Elefantenhochzeit in der Stahlbranche: Weltmarktführer Mittal Steel will die Nummer zwei Arcelor für 18,6 Milliarden Euro kaufen. Profitieren würde davon der deutsche Thyssen-Krupp-Konzern, der dann bei dem kanadischen Produzenten Dofasco doch noch zum Zuge kommen würde. Denn Mittal Steel will Dofasco im Fall der Übernahme von Arcelor an die Düsseldorfer verkaufen. Der luxemburgische Stahlriese Arcelor hatte die Düsseldorfer kürzlich im Rennen um Dofasco ausgestochen.
Thyssen-Krupp hat mit Mittal Steel bereits eine Vereinbarung über die Weitergabe des größten kanadischen Produzenten Dofasco unterzeichnet. Darin verpflichten sich die Düsseldorfer, bis zu 100 Prozent der Anteile von Dofasco zum Preis von 68 kanadischen Dollar (48,39 Euro) je Aktie zu erwerben - der Preis, den der Konzern zuletzt geboten hatte. Das Geschäft steht allerdings noch unter Vorbehalten. Erst muss die Übernahme des Stahlkonzerns Arcelor durch Mittal Steel gelingen, sowie die Übernahme von Dofasco durch Arcelor.
Arcelor in Zahlen
Nachdem der Luxemburger Stahlriese Arcelor am 24. Januar 2006 den wochenlangen Bieterkampfwettkampf um den kanadischen Stahlhersteller Dofasco gewann, soll jetzt Europas größtes Stahlunternehmen möglicherweise selbst übernommen werden: Für 18,6 Milliarden Euro will der Weltmarktführer Mittal Steel die Nummer zwei kaufen.
Die Luxemburger sind selber aus Fusionen hervorgegangen. 2001 entstand der Konzern nach dem Zusammenschluss der Stahlproduzenten Aceralia aus Spanien, der luxemburgischen Arbed und Usinor aus Frankreich. Heute beschäftigt das Unternehmen weltweit rund 95.000 Menschen in 60 Ländern. Zu den wichtigsten Abnehmern gehören die Automobilindustrie und Weiterverarbeitungsindustrien wie der Bau.
Das Unternehmen hat ein Rekordjahr hinter sich: Allein in den ersten neun Monaten 2005 lag der Umsatz mit 24,3 Milliarden Euro um 6,7 Prozent über dem Vorjahreswert. Jährlich produziert der Konzern 51 Millionen Tonnen Stahl und plant mittelfristig eine Jahresproduktion von 100 Millionen Tonnen.
Elefantenrennen zwischen den Stahlkolossen
Dofasco wurde so stark umworben, weil das Unternehmen Marktführer in Kanada ist und ein bedeutender Zulieferant der nordamerikanischen Autohersteller, der Energieindustrie und anderer Stahlverarbeiter - für Arcelor mit seinen bisher relativ bescheidenen nordamerikanischen Stahlmarkt-Anteilen eine strategische Übernahme.
Angestachelt vom beispiellosen Branchenboom lieferten sich die Stahlkolosse Arcelor und Mittal bisher ein regelrechtes Elefantenrennen. Im vergangenen Frühjahr übernahm Mittal des US-Stahlkonzern ISG (International Steel) und jagte damit dem luxemburgischen Erzrivalen die Führungsrolle in der Weltstahlliga ab. Ende Oktober konnte Mittal seinen Vorsprung mit dem Kauf des ukrainischen Stahlkonzerns Kriworoschstal ausbauen.
Mittal-Chef Lakshmi Mittal verwies auf die Konsolidierung der Branche im vergangenen Jahrzehnt. "Mittal Steel und Arcelor haben an der Spitze dieser Konsolidierung gestanden und teilen die gleiche Vision für die Zukunft der Branche." Ein Zusammenschluss der beiden Unternehmen werde die Konsolidierung der Branche beschleunigen.
"Es wird eine lange Schlacht"
Arcelor steht jedoch "bereit zum Widerstand" gegen eine feindliche Übernahme. Arcelor-Chef Guy Dollé zeigt sich zudem überzeugt, die europäische Gruppe werde die begonnene Schlacht gewinnen. "Es wird eine lange Schlacht. Wir sind solide und wir sind Marathonläufer", sagte er.
