Kräftiges Wachstum, stabile Banken und eine junge Bevölkerung: In den Wirren der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise erscheint ausgerechnet das einstige Sorgenkind Türkei inzwischen wie eine Insel der Stabilität. Hyperinflation und dramatische Firmenpleiten sind seit einigen Jahren Vergangenheit. Vor allem deutsche Unternehmen haben in der Türkei investiert und hoffen nun auf weitere gute Geschäfte.
Für die Türkei ist Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle reiste am Mittwoch mit einer Delegation aus etwa 20 mittelständischen Unternehmern in die Türkei, um die Beziehungen noch zu vertiefen. "Ich habe große Erwartungen an die Gespräche, da es noch umfangreiche ungenutzte Potenziale in den Bereichen Infrastruktur und Energie und bei der mittelständischen industriellen Kooperation gibt", erklärte Brüderle.
Mit einem von der EU-Kommission prognostizierten Wachstum von knapp fünf Prozent im laufenden Jahr und etwa 4,5 Prozent im kommenden Jahr belegt die Türkei in Europa einen Spitzenplatz. Deutschland ist dabei Exportpartner Nummer 1. Unter dem Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan baut die Türkei aber auch ihre Kontakte in die Arabische Welt, nach Afrika und Asien aus. Davon wollen deutsche Firmen, die die Türkei als Drehkreuz für Geschäfte nutzen, wiederum profitieren.
Die Zahl der Unternehmen, die aus Deutschland kommen oder eine deutsche Beteiligung haben, ist in der Türkei auf etwa 4 000 gestiegen. Deutsche Firmen verkaufen vor allem Maschinen, Elektrotechnik, Teile für die Automobilindustrie und ganze Fahrzeuge. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Energiesektor. Aus der Türkei werden neben Bekleidung und Textilien zunehmend auch ganze Kraftfahrzeuge und Elektroartikel gekauft. Zudem bietet sich das Land als Korridor zu den Energievorkommen im Nahen Osten und Zentralasien an.
Aus der Rolle der "verlängerten Werkbank", die für niedrige Löhne ausländischen Unternehmen zuliefert, sind Teile der Wirtschaft schon heraus. Türkische Baufirmen gehören im Nahen und Mittleren Osten und in Russland zu den großen Mitspielern. Turkish Airlines wächst kräftig und will in die Gruppe der weltweit führenden Fluggesellschaften vorstoßen. Im kommenden Jahr wird die Türkei Partnerland der Computermesse CeBIT in Hannover.
Die türkischen Exporte hätten sich schneller erholt als erwartet, sagte der Türkei-Direktor der Weltbank, Ulrich Zachau, der Nachrichtenagentur Anadolu. Die Auslastung der Industrie steuere auf die Werte vor der Finanzkrise zu. Probleme machen die Inflation - die es vor allem bei den Lebensmittelpreisen gibt - und die hohe Arbeitslosigkeit. Bei den Jüngeren ist einer von vier Menschen ohne Job.
Unter den OECD-Staaten habe nur die Türkei den Banken nicht mit Staatsgeld aushelfen oder das System für Staatsgarantien ändern müssen, sagt der türkische Staatsminister Ali Babacan, der zu den ersten Gesprächspartnern Brüderles zählt. Nach einer schweren Finanzkrise im Jahr 2001 hat die Türkei mit die weltweit striktesten Regulierungsbestimmungen. Die strenge Aufsicht hat auch verhindert, dass sich die Banken mit hochriskanten Finanzprodukten verzocken.
Allerdings treten die Bemühungen um einen Beitritt zur EU seit geraumer Zeit auf der Stelle. Der politische Streit um die von der Türkei ersehnte Mitgliedschaft EU soll den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit aber nicht behindern, haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Erdogan im März in Istanbul erklärt. Erdogan erklärte, Deutschland sei "natürlicher Verbündeter" der Türkei, mit dem sein Land eine strategische Partnerschaft suche.