Vor nicht allzu langer Zeit wurde Deutschland als "kranker Mann Europas" bezeichnet. Jetzt hat es das Bild hinter sich gelassen und steuert auf nennenswertes Wachstum zu. Schon fürchten die Nachbarländer den Konkurrenten. Die neugewonnene Stärke der hiesigen Wirtschaft bereitet Sorge. Die deutsche Konjunktur erlebe ein überraschendes Comeback, heißt es an den großen Finanzplätzen in London und Paris. "Deutschland gilt neuerdings wieder als ernst zunehmender Konkurrent, den man fürchten muss", sagt der Europa-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer in London. "Da ist eine neue Neid-Debatte entstanden - die Nachbarn sind wütend auf den Streber Deutschland."
So wirft das Pariser Konjunkturforschungsinstituts OFCE in einer Studie Deutschland vor, sich auf Kosten der Nachbarländer zu sanieren. Die deutschen Reformen hätten bereits in den vergangenen Jahren gemeinsam mit der Lohnzurückhaltung das französische Wachstum gedämpft. Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer im nächsten Jahr werde sich die Lage weiter verschlimmern. "Diese unkooperative Politik wird der wichtigste Grund dafür sein, dass sich das Wachstum in Frankreich im nächsten Jahr verlangsamt", heißt es in der Studie. Manche Ökonomen sprechen bereits vom deutschen Merkantilismus - bei dieser Strategie schützt der Staat die heimischen Unternehmen mit Zöllen.
Mehrwertsteuererhöhung wirkt wie ein Zoll
Seit der Euro-Einführung leiden Länder wie Italien unter einem Wettbewerbsnachteil: In den 90er Jahren konnten die Italiener die Abwertung ihrer Währung gegenüber der D-Mark einsetzen, um über billigere Produkte den deutschen Firmen Marktanteile auf den Exportmärkten abzunehmen. Darunter litt vor allem der deutsche Maschinenbau. Feste Wechselkurse verhindern seitdem Auf- und Abwertungen - allerdings nicht reale Schwankungen. "Seit der Euro- Einführung ist die Inflation in den anderen Ländern stärker gestiegen als in Deutschland - damit ist der Preis für eine deutsche Maschine nicht so stark geklettert wie der für eine italienische Maschine", sagt Andreas Scheuerle von der DekaBank.
Die hochschwappenden Emotionen halten Ökonomen jedoch für übertrieben. "Deutschland wird im Ausland viel zu positiv gesehen", sagt der Chefvolkswirt der Bank of America, Holger Schmieding - immerhin habe Deutschland gerade erst zum europäischen Mittelmaß wieder aufgeschlossen. "Die Ängste sind letztlich unbegründet." Nur ein starkes Deutschland ziehe auch die anderen europäischen Länder mit.
Sicher ist, dass die geplante Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007 von 16 auf 19 Prozent beim Außenhandel wie ein Zoll wirkt: Die Importe der ausländischen Firmen werden teurer, während die deutschen Unternehmer ins Ausland weiter unbelastet exportieren können. Da die Steuereinnahmen teilweise in die Senkung der Lohnnebenkosten einfließen, werden die deutschen Firmen noch wettbewerbsfähiger.
"Deutschland ist Gewinner des Euro"
"Mit der Steuererhöhung nähern wir uns aber erst dem europäischen Schnitt an", sagt Volkswirt Christoph Schröder vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Zudem werde im Ausland schlichtweg übersehen, dass die deutsche Konjunktur seit der Wiedervereinigung weiter an strukturellen Problemen leide wie hohe Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und dringend notwendigen Reformen im Gesundheits- und Steuerwesen. "Mit den Reformen hat Deutschland einfach nur versucht, verlorenen Boden wieder gut zu machen."
Laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) sind die Lohnstückkosten - die als Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes gelten - in Deutschland zwischen 2000 und 2005 um 0,5 Prozent gesunken, während sie in Frankreich um 1,7 und in Italien um 4,4 Prozent stiegen. Einen Wermutstropfen gibt es aber: Deutschland steht bei den absoluten Zahlen immer noch an der Spitze in Europa. "Insgesamt ist Deutschland der Gewinner des Euro", schreibt die Commerzbank. "Andere Länder wie Italien und Portugal - längerfristig auch Spanien - drohen wegen des starken Anstiegs der Lohnstückkosten dagegen dauerhaft an Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum zu verlieren."