Merkel in China Der Jammerkatalog der Wirtschaft

Worüber deutsche Unternehmer klagen: Auszüge aus dem vertraulichen Papier von Kanzlerin Angela Merkel für ihr Gespräch mit der chinesischen Führung.

Vor dem China-Besuch von Angela Merkel hat der einflussreiche Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft unter Führung des Siemens-Aufsichtsrats-Vorsitzenden Heinrich von Pierer der Kanzlerin aufgeschrieben, was sie bei ihren Gesprächen mit der chinesischen Führung vortragen soll. Die 15 Punkte umfassende Liste, die dem stern vorliegt, liest sich wie ein Klagelied. Trotz der mehr als acht Milliarden Euro, die rund 2000 deutsche Unternehmen in der Volksrepublik investiert haben, ist die Euphorie der vergangenen Jahre verflogen. stern.de veröffentlicht Auszüge.

1. Technologietransfer

Deutsche Unternehmen leiden verstärkt unter dem Druck der chinesischen Regierung zum Technologietransfer. Im Kern geht es dabei um Fälle, bei denen die chinesische Regierung durch Auflagen und Gesetze - aber auch ungeschriebene Regelungen - ausländische Unternehmen zur Preisgabe von Wissen zwingt. So sind in einigen Branchen, z. B. der Automobilbranche, ausländische Unternehmen gezwungen, Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischen Unternehmen einzugehen.

Um sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen zu können, müssen ausländische Unternehmen einen extrem hohen Grad an lokaler Fertigung - teilweise bis zu 80 Prozent - zusichern. Leistungen durch deutsche Tochterunternehmen in China werden häufig nicht als lokale Fertigung anerkannt, wodurch ein weit reichender Technologietransfer an chinesische Unternehmen erzwungen wird. Für viele Projekte wird für das 'detailed engineering' eine weit reichende technologische Zusammenarbeit mit chinesischen Design-Instituten eingefordert. Zusätzlich zur üblichen Überstellung von detaillierten technischen Dokumentationen wird hier die Ausbildung chinesischer Fachkräfte forciert mit dem Ziel, künftig in Eigenregie weiterentwickeln zu können.

Die Verbindung von Technologietransfer mit dem Aufbau einer schlagkräftigen eigenen Forschung kann schneller als gedacht dazu führen, dass China künftig selber zum Technologieführer aufsteigt. Ehemalige chinesische Partner deutscher Firmen treten bereits heute innerhalb Chinas und auf Drittmärkten als Wettbewerber auf. (...)

2. Geistiges Eigentum

China gilt nach wie vor in allen Branchen als das Hauptproblemland bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte. Deutsche Unternehmen leiden in China unter Umsatzeinbußen, weil Kopien ihrer Produkte im chinesischen Markt angeboten werden. Sie leiden unter Image-Einbußen, weil Kopien geringerer Qualität unter ihrem Markennamen vertrieben werden. In einigen Fällen ist durch mangelhafte Kopien die Sicherheit der Konsumenten akut gefährdet, etwa durch kopierte Automobilteile oder Medikamente. Die gesetzlich vorgesehenen Strafen für Produktund Markenpiraterie haben keine ausreichend abschreckende Wirkung. Außer der Beschlagnahmung von Plagiaten werden die verantwortlich Handelnden regelmäßig nicht effektiv zur Rechenschaft gezogen. Auf regionaler Ebene verhindert Protektionismus die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte.

Das Vorgehen gegen Produktpiraten in China ist darüber hinaus für den Originalhersteller eine kostspielige Angelegenheit.

3. Rohstoffe

Exportrestriktionen wie vorübergehende Exportverbote sind in der WTO nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt (z. B. für Nahrungsmittel in Notsituationen). China hat seine Exportrestriktionen in den vergangenen Jahrzehnten drastisch reduziert.

Gerade im Bereich der Rohstoffe ist jedoch ein beachtlicher Anstieg von Exporthemmnissen zu beobachten. So ist der Export von Koks nur mit Exportlizenzen möglich, die im Rahmen jährlich festgelegter Höchstmengen erteilt werden und zeitweise nur gegen hohes Entgelt von den Lizenzinhabern zur Verfügung gestellt wurden. (....)

