Versicherungen leben von der Furcht ihrer Kundschaft. Und sie leben nicht schlecht davon: Im vergangenen Jahr verdiente die Allianz an ihren 101 Milliarden Euro Umsatz satte 10,4 Milliarden. Insgesamt gaben die Deutschen rund 161 Milliarden für Versicherungspolicen aus. Eine Summe, die etwa zwei Dritteln des Bundeshaushalts entspricht. Das Geschäft mit der Angst brummt. Damit das so bleibt, malen die mehr als 400 in Deutschland aktiven Versicherungskonzerne die Risiken des Lebens in ihren schlimmsten Farben. Ob Unfall, Feuer oder Tod - das Dasein ist eine einzige Verkettung von Gefahren. Allein in Deutschland verbreiten über 400 000 Versicherungsvertreter diese schlechten Botschaften. Kaum jemand, der noch keinen von ihnen auf dem Sofa sitzen hatte, gepflegt, freundlich, aber streng. Wenn sie uns fragen, ob wir denn gar nicht an unsere geliebten Kinder oder Enkel denken - und endlich eine Sterbegeldversicherung abschließen wollen. Ihr Versprechen: Wir gewähren dir Sicherheit vor allem Übel - gegen Gebühr, versteht sich.
Wie Schulkinder hören wir ihnen staunend zu, wenn sie von "Versorgungslücken", "Unterversicherung", "Risikogruppen" oder "Elementarschäden" sprechen. Versicherungsdeutsch ist nicht einfach zu verstehen, und das soll es auch nicht sein. Es verschafft den Vertretern eine gewisse Autorität. Die Wortungetüme haben außerdem eine Gemeinsamkeit: Sie klingen negativ. Das verstärkt Unsicherheit und Angst der potenziellen Kunden, macht sie bereit für die aus Vertretersicht einzige Lösung der Probleme: eine Unterschrift unter einen Versicherungsvertrag. Rund 4000 Euro gibt jeder deutsche Haushalt statistisch gesehen für seine Versicherungen im Jahr aus. Die Konzerne profitieren dabei von der verbreiteten Vollkasko-Mentalität: Kaum eine Nation fürchtet Unsicherheit und Risiko mehr als die deutsche - und ist deshalb bereit, viel Geld dafür auszugeben, dass ihnen jemand ihre Sorgen nimmt.
Versicherungen verhindern keine Schäden
Dabei wird oft übersehen, dass eine Versicherung keineswegs schützt wie ein Bodyguard, der sich im richtigen Moment in die Flugbahn der Kugel wirft. Eine Versicherung beseitigt nur Schäden: Die Unfallversicherung verhindert keine Unfälle, eine Feuerversicherung keinen Wohnungsbrand, die Lebensversicherung verlängert nicht das Leben. Hohe Versicherungssummen sollen sogar schon das Gegenteil bewirkt haben. Zurück zum Besucher, der sich auf dem Sofa in Ihrem Wohnzimmer eingerichtet hat: Ihnen sitzt keineswegs der unabhängige Makler gegenüber, für den viele ihn halten. Er (Frauen sind in der Vertreterschaft eher unterrepräsentiert) hat stets auch sein eigenes Bestes im Sinn und nutzt jede Chance, neue Verträge an Mann oder Frau zu bringen. Schließlich verdient er das meiste Geld mit den Abschlussprovisionen.
Deshalb hat er verstärkt Interesse am Neugeschäft und verkauft am liebsten die Produkte von Versicherungen, die besonders üppige Zahlungen versprechen. Logisch, dass da die unabhängige Beratung häufig auf der Strecke bleibt. Passt der Kunde nicht auf, ist Unwichtiges doppelt und dreifach abgesichert, während gefährliche Lücken bestehen bleiben. Verkauft wird halt oft nur, was Kohle bringt. Manfred Poweleit, Branchenanalyst und Chef der Fachpublikation "mapreport" sagt: "Die Bedürfnisse der Menschen und die Angebote der Versicherer klaffen immer weiter auseinander. Die Leute müssten sich stärker darauf besinnen, was ihnen lieb und teuer ist - und diese Dinge zuerst absichern."
Rentnern werden Verträge angedreht
Beispiel Kapitallebensversicherungen: Knapp die Hälfte der Versicherungsbeiträge gehen dafür drauf. 94 Millionen Verträge, mehr als einer pro Bundesbürger, laufen derzeit. Dabei wollen die allermeisten Kunden damit vor allen Dingen fürs Alter vorsorgen. Doch andere Produkte, wie die Riester-Rente, werden staatlich stärker gefördert oder bringen höhere Renditen. Trotzdem wurden allein im Vorjahr rund 8,2 Millionen neue Kapital-Policen abgeschlossen. Teilweise bekamen sogar 75-jährige Rentnerinnen noch Neuverträge angedreht.
Das ist kein Wunder, denn die Provisionen, die für einen Abschluss bezahlt werden, sind hoch. Eine Kapitallebensversicherung mit 30 Jahren Laufzeit und 150 Euro Monatsbeitrag bringt dem Verkäufer je nach Anbieter etwa 3800 Euro. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen schätzt, dass rund 80 Prozent solcher Versicherungen vor Ende der Laufzeit wieder gekündigt werden (in der Regel mit Verlust für den Versicherten) oder nicht mehr bedient werden können und beitragsfrei vor sich hin schlummern. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass vielfach am Bedarf und an den finanziellen Möglichkeiten der Kunden vorbei verkauft worden ist. Seit Jahren nehmen auch die Beschwerden beim Ombudsmann für Versicherungen (www. versicherungsombudsmann.de) zu. Lagen 2005 erst gut 10 000 Kunden im Clinch mit ihren Assekuranzen, suchten im vergangenen Jahr bereits über 18 000 Bürger Hilfe beim Schlichter in Berlin.
Die Versicherungslobby läuft sich warm
Die ruppigen Methoden beim Geschäft mit der Angst beschäftigen auch die Bundesregierung: Seit 22. Mai gilt in Deutschland ein neues Versicherungsvermittlerrecht. Das schreibt Mindeststandards bei der Ausbildung von Versicherungsverkäufern vor und fordert, dass Beratungsgespräche protokolliert werden. Ein Anfang, aber keine Garantie für optimale Beratung. Außerdem plant der Gesetzgeber, Vermittler von Lebensversicherungen zu verdonnern, den Kunden künftig vorab ihre Provisionen offenzulegen. Ob und wann das kommt, ist ungewiss. Die Versicherungslobby läuft sich gerade warm. Auch in Zukunft werden die Verbraucher also selbst die größten Risiken des Versicherns bewältigen müssen. Der stern zeigt, wie man sich gegen Alter und Tod, Krankheit und Pflege, Unfall und Berufsunfähigkeit sowie Sach- und Vermögensschäden richtig absichert. Außerdem: Worauf Verbraucher beim Abschluss achten müssen und von welchen Policen sie lieber die Finger lassen sollten. Auf Seite 22 finden Sie eine Checkliste, mit der Sie Ihre bestehende Absicherung analysieren, Überversicherungen erkennen und mögliche Lücken finden können.