Lufthansa-Streik Über einen Streik, der niemanden stört

Von Tonio Postel, Hamburg
Auch am zweiten Tag des unbefristeten Streiks bei der Lufthansa sind die Auswirkungen für die Fluggäste überschaubar. Zwar wurden deutschlandweit 70 von 1900 Flügen gestrichen, ein Chaos konnte aber verhindert werden. stern.de hat sich am Hamburger Flughafen umgeschaut - und in entspannte Gesichter geblickt.

Die Schalterhalle von Terminal zwei am Hamburger Flughafen ist lichtdurchflutet. Die Sonne findet ihren Weg durch die aufwändige Dachkonstruktion und wirft unterschiedlich große Quadrate und Figuren auf die lachsfarbenen Steinplatten.

4000 Mitarbeiter im Streik

Solche Beobachtungen im Hamburger Flughafen sind am zweiten Tag des von der Dienstleistungs-Gewerkschaft Verdi initiierten Streiks nicht ungewöhnlich. Denn in der freundlichen und nicht sonderlich vollen Halle herrscht alles andere als hektische Betriebsamkeit, Chaos oder Ärger. Die Leute blicken entspannt, sitzen gelassen auf den lederbezogenen Sesseln am Rand oder warten geduldig vor den Eincheck-Automaten. Alles wie immer also.

Dabei sind immerhin 70 von 1900 Lufthansa-Flügen in Deutschland und Europa, das sind drei Prozent, ausgefallen; sie mussten umgebucht oder zusammengelegt werden, sagte ein Lufthansa-Sprecher. Auch die kostenlose Umschreibung von Flug- auf Bahntickets wurde angeboten.

"Mitleid hält sich in Grenzen"

Und das, weil sich bei einer Verdi-Urabstimmung 90 Prozent für einen Streik ausgesprochen hatten. Seither sind seit Montag 4000 Mitarbeiter der Lufthansa im Ausstand, vor allem das Bodenpersonal: Also Techniker, Beschäftigte bei der Fracht oder der Verpflegung. Verdi fordert für die rund 52.000 Beschäftigten bei Deutschlands größter Fluggesellschaft 9,8 Prozent mehr Lohn für zwölf Monate. Die Lufthansa bietet 6,7 Prozent mehr Gehalt sowie eine Einmalzahlung an, allerdings verteilt auf 21 Monate.

Vom Streik betroffen sind in Hamburg offenbar nur wenige Passagiere. Aber es gibt sie, man muss nur etwas nach ihnen suchen. Eike Doege aus Neumünster zum Beispiel. Die Tochter einer Freundin ist gerade in eine Maschine nach Frankfurt gestiegen, ihr Ziel: Chicago, Amerika. "Sie musste zwei Stunden früher fliegen, weil ein Flug ausgefallen ist." Insgesamt sei die Tochter streikbedingt drei Stunden länger unterwegs, doch das "Mitleid hält sich in Grenzen".

Doege glaubt, dass das Lufthansa-Angebot durchaus "eine Verhandlungsbasis" darstelle und sich die Gewerkschaft bloß "zu profilieren" versuche: "Wer kriegt denn heute noch 9, 8 Prozent?" Bedauerlich finde sie auch, "dass das in der Haupturlaubszeit passiert", sagt Doege. "Da hat man kostbare 14 Tage im Jahr und dann das." Ihre Freundin flachst, dass der Streik sogar Auswirkungen auf ihren Geldbeutel haben könnte: "Da wird deren Lohn noch von der Dividende meiner Lufthansa-Aktien abgeknapst."

Andere wiederum sind deutlich gelassener: Marianne Winther, eine Dänin aus der Stadt Kolding, ihr Mann und die vier Kinder wollen gleich nach Zypern abheben. Vom Streik haben sie weder gehört noch gesehen und Beeinträchtigungen wären für sie besonders ärgerlich, weil sie ihren Flug schon am Sonntag verpasst hatten. Generell zeigt sie Verständnis für die Streikenden, auch wenn lange Wartezeiten vielleicht den Erwachsenen, nicht aber den Kindern vermittelbar wären. "Das wäre schon ein Problem, aber was können die Arbeiter sonst tun?" Erst im Mai sei sie von einem landesweiten Streik in Dänemark betroffen gewesen, damals waren Krankenhäuser und Kindergärten geschlossen geblieben. "Ich musste zwei Wochen Urlaub nehmen und zu Hause bleiben, das war hart!"

Fröhliche Streikbrecher

Beim Lufthansa-Bodenpersonal gibt es aber auch "Streikbrecher", die Dienst nach Vorschrift schieben. Birgit Möller plagt deshalb kein schlechtes Gewissen. "Ich streike nicht, weil ich dann kein Geld verdiene", sagt die zweifache Mutter, die seit 30 Jahren für den Konzern arbeitet. Doch sie gibt zu, deshalb "hin und her gerissen" zu sein. Die Kollegen aus der Werft würden schließlich ständig zur Solidarität aufrufen, Informationen über Beteiligungen und Abläufe versenden. "Aber die Kollegen sagen auch nichts, wenn man nicht streikt." Heute sei man also insgesamt " etwas knapp besetzt", aber da habe sie schon Schlimmeres erlebt: "Bei Nebel oder starkem Regen war hier mehr los."

Auch am Lufthansa-Schalter ist die Stimmung bestens: Einige fröhliche Damen stecken die Köpfe zusammen, nichts deutet auf einen Arbeitskampf hin. Wegen des Ausstandes seien einfach drei Angestellte aus der Verwaltung eines Lufthansa-Stadtbüros abgezogen worden, die heute hier ihren Dienst verrichten. Auch sie ohne ein erkennbares schlechtes Gewissen.

Schuldzuweisungen auf beiden Seiten

Unterdessen sprach Verdi- Hamburg- Landeschef Wolfgang Rose am Vormittag zu den Streikenden vor der Lufthansawerft. Er dementierte in den Medien verbreitete Vorwürfe einer zu geringen Streikwirkung. "Ein Streik kann erst ab dem zweiten Tag wirken und wächst dann von Streiktag zu Streiktag." Bereits Streikbruch-Aktionen der Lufthansa hätten "viele Millionen" gekostet. "Der Vorstand wäre gut beraten, schnell ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen und diese Millionen für die Löhne der Kollegen zu verwenden." Nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer forderte Rose auf, "nicht auf der Zuschauerbank zu sitzen, das Spiel abzuwarten und hinterher über das Ergebnis zu meckern."

In den letzten Tagen seien "mehrere hundert" Beschäftigte in die Gewerkschaft eingetreten. "Wir sind noch steigerungsfähig", sagte Rose, "wenn der Vorstand Schaden vom Unternehmen abwenden will, dann muss er jetzt einlenken." Lufthansa-Sprecher Peter Schneckenleitner hingegen betrachtet den Streik als "unverhältnismäßig". Die Probleme würden "nicht an der Dialog-Bereitschaft der Lufthansa" scheiterten, sagte er. "Wir wollen ja verhandeln!" Nach seiner Rechnung bekämen die Angestellten ab dem ersten September 2009 sogar 7, 7 Prozent mehr Lohn, die Einmalzahlung eingerechnet.

Solch eine rege Debatte wünscht man sich auch hier, auf dem Sonnendeck im ersten Stock von Terminal 2. Anstatt dessen schwenken in der Schalterhalle nur die Kameras der Sendeanstalten über die Schattenspiele hinweg ins Leere.