Chinesische Importeure von Rohstoffen werden derzeit über eine Rückerstattung der Einfuhrumsatzsteuer begünstigt. Die Rückerstattung gilt nur für Vorstoffe und Schrotte, nicht für Metall. Diese Politik führt dazu, dass Chinesen für Rohstoffe höhere Preise am Weltmarkt zahlen können und Rohstoffströme nach China gelenkt werden. (...)

4. Technische Marktzugangsbarrieren

(...) Bei Genehmigungsverfahren für technische Produkte noch vor der Zertifizierung weicht China oft von international üblichen Normen ab. Dies macht spezielle Produktanpassungen oder Zusatzprüfungen nötig. Während chinesische Firmen überwiegend mit lokalen Prüfungen europäische Zertifikate beantragen können, ist deutschen Firmen selbst bei inhaltlicher Übereinstimmung der technischen Anforderungen der entsprechende Weg in China verwehrt. (...)

5. Öffentliches Beschaffungswesen

Bei großen Infrastrukturprojekten der öffentlichen Hand, insbesondere in den Sektoren Power und Transportation, die als "national interest" klassifiziert sind, werden Ausschreibungen zunehmend national ausgeschrieben. Ausländische Firmen werden vom direkten Wettbewerb ausgeschlossen bzw. nur unter der Bedingung zugelassen, dass chinesische Firmen als Generalunternehmer fungieren, die Technologien komplett an chinesische Firmen übertragen werden und steigende Lokalisierungsanforderungen zu erfüllen sind. (...)

6. Auslandshandelskammer

Die deutschen Handelskammern in Shanghai und Kanton sind offiziell nicht zugelassen. Die chinesische Gesetzgebung erlaubt Ausländern eine Handelskammer in China mit Sitz in Beijing. (...) Die chinesische Regierung sollte solche Zweigestellen erlauben. Der Deutschen Handelskammer in China ist es außerdem untersagt, chinesische Mitglieder (Privatpersonen oder Firmen) aufzunehmen. Damit sind die Möglichkeiten der Handelskammer in vieler Weise eingeschränkt.

7. Automobilindustrie

(...) Zusätzlich hat die neue Fassung der Automobilpolitik zu einer faktischen Verschärfung der Anforderungen zur lokalen Beschaffung geführt, in dem Sinne, dass Fahrzeuge, die einen gewissen Anteil importierter Teile überschreiten oder importierte Kernkomponenten enthalten, als Importfahrzeuge verzollt werden müssen.

8. Chemieindustrie

(...) Deutsche Chemieunternehmen sind besorgt über das Ausmaß an Information, das ihnen bei Anti-Dumping-Fällen in China abverlangt wird. Firmen, die anonymisierte Kundenlisten einreichen, werden manchmal mit "best information available" und sehr hohen Importzöllen bestraft.

9. Pharmazeutische Industrie

(...) Durch lange Zulassungsfristen, teilweise drei bis fünf Jahre und länger, im Vergleich zu zwölf bis achtzehn Monaten in Europa und den USA, wird die effektive Dauer des Patentschutzes nach Beginn der Vermarktung erheblich reduziert. Die chinesische Regierung sollte durch entsprechende Vorschriften sicherstellen, dass die effektive Mindestdauer von Patenten nicht weniger als 15 Jahre beträgt.

10. Planungs- und Ingenieurdienstleistungen

Eine freie Berufsausübung ist derzeit nicht möglich, da es keine Planungslizenzen für ausländische Büros gibt. Ausländischen Architektur- und Ingenieurbüros sollte die freie Berufsausübung in China erlaubt sein.