Dollé rechnet damit, dass der Übernahmekampf "mindestens vier bis sechs Monate" dauert. Seit einem Jahr wisse Arcelor um das Interesse von Mittal, doch brauche die Gruppe Mittal nicht. "Eine Zukunft des Unternehmens allein ohne Mittal ist weit besser für seine Aktionäre und seine Beschäftigten", so Dollé. Vorstand und Aufsichtsrat von Arcelor hatten sich am Sonntag zur Abwehr einer Übernahme formiert.
Mittal Steel in Zahlen
Der gebürtige Inder Lakshmi Mittal baute sich geduldig ein Reich zusammen, bis er 1989 zum ersten Mal auf internationaler Ebene zuschlug: Durch den Kauf eines Stahlwerks in Trinidad und Tobago. Zum Erstaunen der Branche entwickelte sich der Einzelgänger langsam aber sicher zu einem echten "global player". Seine Spezialität wurde die Übernahme von vorher zumeist staatlich betriebenen und zum Teil völlig maroden Stahlwerken in Osteuropa. Seine Sanierer verstanden es, daraus alsbald profitable Unternehmen zu machen.
Vor gut einem Jahr stellte sich Mittal dann ganz oben auf das Treppchen. Er führte seine damaligen Unternehmen Ispat und LNM Holding zusammen und fusionierte gleichzeitig mit dem US-Konzern International Steel - so entstand Mittal Steel, die Nummer eins auf dem weltweiten Stahlmarkt. Das Unternehmen machte 2004 nach eigenen Angaben mit weltweit 175.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 22 Milliarden Euro.
Dollé sieht in Mittal "einen geschickten Verführer"
Dagegen sieht der Mittal-Chef in einer Übernahme "die einzigartige Chance, einen soliden europäischen globalen Champion zu schaffen". Der Pariser Zeitung "Les Echos" sagte Lakshmi Mittal, Europa brauche einen solchen Champion, um seine Arbeitsplätze zu schützen. "Nur eine starke Gruppe stellt eine wirkliche Garantie für dauerhafte Beschäftigung dar." Zwischen den Stahlriesen gebe es "vielfältige Synergien", etwa in Einkauf, Marketing, Forschung und Entwicklung.
Dollé nannte Mittal in dem Interview "einen geschickten Verführer, der nicht immer die Wahrheit sagt". Er habe Mittal in einem Gespräch am 14. Januar gesagt, dass drei Viertel der Fusionen an den Unterschieden in der Unternehmenskultur scheiterten. Mittal habe bei dem Treffen Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet, doch "ich habe nicht Nein gesagt, und selbstverständlich auch nicht Ja".
Details zu einem gemeinsamen Konzern | Proforma-Jahresumsatz 2005 | 69 Milliarden Dollar |
Erwartete Synergien | rund 1 Milliarde Dollar | |
Beschäftigte | rund 320.000 weltweit | |
Jährliche Stahlproduktion | rund 100 Millionen Tonnen | |
Weltmarktanteil |
Die Produktionsprogramme beider Unternehmen würden sich ergänzen
Wie es weitergeht, werden sowohl Mittal als auch Arcelor am 30. Januar in Paris bekannt geben. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl erwartet bei der geplanten Übernahme von Arcelor durch Mittal Steel in Europa kein Veto der Wettbewerbshüter. "Vermutlich sind in Europa keine Hindernisse durch die Wettbewerbsbehörden zu erwarten", sagte Dieter Ameling, Präsident der Vereinigung. Und in Nordamerika würden Hindernisse durch den möglichen Weiterverkauf des kanadischen Stahlproduzenten Dofasco an Thyssen-Krupp umgangen. Die geplante Übernahme zeige deutlich, wie umkämpft und profitabel der Weltstahlmarkt heute sei.
Mit der möglichen Elefantenhochzeit erreiche der Konsolidierungsprozess aber eine neue Dimension, betonte Ameling. Durch die angekündigte Übernahme überschreite Mittal Steel die angestrebte 100-Millionen-Tonnen-Rohstahlproduktion mit dann etwa 120 Millionen Tonnen deutlich. Das sind etwa zehn Prozent der Weltproduktion. Für Mittal lohne sich das Geschäft. Die Produktionsprogramme beider Unternehmen würden sich ergänzen, so Ameling weiter.
sh mit DPA/Reuters/AP