Der Islam- und Migrationsexperte Ralph Ghadban kam 1972 aus dem Libanon nach Deutschland. Seit damals schon beobachtet er unter anderem die Entwicklung der kriminellen Clanstrukturen innerhalb arabischer Großfamilien.
Dr. Ghadban, hat die Kriminalität der arabischen Clans zugenommen oder fällt sie uns nur gerade wieder auf? Gibt es eine Steigerung?
Es hat eine Steigerung gegeben, aber auf Seiten der Polizei.
Das ist doch positiv.
Ja, aber an der Haltung der Clan-Mitglieder wird das nur langsam etwas ändern. Die haben sich in Jahrzehnten festgesetzt, und der Staat war ziemlich hilflos. Nun gibt es aber eine Strategie: den Hammerschlag. Und das scheint zu wirken. Aber wir müssen die Konsequenzen erstmal abwarten.
Wie lange gibt es die neue Strategie schon?
Die wurde auch schon in Hessen ausprobiert. Aber es ist eben teuer, Spezialeinheiten einzubinden. Deren Anzahl ist zudem beschränkt. Deshalb gibt es solche Einsätze bisher nur punktuell. Dauerhaft sind sie nicht möglich. Aber sie sind effektiv.
Glauben Sie dass so ein Zugriff wie am Dienstagmorgen in Berlin mit acht Verhaftungen etwas ändern wird?
Ja, weil die Kriminellen merken, dass der Staat doch anwesend ist. Außerdem wird - wie früher im Jahr auch schon bei einem anderen Berliner Familienclan - massenweise Diebesgut beschlagnahmt. Solche Einsätze wirken zum einen abschreckend und zum anderen bedeuten sie für die Kriminellen materiellen Schaden.
Sie sagen also, momentan gibt es ein Zeitfenster, in dem der Einfluss der Clans nachhaltig beschnitten werden könnte?

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Die Clans konnten sich ausbreiten. Die Verachtung ihrer Mitglieder für unsere Gesellschaft ist grenzenlos, so wie ihr Mangel an Respekt vor den Behörden, der Polizei, dem Staat. Weil sie bisher keine massiven Reaktionen erlebt haben. Das ändert sich gerade. Aber das ist nicht das ganze Problem: So lange die Clan-Strukturen vorhanden sind, werden sie sich andere Wege suchen. In Berlin rekrutieren die Clans gerade unter den Flüchtlingen. Die sollen nun die Dreckarbeit für die Clans erledigen. Das ist die neue Entwicklung. Die Clans sind kreativ.
Was ist denn überhaupt möglich zu tun?
Man muss diese Strukturen zerstören.
Und wie macht man das?
Eigentlich durch Integrationsarbeit.
Aber Sie haben selbst einmal gesagt, dass Kinder aus diesen Clan-Strukturen nicht herauszubekommen sind, weil sie einfach in Geld schwimmen.
Genau. Aber man muss es weiter versuchen. Sonst gibt es keine Hoffnung. Mit der Polizei allein kann man das Problem nicht lösen. Man muss die Clan-Strukturen zerstören und die Leute individuell integrieren. Irgendwann müssen die Kinder verstehen, dass Arbeit der normale Weg ist, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nicht durch Diebstahl und Gewalt. Diese Mentalität muss man durchbrechen. Der pädagogisch-erzieherische Einfluss der Clans auf die Kinder muss eingeschränkt werden. Da muss man ansetzen. Darin sehe ich die einzige Hoffnung.
Gibt es da positive Erfahrung?
In dieser Richtung wurde gar nichts gemacht. Es gab die Jugendrichterin Kirsten Heisig in Berlin, die ein Modell entwickelt und angefangen hat, damit zu arbeiten. Aber sie lebt leider nicht mehr. Und es sieht nicht so aus, dass ihre Ideen weiterverfolgt werden. Das ist sehr schade.
Was ist denn Ihr Ausblick für die Zukunft?
Meine große Befürchtung ist im Moment, was mit 80.000 unbegleiteten Jugendlichen passiert, die in Folge der Flüchtlingswelle zu uns gekommen sind. Sie kommen alle aus demselben Kulturkreis. Der Kontakt und die Kommunikation ist für die Clans also einfach. Wir erleben das Gleiche wie in den 80ern noch einmal, als die arabischen Familien angefangen haben, kriminell zu werden. Die haben sich Jugendliche geholt und als Kuriere eingesetzt. Der musste dann eine Tüte von A nach B transportieren und hat dafür 25 Mark bekommen. Das war doppelt so viel wie das Taschengeld vom Sozialamt. Diese Rekrutierungen passieren heute wieder, und das macht mir große Sorgen. Wenn diese Leute rekrutiert sind und vor den Clans stehen, weil die Hierarchien weiter ausgebaut werden - denn es werden ja immer nur die kleinen Fische erwischt - wird es noch schwieriger, an die wahren Kriminellen heranzukommen.
Was bedeutet das für die normalen Berliner? Wird so etwas wie die Autobombe in Wilmersdorf häufiger passieren?
Das waren die Russen.
Was auch Clans sind.
Ja, aber so weit sind die arabischen Clans noch nicht. Es kann kommen, nichts ist auszuschließen.