Bei einigen Künstlern fällt es wirklich nicht schwer, mit Wehmut und Nostalgie an schon längst vergangene Glanzzeiten zu erinnern. Musiker, die in der ersten Dekade ihres Schaffens so viel an kreativem Output besaßen, dass sie eine Platte nach der anderen veröffentlicht, und dabei Meisterwerke geschaffen haben, die bis heute als bahnbrechend und stilbildend gelten. Und auf einmal ist es vorbei. Der helle Stern erlischt. Sie werden zur lebenden Legende und veröffentlichen Musik, die früher nicht einmal auf B-Seiten Bestand gehabt hätte.
Mit seiner Präsenz hob er ein ganzes Jahrzehnt aus den Angeln
Rollt man zum Beispiel den Fall Stevie Wonder auf: Mitte der siebziger Jahre hat er sein über alle Maßen fantastisches Doppelalbum "Songs in the key of life" aufgenommen, um uns nicht einmal zehn Jahre später die Ohren mit "I just call to say I love you" voll zu heulen. Es wurde sein bis dato größter Hit. Wenn man dieses Prinzip auf Prince anwenden würde, hieße das, dass das Highlight seiner Karriere sein Doppelalbum "Sign of the times" ist, sein aktueller beschwingter Mitklatsch-Schlager "The one U wanna C" hingegen sein Niedergang.
Man läuft ja immer Gefahr, der guten alten Zeit zu huldigen. Aber wenn jemand ein ganzes Jahrzehnt mit seiner Präsenz aus den Angeln hob, der Begleiter der ersten, natürlich unerfüllten Liebe war, wenn er als einer der ganz Wenigen die achtziger Jahre aus ihrer musikalischen Stumpfheit befreite, und mich davor bewahrt hat, zum Dire-Straits-Fan zu werden, dann darf man ja wohl Dankbarkeit zeigen und sich immer wieder bemühen, seine Platten, die in den letzten fünfzehn Jahren erschienen sind, zu kaufen, und wenn möglich für gut zu befinden. Keinem Menschen war ich treuer als Prince. Jetzt ist seine neue, regulär 26. Platte erschienen. Sie heißt "Planet Earth", und mich überfällt eine Müdigkeit.
Nichts auf der Welt ist ihm wichtiger, als Musik und Sex. Oder?
Prince hat sich nie wirklich offenbart. Seine Songtexte waren wörtlich zu nehmen: "I'm not your lover, I'm not your friend, I'm something that you never comprehend" (aus "I would die for you"). Er gab so gut wie keine Interviews, keine überflüssigen Statements über Umwelt, Politik oder Gesellschaft. Und er sprach vor allem nicht über sich selbst. Er ließ einen glauben, dass nichts auf der Welt wichtiger wäre, als Musik und Sex. Damit konnte ich gut leben.
In meinen dunkelsten Stunden ertappe ich mich dabei, mir zu wünschen, er wäre doch besser Sklave seiner Plattenfirma Warner Brothers geblieben. Der 1992 geschlossene Vertrag zwischen Warner und Prince garantierte ihm 100 Millionen Dollar für sechs Alben.
Doch sehr bald darauf gab es keinen Prince mehr. Er wollte die absolute künstlerische Kontrolle über seine Aufnahmen und dessen Vertrieb, die Warner ihm nicht vollständig gewährte. Die sechs Alben wurden aus hunderten von unveröffentlichten Stücken zusammengeschustert, und aus Prince wurde "The Artist formely known as Prince". Kurz: Tafkap. In dem Moment, als auf seinen hohlen Wangen das Wort SLAVE erschien und er mitteilte, er werde dies erst wieder entfernen, wenn sein Knebelvertrag mit Warner aufgelöst sei, war der Zauber vorbei. Es gab kein Geheimnis mehr.
Nichts ist mehr so, wie es einmal war
Es ging jetzt darum, sich zu emanzipieren, und sich von Vereinnahmungen und Zwängen der Industrie und Gesellschaft zu verabschieden. Außerdem sollten wir alle kein Fleisch mehr essen und damit bessere Menschen werden. Das Ergebnis seiner Loslösung war die unglaublich dröge und schmerzlich in die Länge gezogene Drei-CD-Box "Emancipation". Ein auf 36 Lieder aufgeblasenes müdes Nichts, aus langweiligen Disco-Funk-Grooves, und schmierigen Balladen an seine schwangere Frau. Nichts mehr war wie davor. Und so sollte es bleiben.
Im Laufe der Zeit gewöhnte man sich an Mittelmäßigkeit. Doch wer nur einmal die Möglichkeit hatte, den Konzertfilm "Sign of the times" zu sehen, Sessions mit Miles Davis ("Prince ist der Duke Ellington des Funk") zu hören, oder sich einfach mal bewusst macht, mit welcher Selbstsicherheit Prince nach dem Riesenerfolg von "Purple Rain" ein Jahr später das psychedelisch beeinflusste Album "Around the world in a day" heraus brachte, der wird Schwierigkeiten haben, sich Jahr für Jahr mit beliebigem R&B-Pop zufriedenzugeben. Er wird sich auch nicht mehr permanent in die Tasche lügen können, dass die neueste Platte jetzt aber viel besser sei, als die letzte.
Selten ist körperliche Liebe freudloser besungen worden
Und damit haben wir "Planet Earth" erreicht. Warum tut Prince so etwas? Ich bin mir sicher, dass die Hälfte seiner noch nicht veröffentlichten Stücke, die wohl irgendwo in den Schubladen seines Paisley Park Studios ihr Dasein fristen müssen, die neue Platte auf der Stelle vergessen lassen würden. Es muss Unzählige davon geben. Auf "Planet Earth" hört man die üblich quälend langweiligen Balladen, mit denen Prince schon die letzten Alben aufgefüllt hat. Selten ist körperliche Liebe freudloser besungen worden. Der Rest ist üblicher Neuzeit-Prince, mal poppiger und auf der Single "Guitar" etwas rockiger. Ansonsten durchzieht die Platte ein roter Faden von Schwachbrüstigkeit. Der einzig wirkliche Lichtblick heißt "Chelsea Rodgers". Mit seinem leichtfüßigen Funk-Groove lullt es den Hörer so wunderbar ein, dass das Gefühl aufkommt, der Rest der CD ist nur Ausschuss vom großen Kuchen, den er uns - warum auch immer - noch vorenthält.
Vom 1. bis 21. August spielt Prince im Millenium Dome in London 21 Konzerte. 15 davon waren bereits nach 20 Minuten ausverkauft. Das zeigt, dass Prince als Live-Künstler immer noch eine absolute Ausnahmestellung einnimmt. Nach dieser Tour will der mittlerweile zum Zeugen Jehova konvertierte, viel reisen und sein Bibelstudium fortsetzen. Was mich betrifft, lebe ich gut mit dem biblischen Motiv von Glaube, Liebe, Hoffnung. Glaube an den größten Künstler im tristesten Jahrzehnt der neueren Popgeschichte, Liebe für das, was er uns gegeben hat, und Hoffnung auf die ganz bestimmt großartige nächste Platte.