Auch wenn der Name Chodorkowski nicht fiel, ließ Wladimir Putin keinen Zweifel, wer gemeint war. Jene Oligarchen, die das Gesetz brächen, wollten auch seinen Sturz, sagte der russische Präsident in der vergangenen Woche. Von den allerreichsten Industriebossen sitzt nur einer auf der Anklagebank und erwartet an diesem Mittwoch sein Urteil. Der Ölbaron Michail Chodorkowski muss mit bis zu zehn Jahren Gefängnis rechnen. Dabei lautet die Anklage nicht auf Hochverrat, sondern auf Wirtschaftsbetrug und Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Handfeste Kreml-Interessen
Selbst ranghohe Mitarbeiter Putins gestehen im vertraulichen Gespräch mittlerweile ein, dass das Vorgehen der Justiz gegen Chodorkowski und dessen Ölkonzern Yukos großen Schaden angerichtet habe. Hinter dem Strafverfahren gegen Chodorkowski und seine Geschäftspartner Platon Lebedew und Andrej Krainow stehen nach Ansicht des liberalen Politikers Grigori Jawlinski handfeste Interessen des Kremls. Mit allen Mitteln sollte ein Verkauf von Yukos ins Ausland verhindert werden. Außerdem wollte man die gewaltigen Ölreserven des Konzerns wieder unter staatliche Kontrolle bringen.
Chodorkowskis abschreckendes Beispiel solle den einflussreichen Wirtschaftsbossen jegliche Lust am Engagement in der Politik austreiben. "Keines dieser Ziele war auf legalem Weg zu erreichen. Deshalb hat man grobe Gewalt angewandt, die als rechtsstaatliches Verfahren getarnt wurde", betont Jawlinski. Seine Partei Jabloko war zum Ärger des Kremls von Chodorkowski unterstützt worden. Unabhängige Experten des Europarats übten deutliche Kritik am Verfahren gegen die ehemalige Yukos-Führung. Von einem "eindeutigen Fall der Missachtung der Rechtsstaatlichkeit" schrieb die Berichterstatterin und frühere deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Schuldspruch stand von Anfang an fest
Vor einem Monat forderte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer zehn Jahre Haft für Chodorkowski. Er habe den Staat betrogen, Steuern in großem Ausmaß hinterzogen und eine kriminelle Vereinigung gebildet. Der Anlass für Chodorkowskis Verhaftung, ein angeblicher Privatisierungsbetrug, wurde als Anklagepunkt wegen Verjährung fallengelassen.
Russische Zeitungsleser müssen in diesen Tagen lange suchen, um zustimmende Kommentare zum Vorgehen der Justiz zu finden. Ein Schuldspruch schien schon zu Beginn der Ermittlungen festzustehen. Kurz nach der Verhaftung Chodorkowskis sagte Vize-Generalstaatsanwalt Wladimir Kolesnikow, er bedauere es, dass der Dollar-Milliardär zu höchstens zehn Jahren verurteilt werden könne.
Andere Ölbarone blieben verschont
Chodorkowski beteuert selbst nach anderthalb Jahren in einer Gruppenzelle des Moskauer Untersuchungsgefängnisses "Matrosenruhe" seine Unschuld. "Das ganze Land weiß, weshalb man mich ins Gefängnis gesteckt hat. Damit ich nicht dabei störe, wie der Konzern ausgeraubt wird", sagte er in seinem Schlusswort vor Gericht. Yukos wurde zunächst mit Steuernachforderungen in Milliardenhöhe überzogen, obwohl die Nutzung von Steueroasen nach Experten-Einschätzung nicht anders gehandhabt wurde als bei der Konkurrenz. Ende 2004 wurde Yukos zerschlagen. Den wichtigsten Förderbetrieb kontrolliert seitdem der staatliche Ölkonzern Rosneft, dessen Aufsichtsrat ein Vertrauter Putins aus Geheimdienstzeiten führt, Igor Setschin.
Zu Beginn des Chodorkowski-Verfahrens hatte die Staatsanwaltschaft noch lautstark verkündet, dass es nun auch anderen Nutznießern der umstrittenen Privatisierung aus den 1990er Jahren an den Kragen gehe. Ein konsequentes Vorgehen gegen andere, in der Bevölkerung ebenfalls unbeliebte Oligarchen blieb aber aus. Erst kürzlich stellte Putin der Wirtschaftselite in Aussicht, die gesetzliche Anfechtungsfrist für Privatisierungsgeschäfte von zehn auf drei Jahre zu verringern.