11. Tourismusindustrie

Der Sektor Tourismus teilt sich nach chinesischem Rechtsverständnis in Inbound- (Ausländer nach China) und Outboundgeschäft (Chinesen ins Ausland). In beiden Bereichen gibt es Zugangsbeschränkungen für ausländische Anbieter. Im Inboundgeschäft schreibt ein Erlass vom 12. Juni 2003 vor, dass ein ausländischer Investor zur Betreibung einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft einen jährlichen weltweiten Umsatz von 500 Millionen US-Dollar oder mehr erzielen muss. Zur Eröffnung eines ausländisch-chinesischen Gemeinschaftsunternehmens muss ein jährlicher Umsatz von 40 Millionen US-Dollar oder mehr nachgewiesen werden. Die Mindestinvestitionssumme beträgt vier Millionen Yuan.

Traditionell betätigen sich im Tourismusgeschäft überwiegend mittelständische Unternehmen. Die Mindestanforderungen hinsichtlich Umsatz und Investitionen sollten so gestaltet werden, dass auch mittelständische Unternehmen 100-prozentige Tochtergesellschaften und Gemeinschaftsunternehmen gründen können.

Vom Outboundgeschäft sind ausländische Unternehmen komplett ausgeschlossen. Das heißt, ausländische Reiseanbieter können nur über chinesische Agenturen verkaufen und nicht direkt an den Endkunden. Eine Gleichbehandlung mit inländischen Reiseanbietern sollte möglichst schnell herbeigeführt werden.

12. Rechtsdienstleistungen

Bislang ist es nicht gestattet, dass ausländische und chinesische Rechtsanwaltssozietäten ein Joint-Venture in China gründen und chinesische Anwälte beschäftigen. Folglich werden zahlreiche Großtransaktionen, die China betreffen, in Hong Kong oder im Ausland betreut.

13. Schienenfahrzeuge

(...) Bei allen Nahverkehrsprojekten muss laut NDRC die elektrische Antriebsausrüstung ("propulsion") inklusive der Zugsteuerungstechnik von dem Fahrzeughersteller separat ausgeschrieben werden. Dabei wird übersehen, dass moderne Schienenfahrzeuge, wie z. B. U-Bahnen, integrierte Systeme sind. Dies führt zu Konstruktionsänderungen und Zusatzkosten. Das verfolgte Ziel der Kostenreduktion wird dabei ins Gegenteil verkehrt. Hinzu kommen deutlich gestiegene Risiken hinsichtlich der Qualität und Zuverlässigkeit der Fahrzeuge. Die separate Ausschreibung sollte abgeschafft werden.

Derzeit ist es für ausländische Finalproduzenten (Schienenfahrzeugendmontage) nicht möglich, 100-prozentige Töchter in China zu gründen. Ausländische Hersteller sind darauf angewiesen, Joint Ventures zu gründen oder Kooperationen mit chinesischen Fahrzeugherstellern einzugehen, um an Ausschreibungen teilnehmen zu können.

14. Schiffbau

Chinesische Werften akquirieren Aufträge zu extrem niedrigen Preisen, die keinesfalls kostendeckend sein können. Der Bau weiterer chinesischer Großwerften ist geplant. Es ist absehbar, dass dies im Weltschiffbaumarkt zu Überkapazitäten und daraus folgend zu ruinösen Preiskämpfen führen wird. Da der chinesische Schiffbau weitgehend von staatlich kontrollierten Unternehmen dominiert wird - rund 60 Prozent entfallen allein auf die beiden großen staatlichen Schiffbaukonzerne CSIC und CSSC - ist mangels veröffentlichter Wirtschaftsdaten keine Transparenz über die Finanzierung der Werftinvestitionen und des operativen Geschäfts der Schiffbaubetriebe gegeben.

Es sollte darauf gedrungen werden, dass die staatlichen Betriebe nach marktwirtschaftlichen Rentabilitätsmaßstäben arbeiten.

15. Versicherungen

Ausländische Versicherungsunternehmen dürfen einen maximal 24,9-prozentigen Anteil an inländischen Lebensversicherern haben. Dies ist zu wenig, um einen Einfluss auf das Management eines Unternehmens zu gewinnen. Ihr Zugang zum Markt ist immer noch stark eingeschränkt. Sie dürfen zum einen nicht in allen Bereichen des Versicherungswesens tätig werden, zum anderen ist die Lizenzvergabe oft ein langwieriger Prozess. (...)