Nokia Finnlands Retter in der Not

Von Clemens Bomsdorf
Der finnische Konzern Nokia hat sich in der Vergangenheit bestens an den veränderten Markt angepasst. Nokia hat Finnland so aus der Krise geholt. Der inzwischen größte Handyproduzent der Welt muss sich jedoch umstellen, mobile Telefone alleine werden künftig nicht mehr ausreichen.

Finnland ist der Maßstab. Egal ob es um Studien zur Wettbewerbsfähigkeit oder das Pisa-Ranking geht. Bei internationalen Vergleichen nimmt Finnland heutzutage oft den ersten Platz ein. Das Land mit seinen 5,3 Millionen Einwohnern ist eine Art Klassenprimus innerhalb der Europäischen Union. Doch noch Anfang der 1990er befand sich Finnland in einer tiefen Krise, dass das Land schnell wieder herausgefunden hat, ist vor allem Nokia zu verdanken.

Vom Gummisteifeln zu Finnlands Exportriesen

Nokia ist der größte Handyproduzent der Welt und Finnlands wichtigster Exporteur. Zusammen mit anderen Informationstechnologie- und Kommunikationsunternehmen steht Nokia für rund 30 Prozent der finnischen Ausfuhren. Noch größer war der Anteil nur im Jahr 2000. Damals erlebte die Weltwirtschaft einen ungeahnten Aufschwung. Wohl kaum ein Land profitierte davon so stark wie Finnland.

"Wir hatten Glück, dass sich das Nokia-Management in den 90er-Jahren entschlossen hatte, die Produktion von Fernsehern oder Gummistiefeln aufzugeben, um sich auf Mobiltelefone zu konzentrieren", sagt Pasi Sorjonen, Prognosechef bei ETLA, dem Wirtschaftsforschungsinstitut der finnischen Industrie.

Die Krise als Chance genutzt

Über 140 Jahre ist Nokia schon alt, 1865 wurde der Vorläufer des Unternehmens, eine Papierfabrik am Fluss Nokianvirta im Südwesten Finnlands, gegründet. Im Laufe des folgenden Jahrhunderts kamen durch Zusammenschlüsse die Kabel- und Gummiproduktion dazu und aus Nokia wurde ein Industriekonglomerat. Erste Mobiltelefone wurden in den 1980ern hergestellt, der Markt dafür war noch winzig, die Apparate hingegen waren so groß wie Aktenkoffer.

Damals dominierten Holz- und Holzprodukte, sowie Papier die finnischen Ausfuhren. Besonders wichtig war der Handel mit der Sowjetunion. Als diese zusammenbrach, ging es auch mit Finnland bergab. Von 1990 bis 1993 schrumpfte das finnische Bruttoinlandsprodukt um mehr als elf Prozent. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit von drei auf fast 17 Prozent. Dann wurde 1992 Jorma Ollila neuer Vorstandsvorsitzender von Nokia und das Unternehmen und mit ihm das Land erlebte einen ungeahnten Aufstieg. Ollila, der erst im Jahr 2006 seinen Posten an Olli-Pekka Kallasvuo abgab, entschied sich dafür, Nokia auf Telekommunikation, vor allem die Produktion von Mobiltelefon und Netzwerkausrüstungen, zu fokussieren. Ein weiser Entschluss.

David in einem Markt ohne Goliath

"Wir hatten Glück, dass es sich bei Mobiltelefonen um ein völlig neues Produkt handelte", sagt Eero Lehto vom Wirtschaftsforschungsinstitut der finnischen Gewerkschaften. Es gab noch keinen dominierenden Konzern. Wäre der Boom in der Medizinbranche erfolgt, dann hätte ein finnischer Hersteller gegen etablierte Großunternehmen aus anderen europäischen Ländern oder den USA keine Chance gehabt, meint Lehto. 1998 ist Nokia erstmals der größte Mobiltelefonproduzent der Erde, im Jahr darauf wird mit dem 7110 das erste WAP-fähige Handy präsentiert - das Internet wird mobil.

Dank des Handybooms ging es seit Ende der 90er-Jahre mit der finnischen Wirtschaft wieder aufwärts. Im Jahr 2000 stieg das finnische Bruttoinlandsprodukt um 5,1 Prozent, in der EU hatte nur Irland ein noch größeres Wachstum. Weniger rosig sieht hingegen die Arbeitslosenstatistik aus. Zwar sind die Zeiten zweistelliger Arbeitslosenraten seit der Jahrtausendwende vorbei. Doch die Traumwerte der nordischen Nachbarn, die auch Finnland vor der großen Krise erreicht hatte, sind noch nicht in Sicht. Aber immerhin ist die Arbeitslosigkeit im November 2007 auf knapp über sechs Prozent gefallen.

Nokia hat in Finnland Forschungssektor etabliert

"Nachdem Abschwung der Weltwirtschaft nach 2000 hatte auch Nokia Leute entlassen müssen - im Jahr 2003 lag die Zahl der Mitarbeiter um 15 Prozent unter dem Niveau von 2000. Im Vergleich zum schwedischen Konkurrenten Ericsson eine Minikündigungswelle. Im Jahr 2006 hat Nokia weltweit erstmals wieder mehr Leute beschäftigt als im Jahr 2000, in Finnland lag der Wert noch leicht darunter - wie Deutschland hat das Land im internationalen Vergleich hohe Lohnkosten und eignet sich deshalb nur für aufwendigere Produktion oder Forschung und Entwicklung.

