Wirtschaftsminister Michael Glos verteilte jetzt im Bundestag eifrig Beruhigungspillen. "Eine Katastrophe haben wir nicht, wohl aber schwierige Zeiten." Der Jahreswirtschaftsbericht seines Ministeriums prognostiziert, dass die Wirtschaft 2009 um 2,25 Prozent schrumpfen wird. Die EU-Kommission hält ein Minus von 2,3 Prozent für möglich, Wirtschaftsexperten rechnen mit bis zu 3 Prozent. So oder so: Die Deutschen müssen sich nicht auf schwierige Zeiten einstellen, sondern auf den härtesten Konjunktureinbruch seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Unstrittig ist, dass neben den Banken die exportorientierte Wirtschaft betroffen ist. "Insbesondere die Bereiche Chemie und Maschinenbau sowie der Automobilsektor werden hart zu kämpfen haben", sagt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, zu stern.de. Deren Standorte jedoch liegen vor allem im Westen. Der seit Jahrzehnten krisengeschüttelte und von Arbeitslosigkeit geplagte Osten wird deshalb - welch Ironie der Wirtschaftsgeschichte - glimpflicher durch die Rezession kommen. "Die ostdeutsche Wirtschaft ist weniger international verflochten. Sie hat dadurch einen großen Vorteil", sagt Zimmermann. "Zentren wie Baden-Württemberg, Bayern oder Nordrhein-Westfalen, in denen die Automobilbranche stark integriert ist, sind wesentlich stärker betroffen."
Streit um Konjunkturpakete
Dass dies, gerade auch im Westen, dramatische Konsequenzen für den Arbeitsmarkt haben wird, ist sicher. Zimmermann rechnet mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 3,8 Millionen. Sein Kollege Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, prognostiziert 3,5 bis 3,75 Millionen Arbeitslose; Michael Hüther, Direktor des unternehmensnahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, rechnet mit einer Zahl unter 4 Millionen. In diese Prognosen sind die Effekte der staatlichen Konjunkturhilfen bereits eingerechnet. "Mit Wirtschaftspolitik kann man eine Konjunktur nicht völlig drehen. Man kann aber Schwankungen mindern", sagt Hüther vorsichtig.
Wie effizient die Konjunkturpakete der Bundesregierung dabei helfen, ist naturgemäß umstritten. "Es war die richtige Entscheidung, ein zweites Konjunkturpaket zu entwickeln, aber leider ist man auf halbem Weg stehen geblieben", sagt Straubhaar zu stern.de. "Die große Koalition hat auf die unterschiedlichen Interessen der Parteien Rücksicht nehmen müssen und dadurch ein Sammelsurium daraus gemacht." Kriegsentscheidend ist für Straubhaar, dass der private Konsum gestärkt wird. Deshalb rät er zu weiteren Steuererleichterungen: Senkung der Mehrwertsteuer und des Solis, Vergabe von Steuerschecks.
Wer zahlt die Schulden zurück?
Experte Zimmermann vom DIW hält davon gar nicht. "Steuersenkungen bringen nichts", sagt er. "Später werden wir alles wieder einsparen müssen. Die Verschuldungen müssen auf Dauer von jemandem zurückbezahlt werden müssen. Und das sind wir." Zimmermann schätzt, dass die Regierung noch dieses Jahr die Maastricht-Kriterien reißen wird - und die künftigen Haushalte massiv durch Zinsen für die aufgenommenen Schulden belastet werden. Hüther hält das Vorgehen dennoch für richtig: "Es muss klar sein, dass wir im Jahr 2010 den Staatshaushalt mit Priorität wieder nach vorne schieben. Aber in solchen Krisen steht das nicht auf der Agenda."
Wirtschaftsminister Glos würde solche Debatten, die auch unter den Parteien heftig geführt werden, am liebsten unterbinden. "Ich bin überzeugt, das Paket wird wirken", sagte Glos im Bundestag. Und zwar umso wirkungsvoller, je weniger es zerredet werde.