Suchmaschine Yandex Russland muss seinen wichtigsten Technologiekonzern verhökern – das steckt dahinter

Das Logo von Yandex
Das Logo von Yandex: Der russische Digitialkonzern wurde im selben Jahr gegründet wie sein US-Gegenstück Google. 
© SOPA Images / Imago Images
Der Technologiekonzern Yandex, einst gefeiert als das "russische Google", verkauft den Großteil seines Geschäfts zu einem Ramschpreis. Der Kern des Unternehmens geht verloren.

Als Russland Ende Februar 2022 die Ukraine angriff, setzte binnen weniger Wochen eine Massenbewegung ein. Tausende IT-Fachleute, Software-Ingenieure und Web-Designer verließen das Land. Manche, weil sie den Krieg ablehnten. Andere, weil sie Angst hatten, an die Front eingezogen zu werden. Die meisten aber wohl vor allem deshalb, weil ihre Arbeit wie die kaum einer anderen Branche von der Kooperation mit Unternehmen, Kollegen und Partnern im Westen abhing. Und immer wieder stand ein Konzern im Mittelpunkt dieser Abwanderung: Yandex. Ein Software- und Plattformriese, zu dem eine eigene Suchmaschine, E-Mail-Angebote, Kartendienste aber auch ein Beförderungsservice gehören, ein Gigant im gesamten russischsprachigen Raum. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter strömten nach Georgien, in die Türkei oder nach Westeuropa – und viele von ihnen arbeiteten von dort aus einfach weiter für ihr Unternehmen.

Yandex hatte eine in den Niederlanden registrierte Mutterfirma und wurde bis zum russischen Überfall erfolgreich an der Technologiebörse Nasdaq gehandelt, in der Spitze mit einer Marktkapitalisierung von 30 Milliarden Dollar. Mitgründer Arkadi Wolosch hatte die Suchmaschine einst de facto zeitgleich mit Google entwickelt, weshalb Yandex oft mit dem US-Giganten verglichen wird. Wenn es ein russisches Unternehmen gab, das bei modernen Technologien international mithalten konnte und nicht aus dem Öl- und Gasgeschäft kam, dann war es der Moskauer Konzern.

Die Rohstoffbosse übernehmen

Das alles aber ist nun vorbei. Nach langen Verhandlungen gab das niederländische Unternehmen am Montag bekannt, dass das gesamte Russland-Geschäft, also das Herz von Yandex, an ein Konsortium russischer Investoren abgegeben wird. "Die Yandex-Gruppe und unser Team stand seit Februar 2022 vor außergewöhnlichen Herausforderungen", ließ sich deren Chef John Boynton zitieren. "Wir denken, dass wir unter diesen besonderen Umständen die bestmögliche Lösung für unsere Anteilseigner, unsere Teams und unsere Nutzer gefunden haben." Zu den Käufern gehört Argonaut, ein Investment-Vehikel des Ölkonzerns Yukos sowie der Oligarch Alexander Rjasanow, der sein Geld ebenfalls im Öl- und Gasgeschäft gemacht hat. Yandex ist also jetzt da angekommen, wo alles in Russland ankommt, wenn es unter Kontrolle gebracht werden soll: im Rohstoff-Business.

Der Kaufpreis liegt bei 475 Milliarden Rubeln, was aktuell einer Summe von 4,9 Milliarden Euro entspricht. Das Unternehmen macht keinen Hehl daraus, dass das in keiner Weise dem eigentlichen Wert von Yandex entspricht, sondern ein politischer Preis ist. Der Abschlag liege bei "mindestens 50 Prozent", so heißt es. Der Grund: Wenn Unternehmen aus Staaten, die die russische Regierung als "feindlich" betrachtet, ihre russischen Beteiligungen verkaufen, müssen sie eine solche Abwertung nach aktueller russischer Rechtslage schlicht und einfach hinnehmen.

Die Marke bleibt in Russland

Bei der ursprünglichen Yandex-Muttergesellschaft und deren Eignern bleibt das Geld aus dem Verkauf sowie einige ausländische Start-ups des Yandex-Gründers Wolosch. Den Markennamen verliert das niederländische Unternehmen. Allerdings geht es bei den verbliebenen Projekten um durchaus zukunftsträchtige Themen – wie das autonome Fahren, Cloud-Dienste und Online-Bildung.

Yandex-Gründer Arkadi Wolosch
Yandex-Gründer Arkadi Wolosch kritisiert den Ukrainekrieg und lebt nicht mehr in Russland
© ITAR-TASS / Imago Images

Wolosch, dessen Vermögen in der Forbes-Liste auf 1,5 Milliarden Dollar geschätzt wird, hat Russland bereits im Jahr 2014 verlassen – also in dem Jahr, in dem Moskau die ukrainische Halbinsel Krim annektierte. Er lebt seitdem im israelischen Tel Aviv, wo er regelmäßig auf Kongressen auftritt und sich auch am Aufbau von Technologiefirmen beteiligt. Er kritisierte den Krieg gegen die Ukraine deutlicher als die meisten anderen russischen Superreichen: Im August 2023 sagte Wolosch in einer öffentlichen Stellungnahme: "Russlands Invasion in der Ukraine ist barbarisch. Ich bin entschieden dagegen." Trotzdem allerdings steht der Unternehmensgründer auf einer Sanktionsliste der Europäischen Union – auch weil Yandex aus Sicht der Europäer und Amerikaner russische Kriegspropaganda weiterverbreitet hatte. Wolosch hat bei Yandex keine operative Funktion mehr.

Symbol der Spaltung

Am Ende wird Yandex zu einem Symbol der Spaltung zwischen Russland und dem Westen: Die Geschäftsbereiche arbeiten getrennt voneinander weiter, der Kaufpreis kommt einer politischen Bestrafung durch Russland gleich, und der geniale Unternehmensgründer hat sich ins Ausland zurückgezogen, wo er versucht, seine Reputation zu retten. Zugleich aber vollzieht sich mit der Trennung auch ein weiteres Stück Niedergang für die Technologie-Nation Russland. Ein Konzern, der einst – zumindest im postsowjetischen Raum – mit den Silicon Valley-Riesen mithalten konnte, ist verstümmelt und seines intellektuellen Kerns beraubt. Und viele seiner besten Leute haben sich ins Ausland abgesetzt. Es ist kein gutes Zeichen für die Zukunft eines Landes, wenn es eine solche Verstümmelung zulässt.

Dieser Artikel erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Capital", das wie der stern Teil von RTL Deutschland ist.

PRODUKTE & TIPPS