In der Unternehmensheimat arbeitet knapp ein Drittel der Nokia-Angestellten, 24.000 Leute. Damit spielt das Unternehmen für die Beschäftigung im Lande nur eine kleine Rolle, doch die Mitarbeiter sind häufig besonders hoch qualifiziert - für Forschung und Entwicklung ist Finnland wichtigster Standort. Vor allem Nokia, schreibt der Ökonom Dan Steinbock in einem Forschungsbericht, habe dafür gesorgt, dass Finnland gemessen an der Zahl der Patente von einem unterdurchschnittlich zu einem überdurchschnittlich innovativen Land geworden sei.

Diese Patente sind es, die dem Land eine gute Position für die Zukunft verschaffen. Gleichzeitig sind um Nokia herum viele kleine Firmen entstanden, die dem Handyhersteller zuliefern und ebenfalls neue Produkte entwickeln. Steinbocks Empfehlung lautet: Finnland muss dafür sorgen, dass neben Nokia die Zahl solcher kleinen, innovativen Unternehmen steigt. Durch diese Förderung, so die Idee, könnte ein leistungsfähiger Zweig entstehen, der die Abhängigkeit vom Handyriesen mindert. Genau das war angeblich auch eines der Probleme am Standort Bochum: um den Produzenten herum hatten sich zu wenige Zulieferer angesiedelt.

Aus dem Handyriesen wird ein Softwareanbieter

Nach dem Wandel vom Gummi- zum Mobiltelefonproduzenten, befindet sich Nokia unter dem neuen Vorstandschef Olli-Pekka Kallasvuo derzeit in einer weiteren Verwandlungsphase. Nun geht es Richtung Software. Die eigentliche Handyproduktion wird für Nokia immer unbedeutender. Zwar hat das Unternehmen in der jüngeren Vergangenheit den Marktanteil auf knapp unter 40 Prozent ausbauen können, doch der finnische Hersteller will sich zukünftig breiter aufstellen. Statt lediglich Handys zu produzieren, an deren Funktionen wie GPS, MP3-Player und Spielmöglichkeit Software- und Diensteanbieter sowie Provider verdienen, will Nokia selber in dem Geschäft mitmischen.

Erste größere Schritte sind im vergangenen Jahr bereits getätigt worden. So gab Nokia im Oktober ein Übernahmeangebot für die amerikanische Navteq, neben Tele Atlas der wichtigste Anbieter von Kartenmaterial für Navigationssysteme, ab. Die Finnen zahlen 5,4 Mrd. Dollar für den Zukauf. Natürlich bleiben die Mobiltelefonproduktion und die Netzwerksparte, mittlerweile ein Jointventure mit Siemens, wichtige Standbeine für Nokia. Der Bereich Siemens Nokia Networks allerdings war im vergangenen Quartal ein Verlustbringer, wenngleich mit einem weniger schlechten Ergebnis als erwartet.

Der Schuster bleibt bei seinen Leisten

Der Vertrieb von Spielen, Musik und Navigationsmaterial soll über die Marke Ovi (Finnisch für Tor) erfolgen. Schätzungen zu Folge sind 1,3 Milliarden Nokia Handys in Betrieb. Dadurch, dass Nokia nun für die eigenen Geräte Software anbietet, können mit längst verkauften Geräten erneut Umsätze erzielt werden. Allerdings ist das Angebot vor allem für neuere Geräte, wie die Modellreihe N. Der Start des Spieleportals von Ovi hatte ursprünglich Ende vergangenen Jahres erfolgen sollen, wurde nach technischen Problemen aber auf dieses Jahr verschoben. Das besonders fürs Spielen ausgelegte Modell N-Gage steht auch sonst für den Misserfolg bei Nokia. Denn unter dem Namen war seit dem Jahr 2003 bereits zweimal recht erfolglos ein solches Telefon auf den Markt gebracht worden.

Die Strategieänderung von Nokia ist Zeichen von wachsendem Selbstbewusstsein des finnischen Herstellers. Denn nur angesichts des enormen Marktanteils kann sich das Unternehmen leisten, Dienste anzubieten, die den Netzbetreibern wie Vodafone oder T-Mobile Konkurrenz machen. Weil Nokia dem Hype um das iPhone zum Trotz gefragtester Handyproduzent ist, können die Mobiltelefonanbieter es sich nicht erlauben, den finnischen Hersteller aus dem Programm zu nehmen. Auch wenn die Bedeutung der Mobiltelefone für Umsatz und Gewinn des Unternehmens in Zukunft zurückgehen wird, ist Nokia weiter darauf angewiesen, in großem Stil Handys zu verkaufen. Denn nur so kann gesichert werden, dass es genug potenzielle Abnehmer für die Softwareprodukte und weitere Dienste von Nokia gibt.