Der deutsche Branchenprimus ThyssenKrupp konnte sein Ergebnis vor Steuern auf 1,5 Milliarden Euro mehr als verdoppeln, 911 Millionen Euro steuerte dazu die Stahlsparte bei. Zum Beginn kommenden Jahres hat der größte deutsche Stahlhersteller, der noch vor wenigen Jahren laut über einen Börsengang seiner Traditionssparte nachgedacht hatte, die sechste Stahlpreiserhöhung in Folge angekündigt. "Bei Neuverträgen darf man derzeit die Preise fast selbst einsetzen", berichtete auch der Chef der Salzgitter AG, Wolfgang Leese, bei einem Branchentreffen vor zwei Monaten in Istanbul.
Preise werden weiter steigen
"Die Nachfrage ist enorm und das Angebot ist knapp. Alle großen Hersteller werden versuchen, weitere Preiserhöhungen durchzusetzen", sagte der Stahlexperte des Essener Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Hans-Karl Starke. Grund für die steigenden Preise ist der wirtschaftliche Aufholprozess in vielen Schwellenländern, allen voran China. Experten warnten bereits im Frühling vor der Verknappung des für viele Branchen unverzichtbaren Rohstoffes. So musste Nissan im November als erster großer Autohersteller seine Produktion wegen Stahlmangels zeitweise stoppen.
Die angekündigten Preiserhöhungen bewegten sich derzeit bei etwa 20 Prozent. Frühestens Mitte kommenden Jahres erwarteten Fachleute einen vorläufigen Stopp der derzeitigen Preisspirale. Durch Neueröffnungen von Stahlwerken etwa in Brasilien und China soll der weltweite Stahlhunger zunehmend gestillt werden.
Die Kehrseite des Booms sind teilweise um mehr als 100 Prozent kräftig angestiegene Preise bei Rohstoffen und Frachten für die Stahlherstellung. "Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Stahlindustrie der große Nutznießer des Stahlbooms sei und ihre Preise unangemessen erhöhe", verteidigte ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz die Branche. Um treue Kunden nicht zu enttäuschen habe Deutschlands größter Stahlkonzern auf dem Weltmarkt selbst teuer Stahl eingekauft, um eine Belieferung der Weiterverarbeiter zu sichern, berichtete Schulz.
Verarbeiter leiden am meisten
Auf der Verliererseite stehen jedoch vor allem mittelständische Stahlverarbeiter, von denen nach einer Umfrage des Düsseldorfer Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) sich nahezu jedes sechste Unternehmen (16 Prozent) durch die explodierenden Stahlpreise an den Rand der Insolvenz gedrängt sieht. "Wenn im Frühjahr 2005 die Bilanzen erstellt werden, kommt die ganze Wahrheit ans Licht", befürchtet WSM-Hauptgeschäftsführer Andreas Möhlenkamp.
Die Weltliga der Stahlkonzerne rüstet sich unterdessen für weitere Fusionen. "In dieser Richtung wird in den nächsten Monaten einiges bekannt werden", kündigte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Dieter Ameling, vor wenigen Wochen in Düsseldorf an. Weltweit rangiert der deutsche Marktführer ThyssenKrupp derzeit auf Platz neun. Gerüchte ranken sich bereits um ein mögliches Zusammengehen von ThyssenKrupp mit dem britisch-niederländischen Konkurrenten Corus.
Indischer Konzern dominiert alle
Uneinholbar wird sich im kommenden Jahr jedoch die aus einer transatlantischen Dreier-Fusion entstandene Mittal Steel Company an die Spitze der Stahlkonzerne setzen. Chef des neuen Stahlriesen mit einer geschätzten Jahresproduktion von 70 Millionen Tonnen ist der Milliardär Lakshmi Mittal, der mit dem winzigen indischen Stahlwerk seines Vaters begonnen hatte. Der neue Gigant hat bereits eine Steigerung seiner Produktion auf 100 Millionen Tonnen angekündigt und würde damit mehr als das Doppelte der gesamten deutschen Rohstahlproduktion von derzeit rund 46,5 Millionen Tonnen erreichen.