Der Aufschrei der Politiker war schrill, die Empörung der Betroffenen ebenso groß wie die Solidarität der Gewerkschaften. Nokia will künftig im Ruhrgebiet keine Handys mehr fertigen, und auch wenn NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) noch so sehr drängt, zu Verhandlungen sind die Finnen nicht bereit. Es ist der Abgang des letzten Mobil-Telefon-Herstellers in Deutschland, 2300 Arbeitsplätze sind betroffen. Aber: "Ein Rückschlag für den Mobilfunk-Standort Deutschland ist diese Entscheidung nicht", glaubt Roman Friedrich, Vice President der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton.
Was die Industrie-Experten seit Jahren predigen, zeigt sich auch am aktuellen Beispiel: Unternehmen lassen sich über wirtschaftspolitische Fördertöpfe nur so lange an einen Standort binden, wie sie es strategisch und vor allem rechnerisch für sinnvoll erachten. Dann ziehen sie weiter. Die Produktion von Mobiltelefonen unterscheidet sich in diesem Punkt in keiner Weise von anderen Branchen im Produzierenden Gewerbe. "Vergleicht man die Endgeräteindustrie heute mit der bekannten Entwicklung in der allgemeinen Konsumwarenindustrie, so gibt es viele Ähnlichkeiten bei Umsiedlungen und Outsourcing", analysiert Gavin Byrne vom Branchen-Forschungsunternehmen Informa Telecoms & Media in London.
Mit Billig-Handys in Billig-Länder
Die Löhne spielen in der hochautomatisierten Telefon-Fertigung nach Ansicht von Branchenexperten zwar noch nicht die zentrale, aber doch eine wachsende Rolle. Und die Flexibilität der einsetzbaren Arbeitskräfte ist wegen der rechtlichen Vorgaben vielerorts größer als im Herzen Westeuropas. Es kommt hinzu, was sozialdemokratische deutsche Facharbeiter ungern hören werden: "Heute können Unternehmen auch in Billiglohnländern hochkomplexe Geräte herstellen", stellt Analyst Chris-Oliver Schickentanz von der Dresdner Bank fest.
Nokia fährt einen Konzentrationskurs, die kleinen Werke werden geschlossen, und die Fertigung rückt näher an jene Länder, in denen die Mobilfunkmärkte weiterhin rasant wachsen. "Die Bedeutung der Schwellenländer für den Absatz von Mobiltelefonen nimmt stark zu", erläutert Schickentanz. Da wollen die Unternehmen präsent sein - auch, weil sie nur an den Billig-Standorten jene Handys gewinnversprechend produzieren können, die in den ärmeren Ländern stark nachgefragt werden: Geräte, die statt 200 Euro im Schnitt eben nur 40 oder 50 Euro kosten.
Abwandern statt exportieren
Die Dynamik beispielsweise in der Region Asien-Pazifik fällt mit jährlichen Handy-Verkaufssteigerungen von zwölf Prozent deutlich stärker aus als in Westeuropa, wo das Wachstum nach Einschätzung von Informa ab 2010 stagnieren wird. Durch die seit längerem absehbare Entwicklung hätten Firmen wie Nokia zwei Optionen, erläutert Gavin Byrne: "Entweder in Europa produzierte Geräte auf andere Märkte exportieren, oder in andere Regionen abwandern."
In Anbetracht der Tatsache, dass in der Branche aber zunehmend ein Preiskrieg tobt, scheint die zweite Option die vernünftigste zu sein. "Sich in Rumänien niederzulassen scheint der logische erste Schritt zu sein", findet Byrne. Nokia, so glaubt auch Analyst Schickentanz, könne sich in Rumänien und aus der neuen Nähe zum wachstumsstarken Russland durchaus gute Perspektiven eröffnen.
Lieferanten unter Kostendruck
Die deutschen Löhne hätten dagegen langfristig zum Problem für die Rendite von Nokia werden könnten, denn: Der Spielraum für Handy-Produzenten wird enger. "Wegen seit drei Jahren fallender Durchschnitts-Verkaufspreise stehen die Lieferanten zunehmend unter Kostendruck", erläutert Byrne von Informa und verweist auf einen Verfall der Abgabepreise um zehn Prozent pro Jahr. Noch steigt der weltweite Absatz von Telefonen, zwischen 2001 und 2006 verdoppelte er sich, 2008 erwartet die Branche einen Absatz von etwa 1,1 Milliarden Telefonen. Doch auch hier zeichnet sich Abkühlung ab, bald dürfte das globale Wachstum unter zehn Prozent fallen.
Dadurch wird die bloße Produktion von Geräten zu einem weniger lukrativem Geschäft. Unternehmensberater Friedrich glaubt: "Weitaus wichtiger als die Fertigung ist Forschung und Entwicklung", und hier stehe Deutschland mit seiner Verzahnung aus innovativen kleineren Firmen und den Universitäten "exzellent" da. Mobiltelefone, die künftig immer stärker zu mobilen Web-Portalen werden, verlangen nach Innovationen sowohl in ihren Hardware-Bestandteilen als auch in der Software und in den abrufbaren Inhalten. Friedrich findet: "Statt staatlicher Subventionierung geht es darum, ein Klima zu pflegen, in dem Geldgeber innovative Unternehmen mit Kapital versorgen." Und selbst Billig-Handys bieten für deutsche Anbieter noch Spielraum, wie der Deal zwischen Chip-Hersteller Infineon und Nokia zeigt - fortan wird die Technologie in den Einsteiger-Modellen der Finnen verarbeitet, ob nun in Rumänien oder in Ostasien.
Marktanteile durch Innovationen
Innovationen, das betont Roman Friedrich von Booz Allen Hamilton, sind die Zukunft für die deutsche Teilhabe am Mobilfunk-Business. Das umschwärmte iPhone zeigt, wie viel Fantasie in den Geräten stecken kann. Die Zeit der Konvergenz ist angebrochen, die Telefone sind kleine Computer, dank UMTS- und WIFI-Anbindung auch Internet-Browser - das Web wird mobil, so zumindest sehen es unzählige Branchenexperten, die dieser Tage über die Zukunft der einstigen Telefonie in Datendiensten debattieren. "Die rapiden Marktanteilsveränderungen zeigen, dass Innovationen in diesem Segment besonders starke Wirkung haben", beobachtet Dresdner-Bank-Analyst Schickentanz - und erwartet neue Handy-Anbieter à la Apple, darunter auch Google.
Tatsächlich verlieren und gewinnen die großen Firmen in atemberaubenden Zeitabständen riesige Marktanteile. So rutschte Motorola in weniger als einem Jahr in eine tiefe Krise, die Produkte hielten mit den neuen Trends nicht mit. Marktführer ist immer noch Nokia, was für die Strategie der Finnen spricht. "Künftig werden die Handy-Anbieter immer stärker auf Diversifizierung setzen und sich auch über inhaltliche Angebote an der Wertschöpfung beteiligen", erwartet Analyst Schickentanz. 8,1 Milliarden Euro machte Nokia jüngst für den digitalen Kartenanbieter Navteq locker. Eine große Investition in Ideen, mit denen das Business der Zukunft ausgedehnt werden soll.