die heimischen Kiosk-Betreiber. Ein Verkaufsverbot würde wohl das Cornern einschränken, aber auch die Gewinne der Kioske schmälern. "So ein Irrsinn! Dann können sie den Kiez doch gleich dicht machen", sagt eine Kiosk-Betreiberin dem Blog "St.Pauli-News.de". "Die Leute kommen doch nach St. Pauli, weil sie hier abends ihr Bier trinken wollen."
Politik, Kiosk-Betreiber und Anwohner im Dialog
Denn auch auf St. Pauli stehen Verkaufsverbote zur Diskussion. Die Zechtour auf der Straße findet nicht nur Freunde: Bis spät in die Nacht sind Anwohner vom Krach gestresst, Müllberge stapeln sich auf der Straße, in Hauseingängen stauen sich Urin-Seen. Inzwischen treffen sich Behördenvertreter, Kiosk-Betreiber und Anwohner regelmäßig, um eine Lösung zu finden. Während die Politik sich für klare Verbote erwärmen kann, hoffen die inzwischen zahlreichen Kioske auf lockere Regelungen, um weiterhin vom Trend zu profitieren. Die Anwohner sind gespalten: Auf der einen Seite sind die Exzessen auf der Straße anstrengend, doch ein Verkaufsverbot von Alkohol würde auch sie einschränken.
Erfreulich - zumindest für die Anwohner: Spätestens mit den bald wieder kühleren Temperaturen wird das Cornern wieder zurückgehen. Zumindest bis zum kommenden Frühjahr.